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Wärmeproduktion hochleistender Milchkühe aus der Blickrichtung des Klimawandels
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Einleitung

Alle Lebensprozesse sind mit der Erzeugung thermischer Energie (= Wärmeenergie) und der notwendigen Abgabe dieser Energie an die unmittelbare Umgebung verbunden. Die Wärmeproduktion (WP) stellt bei laktierenden Milchkühen einen bemerkenswert hohen Anteil nicht nutzbarer Futterenergie dar.

Die Gesamt-WP resultiert aus der Wärmebildung im Rahmen der Verdauung aufgenommener Nährstoffe, notwendiger körperlicher Aktivitäten (z.B. Bewegung) und der Milchsynthese. Die in den letzten Jahren erzielten Leistungssteigerungen – basierend auf einer weiteren Zunahme der Stoffwechselaktivität der Milchkühe – sind mit einer spürbaren Erhöhung der Wärmebildung je Kuh/Laktation verbunden. Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird diese Thematik nun auch in der deutschen Rinderzüchtung immer wichtiger.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, neuere Studienergebnisse bezüglich der Wärmeerzeugung von Milchkühen vorzustellen.

Wärmebildung

Die Bruttoenergie (GE) oder der Brennwert charakterisiert den Gesamtenergiegehalt der verzehrten Futtermittel. Wenn von der GE die Energie des ausgeschiedenen Kotes (ca. 25 bis 40 %) abgezogen wird, erhält man die verdauliche Energie (DE). Werden die Verluste durch die Gasbildung (z.B. Methan, CH4) einschließlich Urinausscheidung abgezogen, bleibt die metabolische Energie (ME) übrig. Beim Milchvieh werden etwa 64 bis 76 % der ME in Milch umgewandelt. Dieser Wert ist dann die Nettoenergie Laktation (NEL). Als Wärmeverluste werden bei laktierenden Milchkühen vorzugsweise Werte zwischen 28 und 32 % beobachtet (Abb. 1).

Abb. 1: Partitionierung der mit dem Futter aufgenommenen Energie (= Bruttoenergie, GE) bei laktierenden Milchkühen unter besonderer Berücksichtigung des Wärmeverlustes (in Klammern: zugehörige Orientierungswerte) – eigene Grafik

In mehreren aktuellen Studien wurde gezeigt, dass die Effizienz der Umwandlung von ME in NEL nachhaltig durch die Ernährung (Diät) beeinflusst wird (Moraes et al., 2015; Morris et al., 2020). Aus physiologischer Sicht hängt die Effizienz der Umwandlung von ME in NEL zusätzlich auch von den gebildeten Stoffwechselprodukten ab (Baldwin, 1995). So wurde bereits vor mehr als 50 Jahren berichtet, dass die Wärmeverluste im Rahmen einer Acetatbildung größer als für die Propionat- oder Butyratbildung ist (Holter et al., 1970).

Neuere Bestätigung der Zusammenhänge mit Jerseykühen

In einer neueren Arbeit von Morris et al. (2021) mit laktierenden Jerseykühen – basierend auf 9 verschiedenen kalorimetrischen (experimentellen) Studien unter gleichzeitiger Berücksichtigung sehr differenzierter Diäten – betrug die mittlere Wärmeerzeugung 22,1 Mcal/Tag bzw. 28,1 % relativ zur täglichen Bruttoenergieaufnahme (Tab. 1).

Tab. 1: Kenngrößen zur Wärmeerzeugung (WP) mit Jerseykühen

Eine hohe Variabilität des %-Anteils der WP, gemessen an der Bruttoenergie, bleibt festzuhalten (Tab. 1).

Ausgewählte Faktoren, welche die WP beeinflussen

Aus züchterischer Sicht interessiert vor allem der Zusammenhang der Futteraufnahme, Körpermasse und Milchleistung mit der Wärmebildung. Zwischenzeitlich wurden auch erste Modelle zur Vorhersage der WP hochleistender Milchkühe abgeleitet (Morris et al., 2021).

Ein enger Zusammenhang zwischen Trockenmasseaufnahme und WP liegt in der Natur der Biologie begründet. Morris et al. (2021) bestätigen die enge Beziehung zwischen Futteraufnahme und Wärmebildung bei Milchrindern. Signifikante Zusammenhänge werden auch zwischen der WP und der Milchleistung bzw. der Körpermasse beobachtet (Tab. 3).

Tab. 2: Einfache Korrelationen zwischen verschiedenen Kenngrößen in der Studie von Morris et al. (2021)

In einer weiteren Analyse eines umfangreichen Datensatzes auf Basis der indirekten Kalorimetrie zeigen Reed et al. (2017) zusätzlich, dass die WP auch mit der N-Aufnahme verbunden ist.

Die N-Ausscheidung mit dem Urin ist ein häufig genutzter Indikator für den vorliegenden (Futter)-Proteinüberschuss. Morris et al. (2021) bestätigen nun, dass die WP pro Kilogramm ausgeschiedenem N im Urin im Durchschnitt um 5,32 Mcal steigt.

In der Tabelle 3 sind die Kenngrößen zur Vorhersage der täglichen Wärmebildung in Mcal/d von laktierenden Milchkühen (Basis: Regressionsbeziehung) zusammengestellt, die von Morris et al. (2021) an Jerseykühen ermittelt wurden.

Tab. 3: Kenngrößen zur Vorhersage der täglichen Wärmebildung in Mcal/d von laktierenden Milchkühen mittels Regressionsbeziehung

Die WP kann mittels der metabolischen Körpermasse (KM0,75), der Futteraufnahme, der Milchbildung und der urinären N-Ausscheidung mit hinreichender Genauigkeit vorhergesagt werden. Gleichzeitig erweist sich die Milchproteinsynthese als wesentlich entscheidender als die Milchfettsynthese. Der zugehörige Regressionskoeffizient ist für die erzeugte Milchproteinmenge mehr als 2,5-fach größer als für die erzeugte Milchfettmenge (Tab. 3).

In der Abbildung 2 ist die zu erwartende Wärmeproduktion von Jerseykühen in Abhängigkeit von der Milchzusammensetzung – bei konstanter Milchfett- und Milcheiweißerzeugung (≈ 750 kg Fett + Eiw.) in einer 305-tägigen Laktation – aufgezeigt.

Abb. 2: Wärmeproduktion je kg energiekorrigierte Milchmenge (MJ/kg EKM) bzw. je Laktation (MJ/Lakt.) in Abhängigkeit von der Laktationsleistung und der mittleren Körpermasse von Jerseykühen (Bedingung: konstant ca. 750 kg Milchfett + Milcheiweiß je 305-Tage-Laktation) - eigene Berechnungen

Festzuhalten bleibt, dass somit auch die Milchzusammensetzung die WP beeinflusst (Abb. 2). Offensichtlich ist es von Vorteil, wenn eine Milch mit höheren Milchfett- und Milcheiweißgehaltswerten im Vergleich zu einer ‚dünneren‘ Milch (mit höherem Wassergehalt) produziert wird.

Diesen Fakt sollten in besonderer Weise die Holsteinzüchter zur Kenntnis nehmen. Und auch bei der Wahl, ob vorzugsweise Dänische oder US-amerikanische Jerseybullen in Deutschen Herden genutzt werden, sind die speziellen Vorzüge der Dänischen Jerseys (= höhere Milchinhaltstoffe, kleinerer Rahmen und geringere Körpermasse gegenüber den US-Jerseys) anzuerkennen (Abb. 3 und 4).

Abb. 3: Deutschland ist leider nur ein Nachzuchtgebiet sowohl für Dänische bzw. US-amerikanische Jerseys. Ihre Differenziertheit kann auch mit zugehörigen MLP-Ergebnissen aufgezeigt werden: Ergebnisse aus der Milchleistungsprüfung (MLP) für Jerseykühe in den USA bzw. in Dänemark sowie deutscher Jerseyherden mit ≥100 Milchkühen in 2023 – eigene Grafik

Detaillierte Auswertungen der dänischen Landbauberatung zeigen: DJ-Bullen sind den US-amerikanischen Jerseybullen in der Milchmenge etwas unterlegen. Aber aufgrund deutlich höherer Milchfett- und Milcheiweißgehaltswerte existieren in den Ertragsmerkmalen Milchfett- und Milcheiweißmenge keine nennenswerten Unterschiede (Abb. 3). Darüber hinaus weisen die DJ bessere Gesundheitsmerkmale (speziell Eutergesundheit) gegenüber den US-amerikanischen Jerseybullen auf.

Wärmebildung hochleistender Holsteinkühe

Bekannte Hauptfaktoren, welche die Effizienz der Energienutzung für Erhaltung und Produktion bei laktierenden Kühen beeinflussen, sind folgende:

  • das Niveau der (Futter-)Trockenmasseaufnahme,
  • vorliegende Umweltbedingungen, die sich vor allem auf die Futteraufnahme auswirken können,
  • die Höhe der Milchleistung,
  • das Laktationsstadium,
  • die Körpermasse der Milchkühe,
  • tierindividuelle Variabilität (Brosh, 2007).

In der Abbildung 4 ist die zu erwartende Wärmeproduktion von Holsteinkühen in Abhängigkeit von der Jahresleistung (kg EKM/Kuh/Jahr) – bei einer mittleren Körpermasse von 700 kg – dargestellt, basierend auf früheren Auswertungen in Norddeutschland, dargestellt (Anm.: EKM = energiekorrigierte Milchleistung).

Abb. 4: Wärmeproduktion von Holsteinkühen (in MJ/Jahr) in Abhängigkeit von der Jahresleistung (kg EKM/Kuh/Jahr) bei einer mittleren Körpermasse von 700 kg (eigene Grafik); Anm.: EKM =energiekorrigierte Milchleistung (konstant: 4 % Fett, 3,4 % Eiw.)

Wie aus der Abbildung 4 zu erkennen ist, erhöht sich die Wärmebildung einer 700-kg-schweren Holsteinkuh bei einer Leistungssteigerung von 6.000 kg EKM/Kuh/Jahr auf 12.000 kg EKM/Kuh/Jahr – bei Konstanthaltung der Milchinhaltsstoffe (4 % Fett, 3,4 % Eiw.) - auf das 1,3-fache.

Unter Hitzestressbedingungen tendieren laktierende Kühe dazu, die Trockenmasseaufnahme und die Milchproduktion zu reduzieren (West et al., 2003). Daher ‚kühlen‘ zahlreiche Milchviehbetriebe in West- und Südeuropa oder in den USA, in Israel oder in anderen subtropischen Ländern laktierende Kühe durch „Verdunstungskühlung“ im Sommer.

Oft wird eine solche Verdunstungskühlung durch Benetzung der Kühe mit Wasser mittels Sprinkleranlagen, gefolgt durch Nutzung von Ventilatoren, die die Verdunstung fördern, sichergestellt (Miron et al., 2008).

Aus Israel wird berichtet, dass auch mittels einer gezielten Rationsgestaltung seitens des Tierhalters vorbeugend auf Hitzestress bei Milchkühen reagiert werden kann (Tab. 4).

Tab. 4: Wärmeerzeugung (WP) israelischer Holsteinrinder im Hochsommer, die unter Nutzung einer vorbeugenden Verdunstungskühlung gehalten und mit zwei differenzierten Rationen (mit unterschiedlichem NDF-Gehalt speziell aus dem Raufutter) gefüttert wurden*

* Die Umgebungstemperatur war während der meisten Tagesstunden und am frühen Abend hoch (26,8 °C bis 27,8 °C) und lag im Tagesdurchschnitt bei 25,8 °C. Die relative Luftfeuchtigkeit war in den frühen Morgenstunden am höchsten und der Tagesdurchschnitt lag bei 66,6 %. Daher blieb der THI während des Versuchszeitraums in einem engen Bereich (74 bis 76), der typisch für Hitzebelastungsbedingungen ist.

Der tägliche TM-Aufnahme von Kühen, die mit einer Zellwand-ärmeren TMR (= geringerer NDF-Gehalt; der NDF-Gehalt umfasst die Hemizellulosen, die Zellulose sowie das Lignin und repräsentiert somit im Wesentlichen die pflanzlichen Zellwände) gefüttert wurden, war im Vergleich zu Kühen, die mit einer Zellwand-reicheren TMR gefüttert wurden, erwartungsgemäß höher (24,7 vs. 23,1 kg/Tag - Tabelle 4). Diese höhere Futteraufnahme dürfte - zumindest teilweise - wohl auch auf einen besseren Wärmehaushalt zurückzuführen sein, der sich in (etwas) niedrigeren Rektaltemperaturen und Atemfrequenzen widerspiegelt.

Die Wärmeproduktion (WP) der hochleistenden Milchkühe betrug 130,4 bis 130,8 MJ/Kuh und Tag (Tab. 4). Ähnliche WP-Werte im Bereich von 122,6 bis 135,6 MJ/Kuh pro Tag wurden auch in früheren Studien mit hochleistenden Holstein-Kühen gemessen, die unter verschiedenen Fütterungsregimen und Laktationsstadien gehalten wurden (Aharoni et al., 2005 und 2006).

Etablierung einer Zuchtwertschätzung auf Hitzetoleranz

Hitzestress spielt in der australischen Milchproduktion eine wichtige Rolle. Detaillierte Vor-Ort-Untersuchungen zur Hitzetoleranz bestätigten frühzeitig, dass die Leistung von Milchkühen unter Hitzestressbedingungen genetisch variiert (Hayes et al., 2003). Zwischenzeitlich konnte hier (weltweit erstmalig!) eine zugehörige Zuchtwertschätzung etabliert werden.

Der Zuchtwert für die Hitzetoleranz ist die Abnahme der Milch-, Fett- und Eiweißmenge, wenn die Umwelt-Basiswerte: Temperatur ≥ 22 °C und relative Luftfeuchtigkeit ≥ 45% überschritten werden.

Zusätzliche Auswertungen genetischer Trends in der australischen Holsteinpopulation bestätigen leider den zu erwartenden Rückgang der Hitzetoleranz in den jüngeren Geburtsjahrgängen, da auch dort in der Vergangenheit intensiv auf höhere Milchleistung selektiert wurde (Abb. 5).

Abb. 5: Genetische Trends bezüglich der Hitzetoleranz bei australischen Holsteins (Auswertung von Nguyen et al., 2018) – eigene Grafik

Da mit zunehmender Stoffwechselaktivität der Milchkühe generell auch die Wärmeproduktion der Kühe zunimmt, sollte die Hitzeanfälligkeit ein künftiger Bestandteil von Zuchtprogrammen werden. Die Züchtung bleibt somit gefordert, wirksame Strategien zu erarbeiten, damit künftige Milchkuhgenerationen nicht immer Hitze-empfindlicher werden.

FAZIT

  • Die Wärmeproduktion stellt bei laktierenden Milchkühen einen großen Anteil nicht nutzbarer Futterenergie dar.
  • Milchleistung, Körpermasse und Wärmeproduktion sind eng assoziiert.
  • Die Hitzetoleranz hochleistender Milchkühe sinkt mit zunehmender Produktivität innerhalb der Rassen.
  • Milchrinderställe für Hochleistungsherden erfordern immer wirkungsvollere bautechnische und managementbedingte Lösungen, um die Auswirkungen von feuchtheißen Tagen in Milchkuhhaltungen zu mildern.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. habil. Wilfried Brade,
Professor für Tierzucht (i.R.) an der Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo),
aktuell: Norddeutsches Tierzucht-Beratungsbüro

email: wilfried.brade[at]t-online.de

(Zugehörige Literatur beim Verfasser oder in der Redaktion erhältlich)