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Trends in der globalen Holsteinzucht – Teil 1
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Aktueller Leistungsstand in Deutschland sowie weitere Internationalisierung züchterischer Aktivitäten

Einleitung

Zuchtziele unterliegen einem stetigen Wandel und damit auch gezielten Anpassungen an die jeweils vorhandenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. Verbraucherwünsche. Generell sollte das Zuchtziel die Rentabilität des Erzeugerbetriebes positiv beeinflussen, die erzeugten Produkte die von den Verbrauchern gewünschte Qualität aufweisen, die Gesundheit der Tiere nicht gefährden und nicht im Widerspruch zum Tierschutz stehen.

Moderne Zuchtziele sind somit notwendigerweise sehr komplex.

Bereits aktuell werden im Rahmen von Zuchttierbewertungen mehr als 75 Merkmale in den meisten nordamerikanischen bzw. nordwesteuropäischen Holstein-Zuchtprogrammen erfasst. Neben den Milchleistungsmerkmalen, Fruchtbarkeits- und Abkalbedaten sowie der Nutzungsdauer werden beispielsweise oft mehr als 20 Exterieurmerkmale in der Holstein-Züchtung vieler Länder berücksichtigt.

Vorliegende Arbeit hat das Ziel, aktuelle Entwicklungen in der Züchtung von Holstein-Rindern – unter besonderer Berücksichtigung der Etablierung einer genomisch basierten Zuchtwertvorhersage für wichtige Merkmale in der Holsteinzucht – aufzuzeigen.

Ist-Stand der Holstein-Züchtung in Deutschland

Mittlere Herdenleistungen mit reinrassigen Holstein-Kühen von über 12.000 kg Milch/Kuh/Jahr sind heute keine Seltenheit mehr.

Demgegenüber muss die Situation bezüglich der Nutzungsdauer bzw. Erkrankungshäufigkeit der Tiere aus Sicht der landwirtschaftlichen Unternehmen bzw. der Verbraucher häufig als nicht immer vollständig befriedigend bezeichnet werden.

Die Zunahme der Laktationsleistungen hat gleichzeitig auch zu einer spürbaren Erhöhung der Lebensleistung genutzter Holsteinkühe, speziell in den letzten Jahren, geführt. (Abb. 1).

Abb. 1: Ergebnisse aus der Milchleistungsprüfung (MLP) gemerzter Kühe, dargestellt am Beispiel von MLP- Daten aus Schleswig-Holstein (Basis: Schwarzbunte Holsteinkühe) zu verschiedenen Zeitpunkten (eigene Grafik – erstellt nach Angaben des LKV SH)

Anm.: ND = Nutzungsdauer, LL = Lebensleistung der gemerzten Kühe

In den neuen Bundesländern hat sich in den letzten drei Jahrzehnten die mittlere jährliche Milchmengenleistung je Kuh sogar fast verdoppelt; allerdings bei einer gleichzeitig deutlichen Abnahme des mittleren Milchfettgehaltes (Abb. 2).

Hier ist die praktizierte Verdrängungskreuzung des ehemaligen SMR (= Schwarzbuntes Milchrind der DDR) in den frühen 1990-er Jahren noch erkennbar (Abb. 2).

Abb. 2: Ergebnisse der Milchleistungsprüfung (MLP) Schwarzbunter Milchkühe in Sachsen-Anhalt in verschiedenen Kontrolljahren (eigene Grafik)

In vielen Milchkuhhaltungen, speziell in den sehr großen Herden in Ostdeutschland, ist jedoch nach wie vor die Abgangsrate zu hoch. In einigen Betrieben liegen die Raten ≥ 36 %. Hier reicht die eigene Nachzucht oft nicht aus, den Kuhbestand aus eigener Nachzucht vollständig zu remontieren (Abb. 3).

Abb. 3: Mittlere Nutzungsdauer (in Monaten) sowie Lebensleistung (LL, in kg Milch) gemerzter Kühe in Abhängigkeit von der Herdengröße in Sachsen in 2014 bzw. 2022 (nach Angaben des LKV Sachsen)

Hauptabgangsursachen sind generell: Unfruchtbarkeit, Störungen der Eutergesundheit, Erkrankungen der Klauen/Gliedmaßen sowie Stoffwechselstörungen (Abb. 4).

Abb. 4: Relativer Anteil ausgewählter Abgangsgründe in SH in 2021/22, dargestellt in Abhängigkeit vom Produktionsniveau (eigene Grafik)

Das Managementniveau auf Betriebsebene ist eine der wichtigsten Faktoren für das Erzielen einer langen Nutzungsdauer und einer hohen Lebensleistung.

Aktuelle Gestaltung von Holstein-Zuchtprogrammen

Die praktische Umsetzung des züchterischen Fortschritts in den Betrieben erfolgt im Wesentlichen über die Auswahl der eingesetzten Vatertiere. Der Milcherzeuger wünscht sich ein breites Angebot bester Bullen zu günstigsten Preisen.

Die gleichzeitige Möglichkeit der weltweiten Nutzung bester Bullen über Tiefgefriersperma sowie das Vorhandensein von aktiven ausländischen Anbietern auf dem deutschen Markt lassen auch länderübergreifende Zuchttierbewertungen immer wichtiger werden (Abb. 5).

Abb. 5: Die Umsetzung des züchterischen Fortschritts in den Milchkuhhaltenden Betrieben erfolgt vorrangig über die richtige Auswahl der eingesetzten Vatertiere (Foto: W. Brade)

Wertet man den Anteil der TOP-50-Bullen - unter Einbeziehung aller weltweit(!) töchtergetesteten Bullen (= Interbull-TOP-Liste) auf deutscher Basis (= RZG; deutscher Gesamtzuchtwert) - aus, so zeigt sich: nach wie vor bestimmen die US-amerikanischen Vatertiere auch diese deutsche TOP-Liste (Tab. 1).

Tab. 1: Herkunft der internationalen TOP-50-Spitzenbullen (auf deutsche Basis: RZG*): töchtergeprüfte Holsteinbullen (Schwarzbunt; Interbull-Auswertung)

Weniger dominierend sind aktuell niederländische oder skandinavische Vatertiere, da ihre aktuelle Bullenauswahl von der deutschen Auslesepraxis deutlich verschieden ist (Tab. 1). Das bedeutet aber nicht, dass unsere Nachbarn ihre Zuchtbegeisterung aufgegeben hätten. Im Gegenteil!

Da der aktuelle deutsche RZG (= deutscher Gesamtzuchtwert) nachweislich stark am US-amerikanischen TPI (= US-amerikanischer Gesamtzuchtwert) orientiert ist, sollte dieses Ergebnis nicht überraschen (Tab. 1).

Die Zucht des deutschen Holsteins-Rindes ist somit seit ca. 40 Jahren stark „internationalisiert“. Der internationale Genaustausch erfolgt - neben einem regelmäßigen Spermaaustausch - zusätzlich auch durch gezielte Embryonenimporte beispielsweise aus den USA (Abb. 6).

Abb. 6: Herkunft (= Zuchtgebiet) der Top-100-Bullen (Schwarzbunte Holsteinjungbullen) der Geburtsjahrgänge 2020 bis 2021 sowie ihrer Väter bzw. Mutterväter (Selektionskriterium der Top-100-Bullen: RZG) - eigene Auswertung (Jan. 2023)

Das deutsche Holstein-Zuchtprogramm wird somit seit Jahrzehnten durch die gezielte Integration nordamerikanischer Bullen beeinflusst (Abb. 6). Gleichzeitig ist damit auch eine hohe Internationalisierung der Holstein-Zucht anzuerkennen, denn nordamerikanische Bullenväter werden in den meisten westeuropäischen Holsteinpopulationen intensiv genutzt.

Zucht auf Hornlosigkeit

Zahllose Diskussionen über moderne Tierhaltungen und Tierschutz in den verbraucher-wirksamen Medien (Fernsehen, Printmedien etc.) einschließlich Vermeidung von Leiden und Schmerzen bei Nutztieren katapultierte auch die Zucht auf Hornlosigkeit bei den Holstein-Rindern in den Vordergrund züchterischer Aktivitäten.

Die Vererbung der Hornlosigkeit wird vom sogenannten P-Genort gesteuert (= P-Locus).

Das Fehlen von Hörnern wird durch ein Hauptgen, das auf dem 1. Chromosom des Rindes liegt, kontrolliert. Die englische Bezeichnung für hornlos lautet ‚polled’ (P). Das Allel (= Erbfaktor) für Hornlosigkeit (= P) ist dominant über gehörnt (= p).

Da jedes Tier zwei Allele an einem Genort hat (= je 1 vom Vater bzw. der Mutter), folgt daraus, dass es drei mögliche Genotypen und zwei mögliche Phänotypen (= äußere Erscheinungsformen) gibt:

Genotyp DefinitionPhänotyp
PPreinerbig dominanthornlos
Ppmischerbig (heterozygot)hornlos
ppreinerbig rezessivbehornt

Zwischenzeitlich wurden auch Gentests zum Nachweis des vorliegenden Genotyps entwickelt, so dass reinerbig dominante (= PP-Tiere) von ihren mischerbigen Counterparts (= Pp) frühzeitig differenziert werden können.

In den USA haben sich vor allem die beiden Zuchtbetriebe Burket-Falls und Hickorymea seit Jahrzehnten mit der gleichzeitigen Züchtung auf Hornlosigkeit beschäftigt.

Der internationale Genaustausch hat somit auch zur gezielten Introgression des Hornlosgens in die deutsche Holsteinpopulation geführt.

Die Etablierung der genomischen Selektion - in Verbindung mit der gleichzeitigen Entwicklung eines Gentests für Hornlosigkeit - hat das Angebot von PP bzw. Pp-Bullen,

vor allem bei den Red Holsteins, zwischenzeitlich in Deutschland schnell ansteigen lassen (Abb. 7).

Abb. 7: %-Anteil hornloser Bullen am Gesamtbestand genutzter KB-Bullen in Deutschland innerhalb verschiedener Geburtsjahrgänge in Abhängigkeit von der Farbrichtung (eigene Auswertung)

Anm.:  reinerbig hornlose Vatertiere: PP-Bullen, mischerbige hornlose Vatertiere: Pp-Bullen

Die Zahl der Züchter, die ihre Kühe mit ‚Polled-Bullen‘ anpaaren, wächst kontinuierlich.

Aus genetisch-züchterischer Blickrichtung ist dies sehr vorteilhaft, da so einerseits das Hornlos-Gen schnell weiterverbreitet und gleichzeitig die zugehörige Zuchtbasis in der Holsteinzucht systematisch erweitert wird.

Aus züchterischer Sicht ist es sogar empfehlenswert, die besten verfügbaren hornlosen Bullen (PP oder Pp) weiter gezielt an die besten behornten Holstein-Rinder (pp-Rinder) anzupaaren, um die zugehörige genetische Variabilität innerhalb der Hornlosen zu erhöhen und so gleichzeitig eine immer breitere Selektionsbasis zu schaffen.

DNA-basierte Züchtung

Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) sind ein relativ neuer Weg, um Gene zu identifizieren, die an einem quantitativen Merkmalswert (Milchmenge, Körpergröße etc.) beteiligt sind (Meuwissen et al. 2001, Schaeffer 2006).

Dieser Ansatz durchsucht das Genom nach kleinen Variationen einzelner Basenpaare in einem DNA-Strang. Man bezeichnet die Variationen einzelner Basenpaare auch als Einzelnukleotid-Polymorphismen (engl.: Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs).

Eine wichtige Voraussetzung für die Durchführung solcher GWA-Studien war u.a. die Entwicklung von Mikroarrays; wiederum in den USA vor ca. 15 Jahren.

Mit der Verfügbarkeit von Mikroarrays wurde einerseits die Möglichkeit zur Erfassung von genomweit verteilten SNPs und andererseits die Grundlage für die Etablierung einer genomisch gestützten Selektion bei Rindern geschaffen (Abb. 8).

Abb. 8: Schematische Darstellung der Nutzung einer Referenzpopulation zur Vorhersage von genomisch gestützten Zuchtwerten für ein definiertes Merkmal

Genomisch gestützte Zuchtwertvorhersagen (gZW) basieren auf der Nutzung einer sogenannten Lernstichprobe aus Tieren, die sowohl genotypisiert als auch phänotypsiert (= Erfassung des interessierenden Merkmals/Erkrankung) sind (Abb. 8).

In der Tabelle 2 ist die rasante Entwicklung der genomisch gestützten Zuchtwertvorhersage, unter besonderer Beachtung der gleichzeitigen Etablierung einer zugehörigen Zuchtwertschätzung auf Gesundheitsmerkmale, sowohl in der US-amerikanischen Holsteinzucht als auch in Westeuropa, dargestellt.

Tab. 2: Etablierung der genombasierten Selektion bei Holsteinrindern in den USA und Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von Gesundheitszuchtwerten

Seit April 2019 werden für Deutsche Holsteinrinder nun auch direkte Zuchtwerte für Gesundheitsmerkmale (RZgesund) ausgewiesen (Tab. 2).

Neben den klassischen leistungsbasierten Zuchtwerten stellen die auf geschätzten SNP-Effekten basierenden genomischen Zuchtwerte eine neue Informationsquelle für Zuchtkälber dar. Sie erlaubt(e) eine radikale Verkürzung des Generationsintervalls (Abb. 9).

Abb. 9: Zeitlicher Ablauf beim Einsatz von Jungbullen als Bullenväter auf Basis einer genombasierten Auswahl

Voraussetzung für die konsequente Etablierung der genomischen Selektion war die Sicherstellung einer hinreichenden Genauigkeit der genomischen Zuchtwerte (gZW) für Zuchtkälber (Brade 2013).

Frühe Studien in den USA zeigten, dass für ein Kalb der genomische Zuchtwert für die Milchleistung etwa die Sicherheit erreichte, als ob man die Leistungen von zehn bis zwölf Nachkommen gemessen hätte (Van Raden et al. 2008; Van Raden et al. 2009). Zwischenzeitlich wurde eine weitere deutliche Verbesserung der zugehörigen Sicherheiten, speziell auch für wichtige funktionelle Merkmale, erreicht.  

Aktuelle Auswertungen zeigen, dass eine Sicherheit der direkten genomischen Werte von über 70% für die Milchleistungsmerkmale und über 50% für die Gesundheitsmerkmale aktuell in der deutschen Holsteinzucht sichergestellt werden kann.

Diese Zunahme der Sicherheit der genomisch gestützten Zuchtwerte erlaubte nun auch eine deutliche Zunahme des Anteils sehr junger, nicht töchtergeprüfter Bullen in der deutschen Holsteinzucht im Rahmen der künstlichen Besamung (Abb. 10).

Abb. 10: Anteil der Besamungen mit genomisch vorselektierten Besamungsbullen (Jungbullen) im deutschen Holsteinzuchtbereich zu verschiedenen Zeitpunkten (Basis: Auswertung: vit Verden, 2022) - eigene Grafik

Die Etablierung der genomisch begründeten Selektion steigerte gleichzeitig den realisierten genetischen Fortschritt in zahlreichen Holsteinzuchtprogrammen. Die in der deutschen Holsteinzucht zugehörigen Veränderungen sollen in dem demnächst erscheinenden Teil 2 detailliert aufgezeigt werden.

FAZIT

  1. Das Holstein-Rind ist hinsichtlich seines genetisch-züchterischen Potenzials bezüglich der Milchmengenleistung unter günstigen Fütterungs-/Haltungsbedingungen bei gleichzeitig hohem Kraftfuttereinsatz und ganzjähriger Stallhaltung zweifellos anderen zur Milcherzeugung genutzten Rassen in Deutschland überlegen. Weniger vorzüglich erweisen sich solche Merkmale wie Robustheit und Krankheitsanfälligkeit.
  2. Moderne Zuchtziele sind komplex. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche unerwünschte Merkmalszusammenhänge in der Milchrinderzüchtung existieren.
  3. Der kommerzielle Milcherzeuger verlangt eine hoch veranlagte, problemlose und stabile Milchkuh mit möglichst langer Nutzungsdauer.
  4. Die Zucht auf Hornlosigkeit hat in jüngster Zeit - vor dem Hintergrund zahlreicher Diskussionen zum Tierschutz und moderner Tierhaltungen - auch in der Holsteinzucht eine enorme Aufmerksamkeit erfahren. Das Angebot und die Qualität von Holstein-Bullen mit dem Hornlos-Gen nehmen kontinuierlich zu.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. habil. Wilfried Brade,
TiHo Hannover sowie Norddeutsches Tierzucht-Beratungsbüro
Email: wilfried.brade[at]t-online.de

(Genutzte Literatur beim Verfasser erhältlich).
Fotos (Dr. Katrin Mahlkow-Nerge & Prof. Dr. Wilfried Brade)