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Anpassung der Fütterung der Milchkühe an die Klimaveränderungen
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Wenn auch über die Ursachen der Klimaveränderung unterschiedliche Auffassungen diskutiert werden, gibt es deutliche Anzeichen, dass wir einen Klimawandel erleben.

Nach Böttcher, F. vom Deutschen Wetterdienst (2018) ist mit folgenden Erscheinungen zu rechnen:

  • Ausweitung des warmen Bereiches bei der Lufttemperatur!
  • Perioden mit hohen Außentemperaturen!
    (Trockenheit + höhere Verdunstung von Bodenwasser, sehr hohe Temperaturen) 
  • Veränderung der Niederschlagverteilung
    •  Trockenperioden im Frühjahr und Sommer
    •  höhere Niederschlagsmengen im Winter
  • Bestimmte Witterungsverhältnisse halten länger an (teilw. Monate)
  • zunehmend Auftreten von Extremereignissen (Gewitter, Stürme, Hitzewellen u.a.).

Für die Landwirtschaft, als stark vom Witterungsverlauf abhängiger Wirtschaftszweig, ergibt sich sowohl für den Pflanzenbau als auch für die Tierhaltung die Notwendigkeit, die wesentlichsten Faktoren zur Anpassung an die veränderten Bedingungen zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Im Bestreben, die Milchproduktion auch bei veränderten Klimabedingungen auf hohem Niveau zu halten, den modernen Managementmethoden den Zugang zu ermöglichen, die bedarfsgerechte Energie- und Nährstoffversorgung kontinuierlich zu gewährleisten und betriebsspezifisch optimale Milchleistungen mit gesunden Kühen und langer Nutzungsdauer zu erreichen, werden Veränderungen notwendig, die alle Gebiete von der Futterproduktion über die Rationsgestaltung bis zu den Haltungsbedingungen umfassen.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Anpassung an Witterungsveränderungen, die von periodenweise sehr hohen Außentemperaturen und veränderter Luftfeuchtigkeit bestimmt werden.

Fütterungsmaßnahmen bei erhöhten Außentemperaturen

Das Futteraufnahmevermögen in Abhängigkeit von der Außentemperatur ist genetisch fixiert. So beginnt die Verminderung der Futteraufnahme bei der afrikanischen Rasse N‘Dama erst bei 35° C, nach Afrika exportierte HF-Tiere begann schon bei 26° C schlecht zu fressen, die Kreuzungstiere lagen genau zwischen diesen Werten (Legel,1989).

Unter unseren Bedingungen liegt die optimale Stalltemperatur zwischen 5° und 18° C. Übersteigen die Außentemperaturen in unseren Breiten 26° – 28° C ist mit deutlichen Reaktionen zu rechnen. Werden diese Außentemperaturen wesentlich überschritten und von ungenügender Wärmeableitung und unzureichender Frischluftzufuhr begleitet, spricht man von „Hitzestress“.

Die Wirkung auf den tierischen Organismus ergibt sich aus dem Zusammenwirken von Temperatur und relativer Luftfeuchtigkeit. Aus beiden Messgrößen wurde für Milchkühe ein Index abgeleitet, der die reale Belastung widerspiegelt und als Temperatur-Feuchtigkeit-Index (THI = temperature hydro index) bezeichnet wird.

Abbildung 1: Temperatur-Feuchtigkeit-Index (THI = temperature hydro index)

Bei einem Index bis 70 ist mit keiner spezifischen Belastung zu rechnen. Im Bereich des Index von > 70 bis etwa 80 treten erste Einschränkungen auf, vor allem sinkt hier die Futteraufnahme bereits um mehr als 10 %. Erreicht der Index Werte über 80 bis 90 sind alle Kennzeichen eines „Hitzestress“ deutlich ausgeprägt und es sind spezifische Grundregeln der Fütterung einzuhalten, um Gesundheit und Leistungsvermögen des Tierbestandes zu sichern. Steigt der Index über 90, gilt es in erster Linie die Stabilität bzw. Überlebenschance der Herde zu gewährleisten.

Umso höher die rel. Luftfeuchtigkeit ansteigt, umso niedriger liegt die Temperaturgrenze für eine Belastung. Das soll folgendes Beispiel verdeutlichen:

Eine Belastung des Stoffwechsels beginnt in Abhängigkeit von der relativen Luftfeuchtigkeit schon bei Temperaturen um 25° C.

Nach Chase,2006; Thom, 1959; Zimbelmam et al. 2006 gilt folgende Einstufung:

Was bewirken hohe Außentemperaturen?

In erster Linie haben hohe Außentemperaturen bzw. hohe THI-Werte einen Leistungsabfall durch abnehmende Futteraufnahme zur Folge. (Zusammenfassung siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Ausgewählte Auswirkungen erhöhter THI-Werte bei Milchkühen

Bei Kühen kommt es bei länger anhaltender Hitze zu verminderter Brunst. Allgemein nimmt die Bewegungsaktivität ab, was nachteilig für die Futteraufnahme ist. Die Tiere versuchen überschüssige Wärme durch Wasserausscheidung (Verdunstung) abzugeben. Die Wasserverluste können über 60 % betragen. Atmungsfrequenz und Rektaltemperatur sind erhöht. Durch verstärkte Atmungsaktivität und andere Aktivitäten zur Wärmeabgabe ist der Energiebedarf erhöht.

Tiere, die unter Hitzestress leiden, neigen dazu länger zu stehen und sich seltener hinzulegen. Dies belastet die Klauen (unter anderem geringere Durchblutung) und erhöht den Energiebedarf. Die Kombination aus Hitzestress bedingtem Energiemangel und einer höheren Klauenbelastung ist die Ursache dafür, dass wenige Wochen nach dem Hitzestress vermehrt Klauenerkrankungen zu beobachten sind.

Der hohe Anteil an thermischer Energie stellt einen zusätzlichen Energieverlust dar, der die für Erhaltung und Leistung zur Verfügung stehende Energiemenge einschränkt (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Fütterungsmaßnahmen zur Verminderung der Bildung thermischer Energie bzw. Erleichterung der Wärmeabgabe

Mit dem Wasser werden viele Elektrolyte, d.h. Mineralstoffe abgegeben. Die Motorik des Pansens nimmt ab, so dass Grobfuttermittel eine längere Passagerate haben, was wiederum die Futteraufnahme beeinträchtigt.

Folgende Grundregeln sollten eingehalten werden (die Reihenfolge ist auch eine Rangfolge):

Kontinuierlich ausreichende Tränkwasserversorgung in guter Qualität gewährleisten.
Bei Temperaturen von 25° bis über 30° C werden von Milchkühen mit über 30 l Milch je Tag Wassermengen von 120 – 170 L benötigt, trockenstehende Kühe benötigen 80 – 85 L Tränkwasser. Davon wird etwa 1/3 der Menge nach dem Melken aufgenommen. Althergebrachte, sogenannte Selbsttränken reichen nicht mehr aus. Die Kühe nehmen große Mengen in kurzer Zeit (bis 25 l / min) auf. Am vorteilhaftesten sind Kipptränken von mind. 0,5 m, Die Kühe müssen ständig freien Zugang zur Tränke haben. Eine Kipptränke von 1,5 m versorgt max. 20 Kühe. Es sollten grundsätzlich zwei Tränken in jeder Gruppe sein. Diese müssen möglichst räumlich getrennt voneinander angebracht werden, da bei Hitzestress ranghohe Tiere dazu neigen Tränken zu blockieren. Es muss also gewährleistet sein, dass auch rangniedere Tiere immer Zugang zur Tränke haben. Die Temperatur des Tränkwassers hat praktisch keine Bedeutung.

Laufende Kontrolle der Tränkwasserqualität ist von größter Bedeutung.
Das trifft vor allem bei Nutzung eigener Brunnen und besonders bei Verwendung von offenen Gewässern, z. B. bei Weidebetrieb zu. (Orientierungsrahmen zur futtermittelrechtlichen Beurteilung zur hygienischen Qualität von Tränkwasser BELV, 25.05.2007).

Mindestanforderung an die Aufnahme von Faserstoffen einhalten.
Die ausreichende Versorgung mit strukturwirksamen Fasern (Rohfaser, NDF, ADF) ist die Voraussetzung, dass die Fermentationsvorgänge im Pansen optimal ablaufen. Entscheidend ist die ausreichende Menge je Tier und Tag:

Die Sicherung dieser Mengen in allen Rationen für laktierende und trockenstehende Kühe ist das erste Kriterium jeder bedarfsgerechten Fütterung (Rationsberechnung und Darbietung).

Ein Überschreiten dieser Anforderungen ist bei hohem THI – Werten wiederum zu vermeiden, da mit zunehmendem Gehalt an Faserstoffen eine höhere thermische Energie im Körper, d.h. Wärme, erzeugt wird. Auch hier zeigt sich, dass Betriebe, in denen exakt gerechnet und auf dieser Grundlage korrekt gefüttert wird, im Vorteil sind. 

Anpassung der Futterzeiten ab einem TH-Index über 70,

  • mindestens 2-malige Fütterung je Tag
  • 1/3 der Gesamtfuttermenge bis 6:00 Uhr morgens füttern
    2/3 der Gesamtfuttermenge ab 16:00 Uhr nachmittags füttern
  • Keine Zwischenlagerung von Grünfutter, Silagen und Mischrationen 
  • Sorgfältigste Restfutterbeseitigung

In diesem Zusammenhang ist auch auf ein sachgemäßes Beleuchtungssystem im Stall aufmerksam zu machen (16 -18 h hell, 6 – 8 h Dämmerphase), da in Hitzeperioden die größte Futtermenge in der Nacht gefressen wird.

► Hinweise zum Konzentrateinsatz bei erhöhten THI-Werten

  • jegliche azidotische und alkalotische Belastung vermeiden 
     
  • strikte Einhaltung der futtermittelspezifischen Restriktionen, besonders für Getreide bzw. Getreideprodukte < 4 kg/Tier und Tag

    Anteil von 240 (bis max. 260 g Stärke + wasserlösliche Kohlenhydrate, davon < 70 g wlK (Zucker+Fruktane) je kg der Ration, ein hoher Anteil Durchflussstärke (beständige Stärke) mit 800–1.200 g je Tier und Tag ist anzustreben
     
  • die Aufnahme an pansenungeschütztem Fett soll bei < 125 g/100 kg Lebendmasse liegen, das entspricht etwa einem Rohfettgehalt bis 45 g/kg TS). Bei Einsatz von pansengeschütztem Fett können die entsprechenden Werte auf < 225 g/100 kg LM bzw. 60–70 g/kg TS steigen.

Es soll hier bemerkt werden, dass bei exakter Einhaltung der Faserversorgung die Möglichkeiten des Einsatzes von Konzentraten und pansengeschützten Futterfetten unter Stressbedingungen ausgeschöpft werden sollten, da die Umsetzung im Stoffwechsel energetisch effektiv und die Wärmebelastung des Organismus geringer ist als bei Grobfuttermitteln.

Die bedarfsgerechte Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen ist entsprechend den Anforderungen zu gewährleisten. Die Menge an Mineralstoffen ist bei THI-Werten über 70 um etwa 10%, bei THI-Werten > 80 um 15–20% zu erhöhen.

Begrenzter Faserstoffeinsatz, aber auch Grobfuttermangel bzw. überhöhter Konzentrateinsatz, auch nasse Rationen und hohe Außentemperaturen führen häufig zu azidotischen Belastungen. Es ist üblich, unter solchen Bedingungen Pansenpuffer (z.B. Natriumhydrogenkarbonat NaHCO3 oder/und Magnesiumoxid MgO) einzusetzen. Obwohl Pansenpuffer nicht die mangelnde Strukturwirksamkeit ersetzen können (Schwimmdecke, Pansenkontraktionen, Wiederkauintensität) mildern sie als Notmaßnahme in solchen Situationen die negativen Auswirkungen.

Bei hohen THI-Werten, kann es zu den bekannten Auswirkungen des oxidativen und nitrosativen Stress („freie Radikale“) kommen, der u.a. den Immunstatus der Herde beeinträchtigt. Deshalb ist die ausreichende Versorgung mit 1.000 mg Vitamin E/Tier und Tag für alle Gruppen, auch der trockenstehenden Kühe, dringend notwendig. Bei ß-carotinarmen Rationen (z.B. hoher Maissilageanteil oder bei trockenstehenden Kühen hoher Strohanteil) kann ß-Carotin als Antioxidans ins Minimum geraten und es können erhebliche gesundheitliche Störungen und verminderte Fruchtbarkeit auftreten.

Im Zentrum des antioxidativen Potenzials spielen selenhaltige Enzyme eine große Rolle, die einen direkten Einfluss auf den Immunstatus einer Herde haben. Deshalb ist besonders unter Stressbedingungen eine ausreichende Versorgung mit Selen zu gewährleisten. Je kg TS der Ration sollen 0,2 mg Selen enthalten sein (GfE, 2001), d.h. die Tagesgaben der Ration liegen zwischen 3 und 5 mg Selen je Tier bei den Milchkühen und 0,5 mg/100 kg Körpermasse bei den Jungrindern. Inwieweit zusätzliche Gaben (über Eigensynthese hinaus) von Vitamin C bis 150 mg/100 kg Körpermasse und Tag auch bei Wiederkäuern den Hitzestress abbauen, wird unterschiedlich beurteilt.

► Der Einsatz von Futterzusatzstoffen ist unter Stressbedingungen in erster Linie auf die Pansenstabilität auszurichten. Hierfür haben sich die zugelassenen Lebendhefen und Hefefermentationsprodukte in besonderer Weise bewährt und sollten bei „Hitzestress“ in keiner Ration fehlen. Sie stimulieren und stabilisieren die Pansenfermentation, fördern die zellulytischen Bakterien im Pansen und erhöhen dadurch die Verdauung der Zellulose aus dem Grobfutter, was zu einer Erhöhung der Futteraufnahme führen kann.

Evtl. kann es bei hohen Außentemperaturen empfehlenswert sein, den Mischrationen Präparate zuzusetzen, die besonders die Entwicklung von Hefen, Bakterien und Pilzen hemmen (z.B. Propionsäure, Sorbinsäure u.a.). 

Im Zusammenhang mit den Fütterungsmaßnahmen wirken noch Haltungsfaktoren, die große Beachtung finden müssen:

  • direkte Sonneneinstrahlung minimieren (auch auf der Weide) 
    für ausreichend Luftbewegung sorgen (mit zusätzlichen Ventilatoren, bis 5 m/sec)
  • jede Überbelegung und ein Tier:Fressplatz-Verhältnis von 1:1,5, sowie ein zu langer Aufenthalt der Milchkühe in (oft zu engen) Vorwartehöfen und Belastungen durch beim Treiben und häufiges Umstellen wirken sich bei Hitze besonders nachteilig aus
  • die internationalen Erfahrungen mit Wasserduschen, d.h. das Besprühen der Tiere, die den Hitzestress maßgeblich vermindern und  zur Verminderung des Keimdruckes beitragen sollten verstärkt zur Anwendung kommen. Hier haben wir Nachholbedarf!

 

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. M. Hoffmann,
Fütterungsberater beim Sächsischen Landeskontrollverband e.V.

E-Mail: mhoffnaunhof(at)t-online.de

 

Foto: Fabio Lamanna/adobestock.com