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Holsteinzucht: Vergleich der deutschen und skandinavischen Vatertierbewertung
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Einleitung

Die praktische Umsetzung des züchterischen Fortschritts in den kommerziellen Milchrinder-haltenden Betrieben erfolgt im Wesentlichen über die Auswahl genutzter Vatertiere (KB-Bullen).

Der Milcherzeuger wünscht sich ein breites Angebot bester Bullen zu günstigsten Preisen. Eine Vielfalt in der Angebotsliste ist zur Sicherstellung individueller Anpaarungen beziehungsweise zum Vermeiden von Inzucht wichtig. Auf internationaler Ebene werden in den verschiedenen Ländern zum Teil unterschiedliche Zuchtzielsetzungen – bei differenzierter Bewertung beispielsweise der Milchleistung, des Exterieurs oder der Nutzungsdauer – verfolgt.

Die Holsteinzuchtprogramme in Dänemark, Schweden und Finnland sind im Rahmen einer länderübergreifenden Zuchtorganisation (= VikingGenetics) seit Jahren erfolgreich gebündelt. In Deutschland erfolgt die Holsteinzüchtung in verschiedenen, vorrangig regional aktiven Zuchtprogrammen, die jedoch eine gleiche Zuchttierbewertung (Basis: RZG) bundesweit nutzen.

Breitgefächerte Zuchtwertschätzung

Der Zuchtwertschätzung kommt – zwecks sicherer Bewertung der genetischen Veranlagung von Bullen und weiblichen Rindern – eine zentrale Rolle zu. Sie basiert auf einer umfassenden Erfassung zahlreicher Leistungsdaten (z.B. im Rahmen der Milchleistungsprüfung (MLP)) sowie weiteren Datenerfassungen auf Betriebsebene (z.B. von tierindividuellen Besamungen etc.). In den international führenden Holsteinzuchten in Nordamerika und Westeuropa werden zwischenzeitlich Zuchtwerte für eine große Zahl wirtschaftlich wichtiger Merkmalskomplexe regelmäßig geschätzt:

  • Milchleistung (Milchmenge, Fettmenge, Eiweißmenge, Fett-%, Eiweiß-%)
  • Nutzungsdauer und somatischer Zellgehalt
  • Exterieur (in Deutschland: ≥20 lineare Merkmale, 4 Merkmalskomplexe)
  • Gesundheit (Euter-, Stoffwechsel- und Klauenerkrankungen, Fruchtbarkeitsstörungen)
  • Fruchtbarkeit (weibliche und männliche Fruchtbarkeit)
  • Kalbeeigenschaften (maternaler und direkter Kalbeverlauf)
  • Kälbervitalität und -gesundheit
  • Melkbarkeit und Melkverhalten.

Aufgrund der Vielzahl gleichzeitig zu berücksichtigender Merkmale werden viele dieser Einzelzuchtwerte oft in merkmalspezifischen Teilzuchtwerten (z.B. RZM, [= Relativzuchtwert Milch] etc.) kombiniert und schließlich in einem Gesamtzuchtwert (z.B. dem RZG) weiter zusammengefasst (Abb. 1 und 2).

Beispiel: Milchleistungsindex ‚RZM‘
Die Milchleistung einer Milchkuh ist zweifellos eines der wichtigsten Merkmale. Ohne die Fähigkeit einer Milchkuh, eine ausreichende Menge Milch zu produzieren, ist keine rentable Milcherzeugung möglich.

Der deutsche Milchleistungsindex (= RZM, Relativzuchtwert für die Milchleistung) erfasst das genetische Potenzial eines Tieres für die Fett- und Eiweißmenge. Anzumerken bleibt, dass bereits die Milchleistungsindizes in den verschiedenen Ländern differenziert ermittelt werden (ZWF-kg: Zuchtwert für die Fettmenge, ZWE-kg: Zuchtwert für die Eiweißmenge etc.):

Deutschland (vit Verden):           RZM= 100 + 0,240*ZWF-kg + 0,480*ZWE-kg
Skandinavien (D/S/F, Viking):    PI = 0,55*ZWF-kg + 0,70*ZWE-kg + (-0,25)*ZWMilch-kg

Im deutschen RZM wird aktuell ein Gewichtungsverhältnis von 1:2 für die Fett- und Eiweißmenge gewählt. Eine direkte Berücksichtigung der Milchmenge erfolgt nicht.

In Skandinavien wird demgegenüber zusätzlich die Milchmenge negativ gewichtet. Dadurch wird sichergestellt, dass Zuchttiere mit hohen Milchinhaltsstoffen – bei vergleichbaren Milchfett- und Milcheiweißmengen – höher bewertet werden.

Wandel in der Zuchttierbewertung

Moderne Zuchtziele sind komplex. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche unerwünschte Merkmalszusammenhänge (= Merkmalsantagonismen) in der Milchrinderzüchtung existieren.

Man kommt nicht umhin, die verfügbaren Zuchttiere (= KB-Bullen) nach einem Gesamtzuchtwert zu rangieren; d. h. die verschiedenen Teilinformationen (wie Milchleistungsveranlagung, Fruchtbarkeit etc.) – auch aufgrund bestehender differenzierter Erblichkeiten (Heritabilitäten) und variierender Merkmalszusammenhänge – gewichtet zusammenzufassen.

Ein derartiger Gesamtzuchtwert kommt sowohl in Deutschland (= RZG, relativer deutscher Gesamtzuchtwert) als auch in Skandinavien (NTM = relativer ‚nordischer‘ Total Merit) zur Anwendung. Allerdings sind RZG und NTM unterschiedlich strukturiert (Abb. 1 und 2).

Abb. 1: Struktur des deutschen Gesamtselektionsindexes (=RZG)

Abb. 2: Struktur des skandinavischen Gesamtselektionsindexes (= NTM)

So erfährt die Töchterfruchtbarkeit eine größere Beachtung und die Milchleistung eine geringere Gewichtung im NTM im Vergleich zum RZG. Dazu kommt, dass im NTM zusätzlich Informationen zum Futtererhaltungsbedarf (= ‚Saved Feed‘) einfließen (Abb. 2). Eine derartige Kenngröße findet man im deutschen RZG leider noch nicht (Abb. 1). Hier wird aktuell noch nicht einmal das Gewicht der Kühe im Rahmen des RZG berücksichtigt.

Weitere Relativierung der Ergebnisse

Der relative Gesamtzuchtwert (RZG) – wie auch die zugehörigen Teilzuchtwerte (z.B. RZM) – werden in Deutschland auf einer Skala mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 12 Einheiten ausgewiesen (‚relativiert‘). Dadurch soll sichergestellt werden, dass generell Werte ≥100 züchterisch positiv zu bewerten sind.

Ähnliche Ansätze werden auch im skandinavischen Zuchtprogramm gewählt. Allerdings ist die zugehörigen Bezugsbasis nicht einheitlich.

Abb. 3: Mittelwerte und Standardabweichung verschiedener Gesamtselektionsindizes

Wie in der Abbildung 3 dargestellt, hat der nordische Gesamtzuchtwert (= NTM) einen Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 10.

Auch wenn die Mittelwerte und Standardabweichungen zwischen den Gesamtzuchtwerten unterschiedlich sind, ist eine Gegenüberstellung der verschiedenen Werte – bei korrekter Beachtung dieser Zusammenhänge – gut möglich:

  • Bullen mit einem RZG über 124 repräsentieren die besten 2,5 % der Rasse in Deutschland;
  • Bullen mit einem NTM über 20 gehören zu den besten 2,5 % der Holstein-Rasse in Dänemark, Schweden und Finnland.

Aus genetisch-züchterischer Sicht ist eine differenzierte Bewertung verschiedener Merkmalskomplexe und damit Gestaltung modifizierter Holstein-Zuchtprogramme letztlich nur begrüßenswert, da sie der Sicherstellung genetischer Diversität in der globalen Holsteinpopulation dient.

Rangierung der Holsteinbullen nach NTM oder RZG

Wertet man die Rangierung von Bullen in Skandinavien bzw. in Deutschland aus, so lässt sich leicht zeigen, dass bereits die differenzierte Bewertung der Milchleistung variierende Rangfolgen begründet.

In Skandinavien erfolgt eine konsequente Beachtung hoher Milchinhaltsstoffe. Die weitere Steigerung der Milchfett- und Milcheiweißleistung wird somit vorrangig über eine weitere Erhöhung der Milchinhaltsstoffe angestrebt (Tab. 1)

Tab. 1: Aktuelle Skandinavische Top-Holsteinbullen (rangiert nach NTM) und zugehörige ZW-Ergebnisse in Deutschland

Der Top-Vererber VH Swish im skandinavischen Zuchtprogramm wird leider in Deutschland nur mit einem RZG= 141 bewertet. Er kann sich hier nicht als Top-Vererber qualifizieren. Nach seinem RZG gehört er noch nicht einmal zu den besten 395 Bullen auf deutscher Liste; obwohl er außerdem ein exzellenter Vererber für die Eutergesundheit und Fruchtbarkeit ist. Noch geringer wird der dänische Bulle VH Stinger in Deutschland eingeschätzt. Im skandinavischen Zuchtprogramm weist er aktuell ein NTM= 37 auf. Mit einem RZG=132 würde er wohl aktuell von keiner deutschen Besamungsstation mehr angekauft werden (Tab. 1).

Der skandinavische Top-Vererber: VH Swish. Er wurde von Frau J. Samuelsson in Kisa (Schweden) gezüchtet. Seine Mutter ist eine VH Nerd-Tochter mit einer Milchleistung von ca. 10.000 kg bei 5,28 % Fett und 3,87 % Eiweiß.

(Foto: Werkfoto, bereitgestellt von Viking Genetics)

Analysiert man die deutsche Top-Liste (Tab. 2), so fällt die einseitige Bevorzugung von Vatertieren mit sehr hohen Zuchtwerten für die Milchmenge auf. Gleichzeitig ist nur eine maginale Steigerung z.B. des Milcheiweißgehaltes durch die empfohlenen deutschen Vererber zu erwarten. Außerdem ist oft eine weitere Zunahme der Größe der Töchter zu erkennen (Tab. 2). Entsprechend gehören die meisten aktuell deutschen Top-Vererber nicht wirklich zu den Spitzenbullen im skandinavischen Zuchtprogramm.

Tab. 2: Deutsche Top-Holsteinbullen (rangiert nach RZG) und zugehörige NTM-Ergebnisse in Skandinavien

Die Frage, die sich somit stellt, lautet: Welche der beiden differenzierten Zuchtstrategien ist nachhaltiger? Eine zugehörige Bewertung der verschiedenen Zuchtansätze bietet sich deshalb zusätzlich aus der Blickrichtung des notwendigen Ressourceneinsatzes an.

Ressourcenbedarf bei unterschiedlichen Zuchtstrategien

In der Abbildung 4 ist die Veränderung des benötigten Futterenergiebedarfs je kg energiekorrigierter Milch (EKM) aufgezeigt, wenn ein Zuchtansatz auf (vorrangig) weiterer Steigerung der Milchmengenleistung (= Zuchtziel: A) oder alternativ die angestrebte Leistungserhöhung vorrangig über eine Verbesserung der Milchinhaltsstoffe (= Zuchtziel: B) sichergestellt wird. Als Berechnungsbasis wurden die gültigen Bedarfsnormen für Milchkühe der GfE (= Gesellschaft für Ernährungsphysiologie) verwendet.  Der Energiebedarf von Milchkühen setzt sich bekanntermaßen aus den erforderlichen Anteilen für

  • Erhaltung,
  • Milchbildung
  • und den Energieansatz für das Wachstum von Fetus und Gewebe im Verlauf der Laktation

zusammen.

Abb. 4: Futterenergieaufwand (MJ NEL je kg EKM) bei differenzierter Zuchtzielgestaltung

Anm.: M = Milchmenge, K = Kuh, L = Laktation, KM = mittlere Körpermasse, F. = Milchfettgehalt; E.= Milcheiweißgehalt, ZKZ = Zwischenkalbezeit

Eine weitere Reduzierung des Futterenergieaufwandes – gegenüber der Ausgangsbasis (= 11.000 kg Milch/Kuh/Laktation mit 3,9 % Fett und 3,45 % Eiw.) ist insbesondere bei Anwendung der Zuchtzielvariante B anzuerkennen (Abb. 4). Überträgt man diese Zusammenhänge auf den NTM- bzw. RZG-Ansatz, so ist das skandinavische Zuchtkonzept deutlich stärker auf eine höhere Futtereffizienz als der deutsche Ansatz ausgerichtet.

FAZIT

  1. Die deutsche und skandinavische Vatertierbewertung unterscheidet sich bereits bezüglich der Bewertung der Milchleistungsmerkmale und darüber hinaus in weiteren Merkmalskomplexen deutlich.
  2. Sie führt zu einer deutlichen Änderung der Rangierung derselben Vatertiere in beiden Zuchtprogrammen.
  3. Der skandinavische Gesamtindex (NTM) ist bezüglich einer angestrebten Ressourcenschonung den deutschen RZG überlegen und deshalb weiterzuempfehlen.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. habil. Wilfried Brade,
TiHo Hannover sowie Norddeutsches Tierzucht-Beratungsbüro

Email: wilfried.brade(at)t-online.de