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Trends in der globalen Holsteinzucht – Teil 2
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Trends im deutschen Besamungsbullenbestand und deren Umsetzung im Milchkuhbestand

Einleitung

Die praktische Umsetzung des züchterischen Fortschritts in den kommerziellen Milchrinderhaltenden Betrieben erfolgt im Wesentlichen über die Auswahl genutzter Vatertiere (KB-Bullen).

Der Milcherzeuger wünscht sich ein breites Angebot bester Bullen zu günstigsten Preisen.

Eine Vielfalt in der Angebotsliste ist zur Sicherstellung individueller Anpaarungen beziehungsweise zum Vermeiden von Inzucht wichtig.

Die genomische Selektion stellt ein innovatives Zuchtverfahren dar, das erfolgreich in die Zuchtpraxis überführt wurde (vgl. auch 1.Teil).

Wandel in der Zuchttierbewertung

Moderne Zuchtziele sind komplex. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche unerwünschte Merkmalszusammenhänge (= Merkmalsantagonismen) in der Milchrinderzüchtung existieren.

Man kommt also nicht umhin, die verfügbaren Zuchttiere (= KB-Bullen) nach einem Gesamtzuchtwert zu rangieren; d. h. die verschiedenen Teilinformationen (wie Milchleistungsveranlagung, Informationen zum Kalbeverlauf, Exterieur oder Fruchtbarkeit etc.) – auch aufgrund bestehender differenzierter Erblichkeiten (Heritabilitäten) und variierender Merkmalszusammenhänge - gewichtet zusammenzufassen.

Ein derartiger Gesamtzuchtwert (RZG, relativer Gesamtzuchtwert) kommt in Deutschland seit 1997 zur Anwendung (Abb. 1).

Abb. 1: Veränderung der relativen Gewichtung der verschiedenen Merkmalskomplexe im deutschen Gesamtzuchtwert (RZG) seit 1997 – eigene Grafik

In der Vergangenheit wurde der RZG - vergleichbar mit internationalen Entwicklungen - mehrfach modifiziert (Abb. 2). Der aktuell zur Zuchttierbewertung bei Deutschen Holsteins (DH) genutzte Gesamtzuchtwert (RZG) räumt der Milchleistung - vergleichsweise gegenüber den sogenannten funktionellen Merkmalen (Gesundheit, Nutzungsdauer, Fruchtbarkeit etc.) - eine deutlich geringere Gewichtung als frühere Selektionsindizes ein (Abb. 1). Dies ist auch auf globaler Ebene zu beobachten (Abb. 2).

Abb. 2: Entwicklung wichtiger Gesamtselektionsindizes in der internationalen Holsteinzucht im Zeitraum von 1996 bis 2022

Nachfolgend sollen wichtige genetische Trends auf der Basis der offiziellen Zuchtwertschätzung (Stand: Januar 2023) aufgezeigt und einige weitere Empfehlungen zur Bullenauswahl gegeben werden.

Breitgefächerte Zuchtwertschätzung

In der Holsteinzucht kommt der Zuchtwertschätzung – zwecks sicherer Bewertung der genetischen Veranlagung von Bullen und weiblichen Rindern – eine zentrale Rolle zu.

Sie basiert auf einer umfassenden Erfassung zahlreicher Leistungsdaten (z.B. unabhängiger Organisationen der Milchleistungsprüfung (MLP)) sowie weiteren Datenerfassungen auf Betriebsebene (z.B. von tierindividuellen Besamungen, tierärztlichen Behandlungen etc.).

In den international führenden Holsteinzuchten in Nordamerika und Westeuropa werden zwischenzeitlich Zuchtwerte für eine große Zahl wirtschaftlich wichtiger Merkmalskomplexe regelmäßig geschätzt:

  • Milchleistung (Milchmenge, Fettmenge, Eiweißmenge, Fett-%, Eiweiß-%)
  • somatischer Zellgehalt
  • Nutzungsdauer
  • Exterieur (in Deutschland: ≥20 lineare Merkmale, 4 Merkmalskomplexe)
  • Gesundheit (Euterentzündungen, Stoffwechselerkrankungen, Klauenerkrankungen und Fruchtbarkeitsstörungen)
  • Fruchtbarkeit (weibliche und männliche Fruchtbarkeit)
  • Kalbeeigenschaften (maternaler und direkter Kalbeverlauf)
  • Kälbervitalität und -gesundheit
  • Melkbarkeit und Melkverhalten.

Aufgrund der Vielzahl gleichzeitig zu berücksichtigender Merkmale werden viele dieser Einzelzuchtwerte oft in merkmalspezifischen Teilzuchtwerten (z.B. RZM, [= Relativzuchtwert Milch] etc.) kombiniert und schließlich in einem Gesamtzuchtwert (z.B. dem RZG) weiter zusammengefasst (Abb. 1 und 2).

Beispiel: Milchleistungsindex ‚RZM‘

Die Milchleistung einer Milchkuh ist zweifellos eines der wichtigsten Merkmale. Ohne die Fähigkeit einer Milchkuh, eine ausreichende Menge Milch zu produzieren, ist keine rentable Milcherzeugung möglich.

Der deutsche Milchleistungsindex (= RZM, Relativzuchtwert für die Milchleistung) erfasst das genetische Potenzial eines Tieres für die Fett- und Eiweißmenge.

Anzumerken bleibt, dass bereits der Milchleistungsindex in verschiedenen Ländern differenziert berechnet werden (ZWF-kg: Zuchtwert für die Fettmenge, ZWE-kg: Zuchtwert für die Eiweißmenge etc.):

Deutschland (vit Verden):
RZM= 100 + 0,240*ZWF-kg + 0,480*ZWE-kg

Skandinavien (D/S/F, Viking):
PI = 0,55*ZWF-kg + 0,70*ZWE-kg + (-0,25)*ZWMilch-kg

NL (CRV):
Inet = 2,1*ZWF-kg + 4,1*ZWE-kg +0,3* ZWLaktose-kg

Im deutschen RZM wird aktuell ein Gewichtungsverhältnis von 1:2 für die Fett- und Eiweißmenge gewählt. Eine direkte Berücksichtigung der Milchmenge erfolgt nicht.

In Skandinavien wird demgegenüber zusätzlich die Milchmenge negativ gewichtet. Dadurch wird sichergestellt, dass Zuchttiere mit hohen Milchinhaltsstoffen - bei vergleichbaren Milchfett- und Milcheiweißmengen - höher bewertet werden.

Im niederländischen Inet wird seit geraumer Zeit neben der Fett- und Eiweißmenge auch die Laktosemenge bewertet.

Bereits die in den verschiedenen Ländern genutzten Leistungsindizes lassen erkennen, dass die genetisch-züchterischen Ziele nicht vollständig vergleichbar sind. Sie führen regelmäßig zu differenzierten Bewertungen der gleichen Tiere in verschiedenen Zuchtprogrammen.

Weitere Relativierung der Ergebnisse

Der relative Gesamtzuchtwert (RZG) - wie auch die zugehörigen Teilzuchtwerte (für die Milchleistung: RZM, für das Exterieur: RZE, für die Nutzungsdauer: RZN, für die Gesundheit: RZgesund und andere mehr) - werden in Deutschland auf einer Skala mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 12 Einheiten ausgewiesen (‚relativiert‘). Dadurch soll sichergestellt werden, dass generell Werte ≥100 züchterisch positiv zu bewerten sind.

Beispiel: Ein Vatertier mit einem RZM = 136 ist drei genetische Standardabweichungen über dem Mittel aller geprüften Tiere einzuordnen (Abb. 3).

Ähnliche Ansätze werden auch in ausländischen Zuchtprogrammen praktiziert. Allerdings sind die zugehörigen Bezugsbasen leider wiederum nicht einheitlich.

Obwohl die Gesamtzuchtwerte (z.B.: RZG = relativer deutscher Gesamtzuchtwert, NTM = relativer skandinavischer (‚nordischer‘) Gesamtzuchtwert (= Total Merit), NVI = niederländischer Gesamtzuchtwert) nicht direkt miteinander verglichen werden können, sind sie alle durch zwei Kenngrößen weiter zu charakterisieren: Mittelwert und Standardabweichung.

Abb. 3: Mittelwerte und Standardabweichung verschiedener Gesamtselektionsindizes

Wie in der Abbildung 3 dargestellt, hat der nordische Gesamtzuchtwert (= NTM-Zuchtwert) einen Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 10. Der NVI ist wiederum davon abweichend definiert.

Auch wenn die Mittelwerte und Standardabweichungen zwischen den Gesamtzuchtwerten unterschiedlich sind, ist eine Gegenüberstellung der verschiedenen Werte – bei korrekter Beachtung dieser Zusammenhänge – möglich:

  • Bullen mit einem RZG über 124 repräsentieren die besten 2,5 % der Rasse in Deutschland;
  • Bullen mit einem NTM über 20 gehören zu den besten 2,5 % der Holstein-Rasse in Dänemark, Schweden und Finnland;
  • Bullen mit einem NVI über 174 gehören zu den besten 2,5 % der Holstein-Rasse in den Niederlanden.

Aus genetisch-züchterischer Sicht ist eine differenzierte Bewertung verschiedener Merkmalskomplexe und damit Gestaltung modifizierter Holstein-Zuchtprogramme letztlich nur begrüßenswert, da es der Sicherstellung genetischer Diversität in der globalen Holsteinpopulation dient.

Analysiertes Datenmaterial

Der Zuchtfortschritt in einem Milchkuhbestand ist von einer Vielzahl differenzierter Faktoren abhängig (z.B. Selektionsschärfe genutzter Vatertiere etc.).

Der Zuchtwert eines Vatertieres läßt sich generell als das Doppelte der möglichen genetisch bedingten Merkmalsveränderung in der Nachzucht (∆GTöchter; formelmäßig: ZWVäter = 2*∆GTöchter) charakterisieren. Zur Begründung: die Nachkommen (Töchter) erhalten regelmäßig ‚nur‘ die Hälfte ihrer Gene vom Vater.

Zur Erfassung genetischer Trends standen die Zuchtwertschätzergebnisse aller in deutsche KB-Stationen eingestallten Holstein-Bullen der Bullenjahrgänge 1995 bis 2021 zur Verfügung (Stand: Zuchtwertschätztermin: Januar 2023).

Vorausgesetzt wurde weiter, dass diese Vatertiere auch im Rahmen der KB zum Einsatz gelangten.

Ergebnisse für den deutschen Holsteinbullenbestand

In der Milcherzeugung mit deutschen Holsteinkühen (DH) kann eine jährliche Anhebung des beobachtbaren (=phänotypischen) Leistungsniveaus (∆P/Jahr) für die Milchmenge in Höhe von ca. 100 bis 120 kg Milch/Kuh/Laktation in den letzten beiden Jahrzehnten genannt werden (vgl. auch Ausführungen im Teil 1 dieses Beitrages).

Wertet man zugehörige genetische Trends im Besamungsbullenbestand (∆ZW) aus, so lässt sich weiter schlussfolgern, dass dieser Leistungsanstieg vorrangig durch gezielte genetisch-züchterische Aktivitäten sichergestellt werden konnte (Abb. 4).

Abb. 4: Trends bezüglich der Milchleistungsmerkmale (∆ZW) im deutschen Holsteinbullenbestand (Farbrichtung: Schwarzbunt) in den zurückliegenden Jahren (eigene Auswertung)

Da keine nennenswerten Veränderungen im Milchfett- bzw. Milcheiweißgehalt im Bullenbestand angestrebt wurden, liegen die zugehörigen genetischen Veränderungen für die Milchfett- und -eiweißmenge auf einem sehr ähnlichen Niveau (Abb. 4). Gleichzeitig ist eine bemerkenswerte Konstanz der jährlichen Zuchtwertveränderungen (∆ZWJahr), speziell für die Milchmengenmerkmale, anzuerkennen (Abb. 4).

Demgegenüber sind für zahlreiche funktionelle Merkmale, insbesondere auch für die Nutzungsdauer (RZN), nennenswerte Zuchtfortschritte im Vatertierbestand erst mit der Etablierung der genomischen Selektion zu beobachten (Abb. 5).

Abb. 5: Genetische Trends bezüglich ausgewählter funktioneller Zuchtwerte (∆ZW) im deutschen Holsteinbullenbestand (Farbrichtung: Schwarzbunt) in den zurückliegenden Jahren

Aufgrund eines deutlichen Merkmalsantagonismus zwischen Milchleistung und Fruchtbarkeit (hier: Rastzeit, RZ) zeigt sich – in Verbindung mit einem hohen Selektionsdruck auf die Milchleistungsmerkmale speziell in der jüngeren Vergangenheit – sogar ein negativer genetischer Trend bis in die jüngsten Holsteinbullengenerationen (Abb. 5).

Die konsequente, langjährige Selektion der genutzten Vatertiere auf immer höhere Milchleistung in enger Verbindung mit einer völlig ungerechtfertigten Wertschätzung sehr edler, sehr großer Tiere im extremen Milchcharakter führten darüber hinaus zur regelrechten „Wegzüchtung“ wichtiger Körperreserven, die in Form negativer Trends – speziell in den Körperkonditions(BCS)-Zuchtwerten – auch nachgewiesen werden können (Abb. 6).

Abb. 6: Trends bezüglich ausgewählter Exterieurzuchtwerte (∆ZW) im eingestallten deutschen Holsteinbullenbestand (Farbrichtung: Schwarzbunt) in den zurückliegenden Jahren (eigene Grafik)

Und dieser Trend hält leider immer noch an; wie auch die jüngsten auswertbaren Besamungsbullenjahrgänge zeigen (Abb. 6). Mit anderen Worten: „Die Holsteinzüchter sollten umdenken: Weg von ‚falschen Schönheitsidealen‘ in Form von sehr edlen, sehr großen Kühen mit einem extrem scharfen Widerrist etc., sondern betonte Hinwendung zur Funktionalität/Stabilität der Kühe“.

Da die verfügbaren Vatertiere allerdings in praxi sehr unterschiedlich - vorrangig in Abhängigkeit von ihren individuellen Zuchtwerten und weniger vom Jahrgang des Bullen - genutzt werden, bleibt schließlich noch der genetische Trend im Milchkuhbestand zu verifizieren.

Abb. 7: Die verfügbaren KB-Bullen werden in praxi in Abhängigkeit von ihren individuellen Zuchtwerten oft sehr unterschiedlich intensiv genutzt (Foto: W. Brade)

Umsetzung des genetischen Trends im Milchkuhbestand

Die beobachtbaren (= phänotypischen) Milchmengenleistungen (305-Tage Leistungen) haben sich in den letzten 30 Jahren erheblich erhöht (vgl. auch Daten im 1. Teil).

Hüneke (2023) nennt einen mittleren Anstieg von +111,2 kg Milch pro Jahr für Holstein-Kühe in der 2. Laktation auf Ebene der deutschen Holsteinpopulation in den letzten 20 Jahren. Der genetische Trend für die Milchmenge (M-kg) ist ähnlich und zeigt einen mittleren Zuwachs von +91,2 kg Milch pro Jahr.

Vergleicht man den genetischen Trend im Kuhbestand mit dem im Vatertierbestand, so kann geschlussfolgert werden, dass der Zuchtfortschritt im KB-Bullenbestand bezüglich der Milchmengenleistung erfolgreich in praxi umgesetzt werden konnte (Abb. 4 und 5).

Und wie ist es bezüglich des Merkmals ‚Nutzungsdauer‘? Mit einer aktuellen Nutzungsdauer von 1178 Tagen (ca. 39 Monate) liegt die Nutzungsdauer der deutschen Holstein-Population auf einem international vergleichbaren Niveau (Hüneke, 2023). Allerdings kann nur ein leicht positiver phänotypischer Trend (∆P = +8 Tage pro Jahr) in den letzten beiden Jahrzehnten beobachtet werden; deutlich weniger als genetisch-züchterisch erwartet.

Interessanterweise ist ein nur geringer phänotypischer Trend (∆P) im Merkmal „Nutzungsdauer, ND“ auch für die bayerische Fleckvieh-Population zu nennen (Abb. 8).

Abb. 8: Entwicklung der Nutzungsdauer von Milchkühen in bayerischen MLP-Betrieben in Abhängigkeit von der Rasse (eigene Grafik nach Angaben des LKV Bayern)

Offensichtlich wird der genetisch-züchterische Zuchtfortschritt für die ND im Vatertierbestand nicht in gleicher Weise auch im Milchkuhbestand umgesetzt. Mögliche Gründe für diese unbefriedigende Entwicklung dürften vielfältiger Natur sein:

  • ein (bis in die jüngste Vergangenheit genutztes) nur ungenaues Zuchtwertschätzmodell für die Nutzungsdauer auf Basis des ‚Survival Kit‘, das leider im Vit Verden noch bis 2018 zur Anwendung kam (Brade, 2018),
  • die gängige Managementpraxis, möglichst früh eine Altkuh durch eine Färse zu ersetzen,
  • die Nichtbeachtung eines zunehmenden Energiedefizits in der Frühlaktation mit zunehmender Milchleistung und
  • die kontraproduktive Selektion auf immer edlere Holstein-Milchkuhtypen (Abb. 6).

Außerdem basiert(e) die Erhöhung der Milchmengenleistung (in der Gesamtlaktation) auf einer gleichzeitigen Zuchtwahl auf eine immer höhere Einsatzleistung.

Ungeachtet der begrenzten Futteraufnahmekapazität – vor allem zu Beginn der Laktation – hat dieser Leistungszuwachs zu einer kontinuierlichen Zunahme der negativen Energiebilanz (NEB) in der Frühlaktation geführt (Brade, 2019). Eine lang andauernde und umfassende NEB muss als ein bedeutender Risikofaktor für verschiedene Erkrankungen bzw. Fruchtbarkeitsstörungen angesehen werden (Martens, 2018).

Der Energiestatus von Milchkühen ist ein Merkmal, das in aktuellen Zuchtprogrammen leider (noch) nicht berücksichtigt wird (Abb. 9).

Abb. 9: Zahl Tage mit Energieunterversorgung in Abhängigkeit von der Leistungshöhe; Rationstyp: Grassilage bestimmt (eigene Berechnungen)

Bedingungen: multipare Kühe; mittlere Milchinhaltsstoffe: 4,1 %F; 3,45 % Eiw.; Körpermasse am Ende der Laktation: 675 kg

Wir sollten uns deshalb auch nicht wundern, wenn regelmäßig, speziell die Altkühe (≥ 3. Laktation), in einem ausgelaugten, kranken Zustand zum Schlachter gehen.

Der zunehmende Anteil der P1-Kühe am Schlachtkuhanteil ist bester Beweis für diese züchterische Fehlentwicklung; speziell im Holsteinbereich (Abb.10).

Abb. 10: Entwicklung des Anteils der Schlachtkühe in der Klassifizierung P1 in Niedersachsen/Bremen (eigene Grafik und Berechnung des zugehörigen Polynoms)

Dieses Resultat passt wiederum gut mit dem beobachteten negativen Trend bezüglich der Körperkonditions-Zuchtwerte (BCS-Zuchtwerte) im Vatertierbestand überein (Abb. 6).

Da an die zukünftigen Milchkühe weiterwachsende Ansprüche, insbesondere bezüglich ihrer Funktionalität und Gesundheit, gestellt werden müssen, ist eine weiter abnehmende Gewichtung der Milchmengenleistung, speziell in der Frühlaktation, in zukünftigen Gesamtzuchtwerten (RZG) zu erwarten.

Ohne zusätzliche Beachtung der tierindividuellen Futter- bzw. der Futterenergieaufnahme in der Frühlaktation sollten künftige Zuchtansätze sowohl von konventionellen Milchkuhhaltern als auch von den Verbrauchern nicht länger akzeptiert werden. Die Züchtung bleibt spannend!

FAZIT

  1. Die Etablierung der genomgestützten Selektion ermöglichte den breiten und erfolgreichen Einsatz sehr junger Vatertiere; ohne das Vorliegen der Ergebnisse aus der Töchterprüfung.
  2. Bezüglich der Milchleistung ist eine Anhebung der genetisch bedingten Leistungsveranlagung im Holsteinkuhbestand um etwa +1800 kg Milch/Kuh/Laktation in den letzten 20 Jahren anzuerkennen.
  3. Der in den zurückliegenden Jahren zu beobachtende Rückgang der genetischen Veranlagung für Fruchtbarkeitsmerkmale (z.B. Rastzeit) konnte in den jüngsten KB-Bullengenerationen wieder gebrochen werden.
  4. Die langjährige Selektion der genutzten Vatertiere auf immer höhere Milchleistung in Verbindung mit einer völlig ungerechtfertigten hohen Wertschätzung sehr edler, sehr großer Tiere im extremen Milchcharakter führten zur ‚Wegzüchtung‘ wichtiger Körperreserven. Der genetische Trend im Vatertierbestand bezüglich der Körperkonditionsvererbung ist seit Jahren deutlich negativ.
  5. Stark negative Vererber im BCS-Zuchtwert sind in zukünftigen KB-Zuchtprogrammen zu meiden.
  6. Die Ursachen für die zu beobachtende Nichtumsetzung des genetisch-züchterischen Fortschrittes für die Nutzungsdauer im KB-Bullenbestand auf phänotypischer Ebene im aktuell genutzten Milchkuhbestand bedürfen einer weiteren Prüfung.
  7. Künftige weitere intensive Leistungssteigerungen in der Frühlaktation - ohne Beachtung der zugehörigen NEB - sollten aus Gründen des Tierschutzes und des Wohlbefindens hochleistender Milchkühe abgelehnt werden.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. habil. Wilfried Brade,
TiHo Hannover sowie Norddeutsches Tierzucht-Beratungsbüro

Email: wilfried.brade@t-online.de

(Genutzte Literatur beim Verfasser erhältlich).
Fotos (Dr. Katrin Mahlkow-Nerge & Prof. Dr. Wilfried Brade)