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Geringe N-Emissionen bei hoher Milcheiweißleistung
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Mit der Proteinversorgung von Milchkühen sollen der Erhaltungsbedarf sowie der Bedarf für die jeweilige Leistung gedeckt werden. Nach den gegenwärtig gültigen Empfehlungen (GfE, DLG) bedeutet dies 470 g nutzbares Rohprotein (nXP) je Kuh und Tag für die Erhaltung (bei 700 kg Lebendmasse) und 85 g je kg Milch (bei 3,4 % Eiweißgehalt).

In Abhängigkeit von den Futteraufnahmen ergeben sich daraus die (rechnerisch) notwendigen Gehalte an nXP je kg TM der Rationen. Für eine hohe Milchleistung von 40 kg Milch sind das bei 24 kg TM-Aufnahme ca. 160 g nXP/kg TM. Somit könnte man diese 160 g durchaus als einen Richtwert für Hochleistungsrationen annehmen. Höhere Leistungen von Einzeltieren oder im Gruppenmittel müssten dann durch höhere Futteraufnahmen abgedeckt werden.  

Das nXP im deutschen Proteinbewertungssystem ist eine kalkulatorische Größe. Es beinhaltet zum einen das unabbaubare Rohprotein (UDP), welches direkt aus dem Pansen zum Dünndarm gelangt. Maßgeblich wird die nXP-Schätzung aber durch die umsetzbare Energie bestimmt, welche für die mikrobielle Proteinsynthese im Pansen bereitgestellt wird. Voraussetzung für die im Umfang aus der Energiebereitstellung abgeleitete Syntheseleistung der Mikroben ist eine ausreichende N-Verfügbarkeit im Pansen. Diese wird mit der ruminalen N-Bilanz (RNB) beschrieben. Steht ausreichend Stickstoff zur Verfügung, ohne Überschuss, aber auch ohne ein Defizit liegt diese Rechengröße bei 0. Ein N-Überschuss würde mit einer positiven RNB angezeigt, ein kalkulierter N-Mangel umgekehrt mit einem negativen Wert.

Aus den Werten nXP und RNB kann man leicht auf das bekannte und in der Futtermittelanalytik sicher etablierte Rohprotein (XP) zurückrechnen (nXP + RNB x 6,25 = XP). Bei einer RNB 0 wären nXP und XP also identisch, 160 g nXP gleich 160 g XP/kg TM. Bei Rationen mit 160 g nXP und einer RNB der Ration von +1 g/kg TM, liegt der XP-Gehalt bei 166 g, bei -1 g RNB/kg TM, in den Fütterungsempfehlungen als Untergrenze ausgewiesen, wären es ca. 154 g XP.    

Aufgrund der Adaptationsmechanismen der Wiederkäuerverdauung und insbesondere aufgrund der Fähigkeit, N-Überschüsse über das Blut, die Leber und den Speichel in den Pansen zu recyclieren (Ruminohepatischer Kreislauf) ist es möglich, Milchkühe auch mit einer moderat negativen RNB der Ration zu füttern, ohne das daraus Nachteile für deren nXP-Bedarfsdeckung und nachfolgend für die Leistung entstehen. So müsste weniger Ammoniak zu Harnstoff umgewandelt werden und der Leberstoffwechsel würde entlastet. Zusätzlich wäre so eine Fütterung mit der Reduzierung von N-Emissionen verbunden. Andersherum führen unnötige N-Überschüsse, also deutlich (zu) hohe Rohproteingehalte in Rationen zu Belastungen für das Tier und die Umwelt, die häufig auch noch durch den Einsatz teuer zugekaufter Eiweißfuttermittel entstehen.

In der Milchkuhfütterung stehen am Anfang immer die Kenntnisse zur Wiederkäuerverdauung und die Rationsberechnung nach Zielwerten. Die tatsächliche Wirkung muss dann aber im Controlling geprüft und gesteuert werden. Die für die Proteinversorgung zu verwendenden Parameter sind der Milchharnstoff- und der Milcheiweißgehalt.

Milchharnstoffgehalte von 150 bis 250 mg/l im Herdenmittel stehen nach den Vorgaben der „Neuen Dummerstorfer Fütterungsbewertung“ (DLG-Merkblatt 451) für den Bereich, in dem eine ausreichende ruminale N-Verfügbarkeit für die mikrobielle Proteinsynthese, aber keine unerwünschte Rohproteinüberversorgung zu verzeichnen ist. Die Basis für hohe Eiweißleistungen ist eine gute Energieversorgung, die für die Mikrobenproteinsynthese gebraucht wird. Zu hohe Milchharnstoffgehalte stehen also für einen N- bzw. Rohproteinüberschuss oder Energiemangel und somit für eine beeinträchtigte Proteinbildung im Pansen. Auch bei „entgleister“ Pansenfermentation durch Strukturmangel und Überschuss an leicht verdaulichen Kohlenhydraten kann das der Fall sein.

Knappe Milchharnstoffgehalte können die Folge geringer Futteraufnahmen und/oder zu geringer XP-Aufnahmen sein. Das ist zu bedenken. Dagegen zeigen Milchharnstoffgehalte im unteren Bereich um 150 mg/l bei gleichzeitig hohen Milchmengen-und Milcheiweißleistungen eine effiziente Rohproteinversorgung und -verwertung an. Positive Wirkungen auf die Tiergesundheit, die Emissionsminderung und die Wirtschaftlichkeit können damit erreicht werden.

Eine Auswertung der langfristigen Entwicklung der Milchharnstoffgehalte (Tankmilch, Milchgüte) und der Milcheiweißleistungen (MLP) in der Milchkuhherde des ZTT Iden (LLG Sachsen-Anhalt) von 2006 bis zum Juli 2022 (Ende 3 x Melken) zeigt, dass eine immer weitere Reduzierung der Milchharnstoffgehalte nicht zur Beeinträchtigung der Steigerung der Milcheiweißleistung führte (Abbildung 1). Nach früherem XP-Vorhalten in der Ration für die Hochleistungskühe der Herde führte die Anpassung der Rationen auf 160 g XP/160 g nXP/kg TM beginnend vor etwa 15 Jahren und die später weitere (vorsichtige) Absenkung bis zu 155 g XP/kg TM zu den im Liniendiagramm dargestellten Verläufen. Verbunden war dies mit dem vollständigen Verzicht auf Soja- und dem Umstieg auf konventionelles Rapsextraktionsschrot als alleiniges Eiweißfuttermittel. Insbesondere an der Verbesserung der Struktur- und der Energieversorgung für die Kühe wurde intensiv gearbeitet. Die Abstufung der XP-Gehalte für die Altmelkerration erfolgte konsequent. So konnten die produzierten Eiweißmengen von 370 kg auf 425 kg /Kuh/Jahr gesteigert und die N-Effizienz deutlich verbessert werden.     

Abb. 1: Milchharnstoffgehalte und Milcheiweißmengen in der Milchkuhherde des ZTT Iden

Um sich beim Thema der Milchharnstoffgehalte nicht nur auf den Idener Betrieb zu beschränken, wurden dankenswerterweise von den LKV bereitgestellte Daten aus allen MLP-Betrieben in Sachsen und Sachsen-Anhalt (GERO 2021) ausgewertet (Tabelle 1). Einbezogen wurden die Zahlen aus 800 Beständen mit Größen von 10 bis 3.470 Kühen mit Leistungen von 4.280 bis 13.260 kg Milch. Dem Mittel aller Bertriebe wurden die der eher leistungsschwächeren (1. Quartil Milcheiweißleistung) und der leistungsstärkeren (3. Quartil) gegenübergestellt. Dabei zeigte sich, dass hohe Leistungen nicht mit hohen Milchharnstoffgehalten einhergehen müssen, also kein Vorhalten an XP benötigen. Der Durchschnitt der Betriebe lag mit ca. 200 mg/l genau in der Mitte des Referenzbereichs von 150 bis 250 mg/l.

Tabelle 1: Auswertung von Herdendaten zur Leistung, zum Milchharnstoffgehalt und zu den N-Ausscheidungen aus 800 MLP-Betrieben in Sachsen (n = 545) und Sachsen-Anhalt (n = 255) (Quel-len: LKV, GERO)

Dass zwischen den Milchharnstoffgehalten und den erreichten Milcheiweißmengen der Praxisherden kein Zusammenhang bestand, zeigt auch die Abbildung 2. In der statistischen Auswertung ergab sich kein gesicherter Trend, das Bestimmtheitsmaß R2 lag nahe 0.  Sind es im niedrigen Leistungsbereich zum Teil zu geringe Futteraufnahmen sowie schlechte Energie- bzw. nXP-Versorgung, die zur starken Streuung der Harnstoffwerte führten, sind im Hochleistungsherden eher die gewählten Proteinversorgungsstrategien und die jeweils verfügbaren oder gewählten Grob- und Zukauffuttermittel Ursache für die festgestellten Variationen.

Ganz sicher zeigte sich wiederum, dass hohe Milcheiweißleistungen mit niedrigen Milchharnstoffgehalten, also bei vermeintlich knappem, aber doch leistungssicherndem, letztendlich effizientem Rohproteineinsatz erreicht werden können. Auffällig ist aber auch, dass die Punkte für den Milchharnstoffgehalt bei den absoluten Spitzenleistungen im Bereich zwischen 150 und 250 mg lagen.

Abb. 2: Milchharnstoffgehalte in Abhängigkeit von der Milcheiweißleistung (800 Herden).

Schaut man nun noch auf die aus den Daten kalkulierten N-Ausscheidungen (Formel Bannink und Hindle, 2003) zeigt sich, dass Hochleistungskühe mit 367 g mehr N-Emissionen pro Tier und Tag verursachen als die leistungsschwächeren Tiere mit 310 g (Tabelle 1). Erfolgt die Berechnung der N-Ausscheidungen aber für die Mengeneinheit an erzeugtem Produkt, also je kg Milcheiweiß (Abbildung  3) kehrt sich das Bild komplett um. Die Auswertung zeigt einen deutlichen Abfall bei zunehmender Leistung. Am Ende sind die gute fachliche Praxis der Fütterung und eine hohe Managementqualität entscheidend für die Nachhaltigkeit der Milchkuhfütterung.

Abb. 3: Geschätzte N-Ausscheidungen je kg produziertem Milcheiweiß in Abhängigkeit von der Höhe der Eiweißleistungen in 800 Herden.

Zuletzt lagen die Praxisdaten in der Herde Iden bei Milchharnstoffgehalten von 140 bis 180 mg/l bei Melkdurchschnitten von 37 kg und 3,5 % Eiweißgehalt (Ø Januar bis Juli 2022, 3 x Melken) sowie bei gegenwärtigen 33 kg und 3,7 %  nach Umstellung auf 2 x Melken. Der Milchharnstoffgehalt wurde dabei gezielt auf diesem eher knappen Niveau gehalten, Schwankungen ergeben sich aus der jeweiligen Situation des Grobfuttereinsatzes. Letztendlich erfolgt die Ausrichtung der Ration auf Effizienz und Leistung aber beständig im Rahmen des Fütterungscontrollings.

Als allgemeine Empfehlung sollte aber abgeleitet werden, dass zum Teil noch praktiziertes Vorhalten von Rohprotein in den Rationen mit  Milchharnstoffgehalten von über 250 mg/l, um so N-Mangel im Pansen und mögliche Leistungseinbußen auszuschließen oder sogar Leistungsvorteile zu erreichen, nicht mehr erfolgen sollte. So würden sich eher Nachteile für die Tiergesundheit und die Umwelt sowie schnell auch höhere Futterkosten ergeben. Der definierte Zielbereich von 150 bis 250 mg/l sollte eingehalten werden, wobei dabei eine Verschiebung in den unteren Bereich sinnvoll, auch dessen knappe Unterschreitung möglich sind, um Effekte im Sinne einer nachhaltigen Milcherzeugung zu erreichen.

DER DIREKTE DRAHT

Thomas Engelhard, Marleen Zschiesche,
LLG Sachsen-Anhalt

Dr. Wolfram Richardt,
LKV Sachsen e.V.