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Rindermast in Belgien – Eindrücke einer Pressereise zu einem Belgian-Blue-Betrieb
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Die Rindermast hat in Belgien eine lange Tradition – insbesondere mit der stark bemuskelten Fleischrinderrasse Belgian Blue. Dabei setzen viele Betriebe auf spezialisierte Systeme mit enger Verknüpfung von Fütterung, Haltung, Kreislaufwirtschaft und Direktvermarktung. Ein Beispiel dafür ist der Familienbetrieb von Joris Claeys westlich von Brüssel: rund 100 Hektar Acker- und Grünland, 250 Tiere – mit klarem Fokus auf Effizienz, Tierwohl und Kreislaufwirtschaft.

Im Juni erhielt eine internationale Gruppe von Agrarjournalisten im Rahmen einer Pressereise des Europäischen Netzwerks der Agrarjournalisten (ENAJ) Einblick in mehrere belgische Betriebe und Institutionen. Ziel war es, aktuelle politische Entwicklungen auf EU-Ebene rund um Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit mit den Realitäten in der landwirtschaftlichen Praxis zu verknüpfen.

Landwirte: Sohn Martijn Claeys und Vater Joris Claeys

Belgian Blue: die Bodybuilder unter den Mastrindern

Was auf dem Hof direkt ins Auge fällt, ist die Rasse: Belgian Blue - mit ihrer extremen Bemuskelung werden sie auch als “Doppellender” bezeichnet. Diese Rinder liefern höchste Schlachtausbeuten bei optimaler Futterverwertung – und unterscheiden sich auch durch ein deutlich ruhigeres Temperament von anderen Fleischrassen.

Belgian Blue ist eine typische belgische Fleischrinderrasse. Vermarktet wird das Fleisch in erster Linie innerhalb Belgiens – unter anderem über die Hoeverund-Genossenschaft an die belgische Supermarktkette Colruyt. Selbst in argentinischen Restaurants ist das Fleisch dieser Rasse inzwischen zu finden – ein Zeichen für ihren kulinarischen und marktwirtschaftlichen Erfolg. Weißblaue Belgier werden in vielen europäischen Ländern erfolgreich als Vaterrasse in der Gebrauchskreuzung eingesetzt.

Typische Belgian-Blue-Bullen im Stall

Fütterung: viel Eigenleistung – gezielte Eiweißergänzung

Claeys verfolgt eine klassische Mischung aus hoher Eigenversorgung und gezieltem Zukauf bei der Fütterung. Die Rationen sind auf die jeweiligen Tiergruppen abgestimmt: Die Mutterkühe erhalten Maissilage, Grassilage, Pressschnitzel aus der Zuckerrübenverarbeitung sowie Weidegras im Sommer. Das Jungvieh wird mit Grassilage, verarbeitetem Weizen, Maissilage und Sojaschrot versorgt. In der Endmast kommen bei den Bullen neben Maissilage auch CCM (Corn-Cob-Mix – eine energiereiche Mischung aus Maiskörnern und Spindelanteilen), Pressschnitzel, Leinkuchen, Sojaextraktionsschrot und zusätzlich Kartoffeln zum Einsatz. Nur Sojaschrot und Leinkuchen werden zugekauft. Die Eiweißversorgung ist durch politische Vorgaben (Düngeverordnung, N-Limits) zunehmend begrenzt. „Protein ist das Problem“, stellt Claeys fest. Ein Blick auf die Rationen zeigt: Leistungsfähige Eiweißträger wie Sojaschrot sind wichtig für eine bedarfsgerechte Fütterung.

Futterkomponenten

Verbindung von EU-Politik und Praxis

Beim Austausch mit Claeys wurde deutlich, wie eng politische Rahmenbedingungen und tägliche Praxis verbunden sind. Zwischenfrüchte wie japanischer Hafer werden gezielt eingesetzt, um die Kohlenstoffanreicherung im Boden zu fördern und dessen Qualität zu verbessern – dafür gibt es zusätzliche EU-Prämien. Die Begrenzung des Stickstoffeinsatzes limitiert die eiweißreiche Grasproduktion – mit direkten Auswirkungen auf die Rationsgestaltung. Die Gebäude- und Flächengenehmigungen hängen zunehmend vom Abstand zu Schutzgebieten ab – auch das beeinflusst die Zukunftsfähigkeit.

Haltungskonzept: Kälber bleiben bei der Mutter

Die Tierhaltung folgt einem klar strukturierten, aber tiernahen Ansatz. Etwa 100 Kälber pro Jahr werden geboren; fast alle per Kaiserschnitt, denn aufgrund der extremen Bemuskelung und Größe können die Kühe in den meisten Fällen die Kälber nicht auf natürlichem Wege gebären. Das stellt hohe Anforderungen an das Haltungsmanagement und sorgt vor allem außerhalb Belgiens immer wieder für Kritik an dieser Rasse. Die Kalbeprobleme dieser Rasse treten bei der Kreuzung mit anderen Rinderrassen nicht auf, sofern die andere Rinderrasse nicht auch über das sogenannte „Doppellender-Gen” verfügt, welches für die übermäßige Muskelbildung verantwortlich ist.

Anders als in der Milchkuhhaltung bleiben die Kälber drei bis sechs Monate bei der Kuh. Bei Erstkalbinnen übernehmen erfahrene Kühe die Aufzucht. Die Geburt wird durch eine tägliche Temperaturkontrolle vorbereitet, die Besamung erfolgt überwiegend künstlich – Ausbrüche von Krankheiten wie Blauzungenvirus haben Claeys vorsichtig gemacht. 

Kälberaufzucht

Ackerbau und Kreislaufwirtschaft

Auf 60 Hektar Ackerfläche baut Claeys Winterweizen, Zuckerrüben, Silomais und Kartoffeln zur Direktvermarktung an. Die organische Düngung erfolgt ausschließlich aus eigener Tierhaltung. Zwischenfrüchte wie Gelbsenf oder japanischer Hafer verbessern den Humusaufbau und beugen Erosion vor. Zur Erosionsminderung hat Claeys auf einem Hangschlag einen einfachen Damm aus Hackschnitzeln angelegt – eine unkomplizierte Maßnahme, um Bodenabtrag bei Starkregen zu vermeiden.

Das Thema Wasser- und Energieversorgung ist durchdacht: Eine 400 m³ Regenwasserzisterne versorgt Tiere, Reinigung und Pflanzenschutz; eine 10 kW PV-Anlage liefert Strom, ein Projekt zur Stromvermarktung ist in Planung.

Schlachterlöse und Vermarktung

Die Bullen werden mit etwa 22 Monaten und 750 – 850 kg Lebendgewicht vermarktet. Die Preise stimmen derzeit – für ein Kalb im Alter von drei Wochen sind bis zu 1.300 € möglich. Abnehmer ist die Genossenschaft Hoeverund, die unter anderem an den belgischen Lebensmitteleinzelhandel liefert.

FAZIT:

Ein Betrieb, der politische Vorgaben mit Praxistauglichkeit vereint

Für Fütterungsberater und Praktiker bietet der Betrieb zahlreiche Anknüpfungspunkte – etwa beim Umgang mit aktuellen Herausforderungen in der Rinderhaltung. Ein Beispiel dafür ist die klassische Mutterkuhhaltung: Die Kälber bleiben sieben bis acht Monate bei ihren Müttern und werden ausschließlich von diesen gesäugt – ein Ansatz, der Arbeitszeit spart und zugleich dem Tierwohlgedanken entspricht.  

Die Rationen sind so konzipiert, dass sie trotz gesetzlicher Stickstoffobergrenzen eine bedarfsgerechte Eiweißversorgung ermöglichen. Ergänzt wird das Futter um verarbeitetes Getreide – etwa gequetschten oder behandelten Weizen –, um die Stärkeverfügbarkeit zu erhöhen.

Auch die zuchtspezifischen Anforderungen der Rasse Belgian Blue prägen das Management: Viele Kalbungen erfolgen per Kaiserschnitt. In der Mast wird darauf geachtet, die Kälber mit möglichst hohem Gewicht einzustallen – denn kräftige Tiere verwerten das Futter besonders effizient, vor allem zu Beginn der Mast. Das ruhige Verhalten der Tiere erleichtert zudem den Umgang im Stall.

Der Betrieb Claeys zeigt, wie sich trotz zunehmender Vorgaben aus Brüssel Tierwohl, Fütterung und Wirtschaftlichkeit miteinander vereinbaren lassen – wenn Management, Betriebsstruktur und Vermarktung konsequent aufeinander abgestimmt sind. Wer auf Eigenversorgung, klare Abläufe und gezielten Eiweißzukauf setzt, kann auch unter wachsendem bürokratischen Druck tragfähige Lösungen finden.

ENAJ-Teilnehmer und Landwirte Claeys

DER DIREKTE DRAHT

Dieser Beitrag basiert auf Eindrücken einer Pressereise des Europäischen Netzwerks für Agrarjournalisten (ENAJ) nach Brüssel, an der Dr. Illya Kolba – Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim OVID Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e. V. und Mitglied im Verband Deutscher Agrarjournalisten (VDAJ) – im Juni 2025 teilnahm.