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Die Futteraufnahme hochleistender Holsteinkühe aus genetisch-züchterischer Sicht korrekt bewerten!
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Einleitung

Die Leistungen der Milchkühe sind in Deutschland – speziell in den zurückliegenden Jahren – aufgrund einer erfolgreichen Selektion auf immer höhere Milchleistung bei gleichzeitig verbesserter Fütterung, Haltung und tierärztlicher Betreuung rasant gestiegen. Mittlere Herdenleistungen von über 12.000 kg Milch/Kuh/Jahr (bei ganzjähriger Stallhaltung und hohem Kraftfutteranteil in der Ration) sind heute keine Seltenheit mehr.

Die konsequente Erhöhung der Milchleistung basierte vor allem auf einer Selektion nach hoher Einsatzleistung. Ungeachtet der begrenzten Futteraufnahmekapazität – vor allem zu Beginn der Laktation – hat dies zu einer Zunahme der negativen Energiebilanz (NEB) geführt. Ausmaß und Dauer der NEB hängen stark von der Futter-Trockenmasseaufnahme sowie der Energiedichte der verabreichten Ration einschließlich der realisierten Milchleistung ab.

Eine korrekte Bewertung der Futteraufnahme (FA) sowie der Milchleistung erfordert eine differenzierte Bewertung dieser Merkmale im Laktationsverlauf, da einerseits die FA in verschiedenen Laktationsabschnitten unterschiedlich genetisch determiniert ist und andererseits die Beziehungen der FA zur Milchleistung gleichzeitig im Laktationsverlauf deutlich variieren.

Eine korrekte züchterische Bewertung von Milchrindern setzt zuverlässige Kenntnisse zur tierindividuellen Futteraufnahme voraus. Hier: automatische Futter-Wiegestation in einer Versuchseinrichtung (Foto: W. Brade)

Futteraufnahme und Energiedefizit in der Frühlaktation

Nach der Abkalbung steigen Milchleistung und FA unterschiedlich schnell an. Während das Maximum der Milchleistung bei Kühen, die eine leistungsgerechte Ration erhalten, typischerweise bereits zwischen der 5. bis 7. Woche erreicht wird, variiert der Zeitpunkt des Erreichens der maximalen Futteraufnahme zwischen der 8. und ca. 12. Woche (Abb. 1).


Abb. 1: Mittlere Tägliche Futter-Trockenmasseaufnahme (FA) im perinatalen Bereich in Abhängigkeit vom Alter der Milchkuh (eigene schematische Darstellung – erstellt nach Angaben von Shonka et al., 2015)

Die hochleistende Milchkuh deckt ihren Nährstoff- und Energiebedarf nach der Abkalbung über das aufgenommene Futter und durch eine Mobilisation von Körperreserven.

Die Tendenz, vorhandene Körperreserven in immer größerem Maße in der Frühlaktation zu mobilisieren, hat sich mit zunehmendem Selektionsdruck auf eine ständig höhere Einsatzleistung in den letzten Jahrzehnten weiter verstärkt (Brade, 2020, 2021). Vor allem ältere Milchkühe (Kühe ab ≥ 2. Laktation) geraten – aufgrund ihrer wesentlich höheren Einsatzleistung als vergleichsweise Jungkühe – in ein deutliches Energiedefizit. Das Ausmaß dieser negativen Energiebilanz (NEB) ist zwischenzeitlich als ein Gesundheitsrisiko anzusehen, das aktuell im Zuchtprozess noch nicht berücksichtigt wird.

Der nachfolgende Beitrag beschreibt einen möglichen züchterischen Ansatz, weitere negative Entwicklungen in der Energie- und Nährstoffversorgung bei hochleistenden Milchkühen zukünftig besser entgegenzuwirken. Vorausgesetzt wird, dass der interessierende Zuchtfortschritt (auf Betriebsebene) vorrangig über eine gezielte Auswahl der genutzten Vatertiere (KB-Bullen) realisiert wird.

Spezielle genetisch-züchterische Aspekte

Aus genetisch-züchterischer Sicht konnte wiederholt gezeigt werden, dass die Milchleistung (EKM, energiekorrigierte Milchmenge), die FA sowie die Energiebilanz (EB) innerhalb einer Laktation unterschiedlich genetisch determiniert sind (Abb. 2).

Abb. 2: Genetische Merkmalsbeziehungen (rg) zwischen der Milchleistung (EKM) und der Futteraufnahme (FA) von Holstein-Erstkalbinnen zu verschiedenen Laktationszeitpunkten (Daten: Manzanilla-Pech et al., 2014; eigene grafische Darstellung)

Da im ersten Laktationsdrittel zur Deckung des Energiebedarfs regelmäßig Körperreserven (Fettdepots etc.) mobilisiert werden müssen, sind weniger enge Zusammenhänge zwischen der Milchleistung und der Futteraufnahme in der Frühlaktation – vergleichsweise gegenüber der zweiten Laktationshälfte – gut erklärbar (Abb. 2).

Im Ergebnis dieser Tatsache zeigt sich zusätzlich, dass die FA in der Frühlaktation mit derjenigen in der Spätlaktation weniger eng assoziiert ist (= abnehmende genetische Korrelationen (rg) von rg = 1 mit zunehmender Zeitdifferenz im Laktationsverlauf – vgl. auch Tab. 1).

Tab. 1: Genetische Beziehungen (rg) zwischen der Futter-Trockenmasseaufnahme (FA in kg T/d) hochleistender Holsteinkühe in verschiedenen Laktationsabschnitten der 2. Laktation sowie weitere Kenngrößen*

Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Energiedefizits in der Frühlaktation (NEB) mit zunehmender Einsatzleistung und variierender genetischer Beziehungen (vgl. Abb. 2) stellt sich die Frage nach der korrekten Bewertung der FA sowie der Milchleistung innerhalb verschiedener Laktationsabschnitte.

Sowohl die FA als auch die Milchleistung von Zweitkalbskühen werden nachfolgend als unterschiedliche Merkmale (= 3-Merkmalsmodell – in Abhängigkeit vom Laktationsabschnitt innerhalb einer Laktation – definiert (vgl. Abb. 3)):

  • Lakt_1: Futteraufnahme (in kg T/d) bzw. energiekorrigierte Milchleistung (EKM, kg) im Zeitraum 6. bis 75. Laktationstag nach der Abkalbung;
  • Lakt_2: Futteraufnahme (in kg T/d) bzw. energiekorrigierte Milchleistung (EKM, kg) im Zeitraum 76. bis 180. Laktationstag nach der Abkalbung;
  • Lakt_3: Futteraufnahme (in kg T/d) bzw. energiekorrigierte Milchleistung (EKM, kg) im Zeitraum 181. bis 315. Laktationstag nach der Abkalbung.

Abb. 3: Beschreibung der Merkmalsdefinition (= 3-Merkmalsmodell) innerhalb der 2. Laktation

Damit besteht die Möglichkeit, sowohl die FA als auch EKM unterschiedlich genetisch-züchterisch (im Laktationsverlauf) zu bewerten. Dies macht Sinn, da vorrangig die FA in der Frühlaktation verbessert werden soll und gleichzeitig ein ‚Luxus‘-Konsum in der zweiten Laktationshälfte möglichst vermieden werden soll.

Auf einer Rechenanlage (= Computersimulation) wurde der mögliche Zuchtfortschritt in einem konventionellen Besamungszuchtprogramm (aufbauend auf der gültigen Selektionstheorie) – bei differenzierter Bewertung der FA und der EKM in den drei verschiedenen Laktationsabschnitten – theoretisch abgeleitet.

Folgende Zuchtzielvarianten wurden geprüft und vergleichend gegenübergestellt (= 3-Merkmalsmodell sowohl für die FA als auch EKM in der 2. Laktation):

  1. Zuchtzielvariante A: ausschließliche Selektion der einzusetzenden Vatertiere nach der Milchleistung (EKM) in den drei Laktationsabschnitten (mit gleicher Gewichtung der EKM in den verschiedenen Laktationsperioden); Ziel: höhere Milchleistung in der Gesamtlaktation.
  2. Zuchtzielvariante B: ausschließliche Selektion der einzusetzenden Vatertiere nach der FA in den drei verschiedenen Laktationsabschnitten; Ziel: mögliche (theoretische) Abschätzung maximaler Zuchterfolge für die FA in der Gesamtlaktation einschließlich korrelierter Selektionserfolge für die Milchleistung.
  3. Zuchtzielvariante C: ausschließliche Selektion der einzusetzenden Vatertiere nach der FA im ersten Laktationsabschnitt (= Lakt_1); Ziel: vorrangige Verbesserung der FA in der Frühlaktation und Erfassung korrelierter Selektionseffekte.
  4. Zuchtzielvariante D: gleichzeitige Selektion der einzusetzenden Vatertiere sowohl auf eine erhöhte FA im ersten Laktationsabschnitt (= Lakt_1) als auch gezielte weitere Verbesserung der EKM vor allem im 3. Laktationsabschnitt (Lakt_3); Ziel: Vermeidung einer weiteren Zunahme der NEB in der Frühlaktation bei gleichzeitig verbesserter Persistenz der Milchleistung.

Berechnet wurden die zu erwartenden jährlichen Zuchtfortschritte in der Töchtergeneration (in der 2. Laktation) auf Basis der gültigen Selektionstheorie.

Die Problemstellung kann wie folgt verallgemeinert beschrieben werden: Aus den im Rahmen der Leistungsprüfung anfallenden Daten wird ein genetisch-ökonomisch begründeter Selektionsindex (nachfolgend mit I definiert) für die KB-Bullen gebildet.

Die erforderlichen Indexgewichte (bi) werden so berechnet, dass die Korrelation zwischen Index und definiertem Gesamtzuchtwert (nachfolgend mit T bezeichnet) maximiert wird (Henderson, 1963).

Eine Indexselektion (bei Konstanthaltung der Selektionsintensität und des Generationsintervalls) lässt bei unterschiedlicher Definition des Gesamtzuchtwertes (T) aufgrund einer differenzierten Bewertung der Merkmale variierende Zuchtfortschritte für den Gesamtzuchtwert (ΔGT) als auch für die Einzelmerkmale (ΔGi) erwarten.

Diese zu erwartenden Zuchtfortschritte insbesondere für die Einzelmerkmale (ΔGi) können anschließend im Sinne eines Effizienzvergleiches gegenübergestellt werden. Definiert man den Gesamtzuchtwert T – unter Beachtung der in der Tierzüchtung üblicherweise verwendeten Matrizennotation – so folgt:

und wendet zur Verbesserung des Gesamtzuchtwertes eine Indexselektion an, so lässt sich der interessierende Selektionsindex I wie folgt darstellen:

Der zu erwartende Zuchtfortschritt für den Gesamtzuchtwert (ΔGT) nach einer Generation gezielter Indexselektion kann nun wie folgt berechnet werden (z.B. Cunningham, 1975):

Die für die zugehörigen Einzelmerkmale zu erwartenden partiellen Zuchtfortschritte (ΔGi) resultieren dann wie folgt:

Die zu erwartenden genetischen Veränderungen in der Milchleistung (EKM) bzw. FA (in der Töchtergeneration bezüglich der definierten Laktationsabschnitte) ermöglichen gleichzeitig die Erfassung der Energiebilanz (∆EB) bzw. des Körpermasseabbaus (∆KM) vergleichsweise gegenüber der Muttergeneration (= Basisgeneration). Vorausgesetzt wurde ein mittleres Leistungsniveau von 11.000 kg EKM in der 2. Laktation (Gesamtlaktation).

Ergebnisse

Die wichtigsten Ergebnisse sind in der Tabelle 2 zusammengestellt. Zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Ergebnisse wurden sowohl die Selektionsschärfe als auch das Generationsintervall in allen 4 ZV gleich gestaltet.

Tab. 2: Zu erwartende Zuchtfortschritte pro Jahr (∆G/Jahr) bei differenzierter Auslese der Vatertiere (bei Konstanthaltung der Selektionsintensität sowie des Generationsintervalls)

Wie zu erwarten hat die Gestaltung der Vatertierauslese einen entscheidenden Einfluss auf die möglichen Zuchtfortschritte (∆Gi). Bei konsequenter Auslese der Vatertiere ausschließlich bezüglich der Milchleistung (Zuchtzielvariante: A) werden erwartungsgemäß die höchsten Zuchtfortschritte auch in diesem Merkmalskomplex erreicht. Eine solche einseitige Selektion lässt eine Zunahme der Milchleistung in der Gesamtlaktation von +99,8 kg EKM pro Jahr erwarten. Allerdings bleiben die indirekten Zuchtfortschritte für die Futteraufnahme vergleichsweise marginal; insbesondere in der Frühlaktation (Tab. 1).

Erst durch eine systematische (einseitige) Selektion auf FA, die ein routinemäßiges Vorhandensein von Daten zur Futteraufnahme voraussetzt (= Zuchtzielvariante: B), kann ein deutlich veränderter Trend in diesem Merkmalskomplex erreicht werden.

Der korrelierte Selektionserfolg in der Milchleistung bleibt nun erwartungsgemäß sehr begrenzt. Der mögliche Selektionserfolg (∆G) in der EKM (= summiert über alle Laktationsabschnitte) reduziert sich auf weniger als die Hälfte (gegenüber der Zuchtzielvariante A -vgl. Tab. 2).

Aus der Blickrichtung des notwendigen, vergleichsweise hohen Aufwandes einer tierindividuellen Merkmalserfassung zur Futteraufnahme wurden zusätzlich auch die möglichen Selektionseffekte berechnet, wenn die Vatertierauslese ausschließlich auf dem Merkmalskomplex ‚FA in der Frühlaktation (FA, Lakt_1)‘ beruht (+ 0,154 kg T/d – vgl. ZV.: C in Tab. 2).

Anzuerkennen ist, dass eine derartige Selektionspraxis den möglichen Zuchtfortschritt für den FA in der Frühlaktation (FA, Lakt_1) in besonderer Weise erhöht (ZV.: C – vgl. Tab. 2). Allerdings führt erst eine kombinierte, gleichzeitige Selektion auf hohe FA in der Frühlaktation bei gleichzeitig hoher Bewertung der Milchleistung, vor allem im dritten Laktationsabschnitt, zum gewünschten Erfolg (ZV.: D). Eine derartige Selektionsstrategie gewährleistet einen genügend hohen Zuchtfortschritt bezüglich der FA in der Frühlaktation. Gleichzeitig ist der (Gesamt-)Zuwachs der Milchleistung (= EKM) – gegenüber den ermittelten Werten in der ZV A – zwar deutlich reduziert aber insgesamt noch zufriedenstellend (Tab. 2).

Außerdem gewährleistet eine gleichzeitige Selektion auf hohe FA (in der Frühlaktation) mit gezielter Verbesserung der Milchleistung (vor allem in der 2. Laktationshälfte), dass die NEB in der Töchtergeneration – trotz weiterer Zunahme der Milchleistung in der Gesamtlaktation – deutlich abnimmt (Abb. 4).

Abb. 4: Einfluss der Zuchtzielvarianten A und D auf die Energiebilanz in der Frühlaktation

Gleichzeitig kann damit dem weiteren Körpermasseabbau gezielt züchterisch entgegengewirkt werden (Abb. 5).

Abb. 5: Einfluss der Zuchtzielvarianten A und D auf die Mobilisation von Körpermasse (∆KM) in der Frühlaktation der Töchter

Allerdings setzt eine derartige zukunftsorientierte Selektion sichere Informationen sowohl zur FA in der Frühlaktation als auch eine differenzierte Bewertung der Milchleistung in den verschiedenen Laktationsabschnitten voraus. Gleichzeitig könnte damit der neue Zuchtwert für die Persistenz (= RZPersistenz), der jüngst vom VIT Verden eingeführt wurde, wieder entfallen.

Unter den Bedingungen der genomischen Selektion sollte dieser Ansatz künftig jedoch gut realisierbar sein.

Da die FA nach der Kalbung das Ausmaß der NEB mitbestimmt, sind alle Fütterungs- und Managementmaßnahmen gleichzeitig weiter darauf auszurichten, dass die Kühe ein hohes FA-Potenzial (nach der Abkalbung) erreichen. Die Vermeidung einer Überkonditionierung der Kühe bereits während der Trockenstehphase und ein geringer Umweltstress sind deshalb hier zusätzlich zu nennen.

FAZIT

Die FA ist, wie gezeigt werden konnte, bei hochleistenden Kühen im ersten Laktationsdrittel besonders hoch positiv zu bewerten

Die Tatsache, dass es künftig möglich werden wird, hinreichend genaue genomische Zuchtwerte auch für die FA zu schätzen, erfordert auch eine klare Bewertung, wie am besten die Futteraufnahme im Zuchtziel (zukünftig) zu berücksichtigen ist.

Zusammenfassung

  • Die Züchtung hochleistender Milchkühe erfordert die Sicherstellung einer hohen Futteraufnahme; speziell in der Frühlaktation;
  • Eine Zuchtstrategie mit hoher Bewertung der Futteraufnahme in der Frühlaktation sowie gleichzeitig negativer Bewertung sehr hoher Einsatzleistungen stellt sicher, dass eine weitere Ausdehnung der negativen Energiebilanz (NEB) in künftigen Generationen vermieden wird. Eine derartige Zuchttierauslese reduziert allerdings den möglichen Gesamtzuchtfortschritt für die Milchleistung deutlich;
  • gezielte genetisch-züchterische Maßnahmen können managementbedingte Fütterungsfehler auf betrieblicher Ebene nicht ausgleichen.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. habil Wilfried Brade,
TiHo Hannover und Norddeutsches Tierzucht-Beratungsbüro

Email: wilfried.brade[at]t-online.de
 

(Weiterführende Literatur beim Autor erhältlich)