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Neue Versorgungsempfehlungen für Milchkühe
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Die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) mit Sitz in Frankfurt am Main ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus allen Bereichen der Tierernährung. Ihr Ziel ist es, ein Diskussionsforum zu bieten, auf dem Wissenschaftler untereinander Probleme erörtern und gemeinsam nach Lösungen suchen können. Primär werden, als Grundlagen der praktischen Tierernährung, Bewertungsmaßstäbe für Futtermittel und Nährstoffbedarfsnormen für Nutztiere erarbeitet und fortlaufend aktualisiert. Aber auch alle anderen aktuellen Fragestellungen aus dem Gesamtgebiet der Tierernährung werden behandelt (Quelle GfE).

Vor einigen Jahren hat der Ausschuss für Bedarfsnormen der GfE (AfBN) mit der Prüfung des gültigen deutschen Futterbewertungssystems auf Aktualität begonnen. Dieses gilt seit 2001 und wird im Folgenden mit GfE (2001) abgekürzt. Das überarbeitete und im September 2023 von der GfE veröffentlichte Futterbewertungssystem und die darauf aufbauenden Bedarfsempfehlungen wird im Folgenden als GfE (2023) bezeichnet.

Fachlicher Hintergrund

Umfangreiche Fütterungsversuche mit Rindern unterschiedlicher Rassen, unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen Laktationsstadien haben ergeben, dass der Energiebedarf der Milchkühe nach GfE (2001) zunehmend mit der Leistung um etwa 4 – 5 % unterschätzt wird, was eine Überarbeitung der aktuell gültigen Futterbewertung notwendig machte. Die nun umfassend überarbeiteten Versorgungsempfehlungen für Milchkühe legen einen besonderen Wert auf die Einbeziehung von Laborverfahren bei der Ermittlung von Futterwertdaten.

Der Energiebedarf von Milchkühen mit hoher Leistung wurde bisher um etwa 4 – 5 % unterschätzt.

Was ist neu?

Das dreistufige Verfahren zur Berechnung des Energiegehaltes

Das neue System basiert z.B. auf einem dreistufigen Verfahren, nach welchem die umsetzbare Energie (metabolisierbare Energie – ME) für Futtermittel berechnet wird. Eine zentrale Bedeutung kommt hier der Verdaulichkeit der organischen Masse insgesamt (Organic Matter Digestibility – OMD) zu.

Dünndarmverdauliches Protein, dünndarmverdauliche Aminosäuren

Die Proteinbewertung nach GfE (2023) stützt sich zukünftig nicht mehr auf das am Dünndarm nutzbare Rohprotein – nXP, sondern auf das dünndarmverdauliche Protein bzw. nur auf die am Dünndarm verdaulichen Gesamt-Aminosäuren (small intenstine digestible AA - sidAA). Soll die Bedarfsschätzung noch genauer erfolgen, kann auf Basis der am Dünndarm verdaulichen essenziellen Aminosäuren gearbeitet werden (z.B. sidLys oder sidMet). Somit soll eine bessere Abstimmung von Bedarf und Versorgung der Milchkuh ermöglicht und Überversorgung vermieden werden. Mit dieser Anpassung wurde der neueste Stand der Wissenschaft genutzt, um ein zeitgemäßes und doch anpassungsfähiges Futterbewertungssystem zu etablieren.

Abkürzungen für die Nährstoffe

Des Weiteren soll im gleichen Schritt eine Anpassung der Nomenklatur an international gültige Standards erfolgen. Das bedeutet, dass beispielsweise die Rohnährstoffe Rohprotein (RP), Rohfaser (RFa), etc. nach GfE (2023) nun als die Crude nutrients (Rohnährstoffe) wie Crude protein (CP), Crude fat (CL), crude ash (CA), etc. bezeichnet werden.

Abkehr von der Rohfaser

Anstelle der Rohfaser (CF), die nur einen zu geringen Anteil der Faserstoffe der Futtermittel abbildet, tritt in Zukunft die Neutrale Detergentienfaser (NDF) für die Gesamtheit der Faserstoffe und die Saure Detergentienfaser (ADF), die nur die Zellulose und das Lignin zusammenfasst. Aufgrund der angepassten Futtermittelanalytik findet man in Zukunft die Abkürzungen aNDFom (a für mit Amylase vorbehandelt und om für den organischen Anteil, sprich organic matter, des Rückstandes nach dem Analyseverfahren), d.h. letzterer wird durch Veraschen bei Temperaturen von 600 °C ermittelt.

Abkehr von der NEL

Eine zentrale Neuerung im neuen System wird die Abkehr von der Netto-Energie-Laktation (NEL) als energetischer Futterwert sein. Eine Energiebewertung auf Grundlage der umsetzbaren Energie (ME) erlaubt eine bessere Vergleichbarkeit des Futterwertes über alle Tiergruppen hinweg, auch wenn eine Bewertung des netto zur Verfügung stehenden Energieangebotes zielführender erscheinen mag. Die Verwertung der ME in Netto für die einzelnen Leistungen eines Rindes, wie Milchsynthese, Muskelwachstum, physische Arbeit (z.B. bei Weidegang), Trächtigkeit und eigene Erhaltung ist von der Nutzungsrichtung und Leistungsfähigkeit des Tieres abhängig und ist keine Eigenschaft des Futters. Somit sind die neuen Versorgungsempfehlungen geeignet, eine breitere Anwendung in der Praxis zu ermöglichen. Jedoch wird das neue System nicht grundsätzlich verschieden zum alten System sein, denn auch nach GfE (2001) wurde der als NEL ausgedrückte Futterwert durch Umrechnung aus der ME abgeleitet bzw. wurden die meisten NEL-Bedarfswerte aus einem konstanten Verwertungsfaktor von 0,6 aus der ME abgeleitet.

Anstatt NEL wird zukünftig die ME verwendet, da sie eine bessere Vergleichbarkeit des Futterwertes über alle Tiergruppen hinweg gestattet.

Trennung Futterbewertung und -bedarf

Neu werden allerdings auch die grundsätzlich andere Vorgehensweise zur Ermittlung der umsetzbaren Energie (ME), eine präzisere Bestimmung des Bedarfs sowie eine klare Trennung der Futterbewertung und der Bedarfsermittlung sein.

Dreistufiges Verfahren: So wird die Berechnung der umsetzbaren Energie nach GfE (2023) konsequent über Energiestufen Bruttoenergie (GE) und Verdauliche Energie (DE) erfolgen. Grundlage dafür ist ein dreistufiges Verfahren mit drei Konstanten.

  1. Schritt: So wird im ersten Schritt die Verdaulichkeit der Energie (ED in %) aus der Verdaulichkeit der organischen Masse (OMD in %) berechnet. Diese Differenz aus OMD minus ED beträgt konstant +3,3 %. Die ED (%) wird also durch die Differenzbildung ermittelt: ED = OMD – 3,3.

Ausgangspunkt für die rechnerische Ermittlung des Gehaltes eines Futtermittels an der (neuen) ME ist jetzt die Bruttoenergie (GE) je kg. Diese wird mit der ED multipliziert zum Gehalt an DE je kg.

  1. Schritt: Als nächstes erfolgt der Abzug der Harnenergieverluste (UE), welche konstant 3,7 kJ/g Rohprotein betragen.
  2. Schritt: Im dritten Schritt werden die Methanenergieverluste (CH4-E) abgezogen, welche zwar durch die Umsetzungen im Pansen als verdaut gelten müssen, für die Umsetzungen im Stoffwechsel nach dem „Abrülpsen“ aber nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Methanbildung steht deshalb in engem Zusammenhang mit der Verdaulichkeit der gesamten energiehaltigen Substanz des Futters, also der organischen Masse (OMD).

Als Datengrundlage für die Etablierung dieser drei Stufen dienten umfangreiche Stoffwechselversuche an Wiederkäuern mit Rationen, die alle notwendigen Parameter abbildeten, sowie eine kritische Überprüfung der Ergebnisse mithilfe der Literatur und anderen Fütterungssystemen.

Die erforderlichen Laborbestimmungen, um die Konstanten berechnen zu können, sind methodisch größtenteils bereits etabliert. So müssen zur Berechnung der Verdaulichkeit der Energie aus der Verdaulichkeit der organischen Masse sowohl der Brennwert (Bruttoenergie) als auch die Rohasche (CA) eines Futtermittels analytisch bestimmt werden. Für die Abschätzung der Harnenergieverluste wird das Rohprotein und für die Schätzung der Methanenergieverluste die Verdaulichkeit der organischen Masse benötigt.

Berücksichtigung des Futteraufnahmeniveaus

Die neuen Versorgungsempfehlungen beinhalten eine weitere Neuerung in der Rationsbewertung – das Futteraufnahmeniveau (FAN). Das Futteraufnahmeniveau orientiert sich an der für die Deckung des Erhaltungsbedarfs an Energie und Nährstoffen in etwa notwendigen Futteraufnahme. Als FAN 1 wird demzufolge theoretisch ein täglicher Trockenmasseverzehr von 50 g je 1 kg „metabolischer“ Lebendmasse angesetzt. Als metabolische Lebendmasse bezeichnet man die Lebendmasse mit einem Exponenten von 0,75 -> LM0,75. Die metabolische Körpermasse beschreibt letztlich den stoffwechselaktiven Teil der Körpermasse.

Eine Kuh mit einer Lebendmasse von 700 kg hat demzufolge eine metabolische Lebendmasse von 136 kg.

Ein täglicher Futterverzehr von 24 kg Trockenmasse entspräche dem Futterverzehr von 24.000/136 = 176,4 g Trockenmasse je kg LM0,75 bzw. einem FAN von 3,53.

Hintergrund ist, dass sich mit steigender Futteraufnahme aufgrund der höheren Passagerate (schnellere Passage) die Verweildauer des Futters im Verdauungstrakt verringert. Infolgedessen verringern sich die Verdaulichkeit der organischen Masse sowie die Methanbildung pro Kilogramm verdauter organischer Masse, weil den Mikroorganismen weniger Angriffszeit zur Verfügung steht. Es kommt zu einer Änderung des Fermentationsmusters und zu einer Verringerung der im Pansen verdauten (fermentierten) organischen Masse. Eine veränderte Verweildauer im Pansen und damit eine erhöhte Passagerate durch einen höheren Futterdurchsatz beeinflussen natürlich auch den Umfang des Proteinabbaus und den Anteil an UDP (im Pansen unabgebautes Futterprotein). Dies wird bei der Rationsberechnung zukünftig entsprechend berücksichtigt. Somit hat das Futteraufnahmeniveau einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Ausbeute an ME eines gefressenen Futtermittels und an verdaulichem Protein am Dünndarm.

Damit kommt der Vorhersage der mit der Ration erreichbaren Futteraufnahme, im Gegensatz zur bisherigen Rationserstellung, eine für die Berechnung der Leistungsfähigkeit der Ration über die Futterwerteigenschaften hinausgehende Bedeutung zu.

Die neuen Versorgungsempfehlungen berücksichtigen unterschiedliche Futteraufnahmeniveaus, da mit steigender Futteraufnahme die Passagerate höher und damit die Verweildauer des Futters im Verdauungstrakt geringer wird.

Proteinbewertung

Das Konzept des Proteinbewertungssystems nach GfE (2023) unterscheidet sich maßgeblich vom Proteinbewertungssystem nach GfE (2001). So basiert die Proteinbewertung nun auf dem dünndarmverdaulichen Protein (sidP), welches die Summe des im Dünndarm verdaulichen Aminosäure-Stickstoffs x 6,25 ist. Mit diesem neuen Proteinbewertungssystem kann flexibel auf Leistungs- und/ oder Rationsänderungen reagiert werden bei gleichzeitiger Verbesserung der N-Nutzungseffizienz in der tierischen Erzeugung.

Die zukünftige Proteinbewertung basiert auf dem dünndarmverdaulichen Protein (sidP) bzw. auf den am Dünndarm verdaulichen Gesamt-Aminosäuren.

FAZIT

Mit der Veröffentlichung der neuen Versorgungsempfehlungen für Milchkühe im September 2023 ist der Grundstein für ein neues deutsches Futterbewertungssystem gelegt, welches geeignet ist, in der Praxis mit ihren vielfältigen Ausrichtungen und Rahmenbedingungen angewendet zu werden.

Es schließt unterschiedliche Produktionssysteme und Futtergrundlagen für Milchkühe ein. Es wird herausgearbeitet, dass die Gesundheit der Tiere die wichtigste Voraussetzung für Leistung ist. Zudem wird auf Umweltwirkungen der Milcherzeugung eingegangen, welche mit Fütterungsmaßnahmen beeinflusst werden können (Quelle GfE).

Jedoch sind weitere Schritte in der angewandten Forschung nötig, um das System vollständig praxistauglich zu machen. So ist eine Anpassung der Auswertung aller bisherigen und zukünftigen Fütterungsversuche an die neue Bedarfsermittlung und Futterbewertung notwendig und der Einfluss des Futteraufnahmeniveaus bedarf weiterer Forschungsarbeit. Des Weiteren ist eine schnelle Anpassung der Laboranalytik mit einheitlichen VDLUFA-Methoden sowie eine Programmierung der Fütterungsprogramme notwendig, um die geplante Umsetzung ab Herbst 2025 zu gewährleisten. Hierbei geht es einerseits vor allem um die Etablierung der laboranalytischen Ermittlung der ruminalen Abbaubarkeit der Futterproteine und andererseits um die Einschätzung der nach Futtermitteln differenzierten Verdaulichkeit der nicht im Pansen abbaubaren Futterproteine, des UDP.

Da an dieser Stelle nicht auf alle Aspekte der neuen Versorgungsempfehlungen eingegangen werden kann, empfiehlt sich das Buch des Ausschusses für Bedarfsnormen der GfE „Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffversorgung von Milchkühen“ (siehe Abbildung).

DER DIREKTE DRAHT

Bianka Boss, LKV Berlin-Brandenburg,
Waldsieversdorf, Ltr. Futter, Boden und org. Düngestoffe
E-Mail: bianka.boss[at]lkvbb.de

Bernd Losand
Mecklenburg-Vorpommern
E-Mail: belo25857[at]gmail.com

Fotos (Katrin Mahlkow-Nerge)