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Milchrinderzüchtung: Ist eine direkte Züchtung auf reduzierte Methanbildung empfehlenswert?
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Einführung

Der Pansen (lat. Rumen) ist eine prägastrische Fermentationskammer mit einem sehr komplexen mikrobiellen Ökosystem. Er entstand in einer bereits viele Millionen Jahre umfassenden Koevolution der Wiederkäuer mit zahlreichen Mikroorganismen.

Die hier vorhandene Symbiose zwischen dem Wiederkäuer (Wirt) und seinem Mikrobiom ist für beide Partner von Vorteil. So übernehmen die ruminalen Mikroorganismen Aufgaben, die im Genom eines Wiederkäuers nicht verankert sind. Dazu gehört unter anderem der Abbau von Nahrungsbestandteilen (z.B. Cellulose), die sie allein nicht zu verdauen vermögen.

Automatische Futter-Wiege-Station zur tierindividuellen Erfassung des täglichen Futterverzehrs (Foto: W. Brade)

Mikrobielle Umsetzung des Futters im Pansen

Der größte Teil des aufgenommenen Futters einer Kuh wird bereits im Pansen fermentiert und weiter umgebildet.

Dabei finden zahlreiche Stoffwechselvorgänge in anaerober Umgebung gleichzeitig statt. Beteiligt sind eine (unbekannte) Vielzahl von Prokaryonten (Bakterien, Archaeen) sowie Eukaryonten (Einzeller [Protozoen] und Pilze).

Durch die mikrobiellen Umsetzungen im Pansen wird die Zusammensetzung des vom Wirt aufgenommenen Futters grundlegend verändert (Abb. 1).

Abb. 1: Vereinfachtes Schema zwischen Futteraufnahme, Stoffwechselaktivitäten im Pansen und Milchbildung bei der Kuh (eigene Darstellung)

Anzumerken bleibt: durch das ruminale Mikrobiom stehen dem Wirt (Wiederkäuer) zusätzliche funktionelle Nischen für den Abbau der Futtermittel zur Verfügung. So besitzen verschiedene Mikrobenspecies auch solche Enzyme, die für den Faserabbau erforderlich sind (Abb. 1).

Die Fermentation im Pansen führt zur Bildung von flüchtigen Fettsäuren (VFA), Methan (CH4), Kohlendioxid (CO2), Ammoniak (NH3) und mikrobiellen Proteinen. Während CH4 und CO2 durch Aufstoßen (Ructus) direkt vom Wirt freigesetzt werden, werden VFA und NH3 durch das Pansenepithelgewebe absorbiert und zur Leber transportiert.

In den Leberzellen wird NH3 zu Harnstoff umgewandelt und von dort wiederum teilweise zurückgeführt. Harnstoff kann über den Speichel sowie über Blut und Pansenepithel in das Panseninnere abgegeben werden und steht so wiederum der mikrobiellen Proteinsynthese zur Verfügung (Abb. 1).

Kann eine Mikrobenart seine Stoffwechselprodukte nicht selbst weiterverwerten, finden diese für den Stoffwechsel/Wachstum anderer Mikrobenspecies weitere Verwendung.

In letzter Zeit besteht ein erhöhtes Interesse an der Auswahl von Tieren mit einer geringeren enterischer CH4-Bildung.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass der CH4-Ertrag ein Merkmal mit genetisch bedingter Variation ist. Der CH4-Ertrag erfasst die CH4-Emission pro kg (Futter)-Trockenmasseaufnahme (TM); ausgedrückt in g/kg TM.

Als Grundsatz gilt: eine angestrebte Methanreduzierung muss ohne Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Kuh und ihrer Leistung erfolgen. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, den Zusammenhang der Methanbildung und weiteren Merkmalen (z. B. Gesundheits- und Produktionsmerkmalen) zu verstehen. Leider sind physiologische Zusammenhänge der CH4-Bildung auf tierindividueller Basis – bisher nur in gezielten Studien im Ausland – hinreichend genau untersucht worden.

Neueste Versuchsergebnisse zum CH4-Phänotyp von Milchkühen

Kürzlich wurden nun erstmalig Ergebnisse bezüglich des physiologischen Hintergrundes variierender CH4-Erträge auch von Milchkühen publiziert. Die hier zitierte Studie wurde an der Pennsylvania State University (USA) durchgeführt (Stepanchenko et al., 2023). Vergleichbare Studien lagen bisher nur von kleinen Wiederkäuern (Schafen) vor.

Versuchsaufbau

Der Versuchsaufbau kann wie folgt beschrieben werden: insgesamt 130 Holsteinkühe wurden mit einem GreenFeed-System (C-Lock Inc.) auf enterische CH4-Emissionen bewertet. Von diesen 130 Kühen wurden anschließend je 5 phänotypisch hohe (HM) bzw. niedrige (LM) CH4-Emittenten ausselektiert und weiteren Prüfungen unterzogen.

Den Kühen wurde während des gesamten Experiments das gleiche Futter verabreicht. Die Milchleistung der Kühe wurde bei jedem Melken aufgezeichnet. Bestimmt wurden sowohl Kenngrößen zur Pansenfermentation, der Verdaulichkeit ausgewählter Nährstoffe als auch zur Struktur des ruminalen Mikrobioms (mittels Pansensaftproben) in den beiden Versuchsgruppen.

Zur Erfassung der Nährstoffverdaulichkeit (im gesamten Verdauungstrakt) wurden zusätzlich Kotproben gesammelt und analysiert. Sie wurden genutzt, um die scheinbare Verdaulichkeit der verabreichten Futtermittel tierindividuell abzuschätzen.

Die Daten bezüglich der beobachteten enterischen Gasemissionen für die LM- bzw. HM-Kühe sind in der Tabelle 1 aufgeführt.

Tab.1: Enterische Methanbildung bei differenzierten Methanemittenten*

Tiere mit dem HM-Phänotyp hatten eine um 93 g/Tag höhere tägliche enterische CH4-Emission und eine deutlich höhere CH4-Ausbeute als LM-Kühe. Ebenso war die CH4-Emissionsintensität (pro kg ECM-Ertrag) für die HM-Gruppe im Vergleich zur LM-Gruppe signifikant größer (Tab. 1).

Auswirkungen des CH4-Phänotyps auf die Pansenfermentation

Die Auswirkungen des CH4-Phänotyps auf die Pansenfermentation – charakterisiert an Hand der zugehörigen Konzentrationen flüchtiger Fettsäuren (VFA) im Pansensaft – sind in Tabelle 2 dargestellt.

Kühe mit unterschiedlichem CH4-Phänotyp hatten ähnliche Pansen-pH-Werte.

Die Gesamt-Konzentration flüchtiger Fettsäuren (VFA) im Panseninhalt unterschied sich zwischen den CH4-Phänotypen nicht; aber die LM-Kühe hatten einen geringeren Anteil an Acetat (57 vs. 62,1 %) und einen höheren Anteil an Propionat (27,5 vs. 21,6 %) und daher ein verändertes Acetat : Propionat-Verhältnis als HM-Kühe (Tab. 2).

Tab. 2: Kenngrößen zur Pansenfermentation bei differenzierten Methanemittenten

Die (molaren) Anteile anderer VFA, einschließlich Butyrat, Valerat und Isovalerat, unterschieden sich zwischen den CH4-Phänotypen nicht (Tab. 2).

Scheinbare Verdaulichkeit (Basis: Gesamtverdauungstrakt)

Aus physiologisch-methodischer Sicht sollte man zwischen scheinbarer und wahrer Verdaulichkeit differenzieren. Die scheinbare Verdaulichkeit lässt sich allerdings viel einfach bestimmen, indem man z.B. bewertet, wieviel Eiweiß (oder Fett oder Kohlenhydrate) gefressen wurde und wieviel unverdauliches Eiweiß (oder andere Nährstoffe) mit dem Kot wieder ausgeschieden wird.

Die Daten zur Nährstoffaufnahme und zur scheinbaren Verdaulichkeit (im Gesamtverdauungstrakt) sind in Tabelle 3 aufgeführt.

Tab. 3: Scheinbare Verdaulichkeit verschiedener Futterkomponenten in differenzierten Methanemittenten-Gruppen

In dieser Studie hatten Kühe mit niedrigem und hohem CH4-Ertrag eine ähnliche Produktionsleistung und Milchzusammensetzung, aber die scheinbare Verdaulichkeit von organischem Material und Faserfraktionen im Gesamttrakt war in der ersteren Tiergruppe signifikant geringer. Auch bleibt festzuhalten: die Stärkeverdaulichkeit unterschied sich zwischen den CH4-Phänotypen nicht (Tab. 3).

Unterschiede in den mikrobiellen Gemeinschaften

Die mikrobiellen Gemeinschaften im Pansen wurden von Bakterien dominiert, die mehr als 92 % der gesamten mikrobiellen Häufigkeit in allen Proben ausmachten, während Archaeen nur 1,2 bis 2,7 % ausmachten. Sowohl der Artenreichtum als auch die Diversität der methanogenen Gemeinschaften war in der LM-Gruppe zahlenmäßig geringer als in der HM-Gruppe. Unter den methanogenen Gattungen waren Methanobrevibacter und Methanosphaera die dominierenden Populationen. 

Die Bakterienpopulationen zeigten bei LM-Kühen im Vergleich zu HM-Kühen einen Trend zu einem höheren und bei Archaeen einen Trend zu einem niedrigeren Wert, die jedoch nicht statistisch abgesichert werden konnten.

Weitere DNA-Analysen zeigten auch, dass die Bakterienhäufigkeit von Succinivibrionaceae und Veillonellaceae bei LM-Kühen höher als bei HM-Kühen war, und eine positive Assoziation mit der Propionatkonzentration im Pansen zeigten. Darüber hinaus besaßen LM-Kühe im Vergleich zu HM-Kühen weniger Transkripte eines Gens, das für das Methyl-CoM-Reduktase-Enzym kodiert.

Anm.: Das Enzym Methyl-Coenzym-M-Reduktase (MRC) katalysiert den letzten Schritt der Methanbildung (= Übertragung von Wasserstoff auf Methyl) und stellt somit ein Schlüsselenzym dar.

Diskussion

Wiederkäuer haben eine enorme Bedeutung, da sie für den Menschen unverdauliche pflanzliche Biomasse in verdauliche Lebensmittel umwandeln.

Bereits Goopy et al. (2014) zeigten, dass eine niedrigere Methanogenese bei Schafen vererbbar und gleichzeitig mit kleineren Pansenvolumina begleitet ist.

Sie wählten aus einer genügend großen Kohorte (über 700 Schafe) je 10 Tiere mit hoher bzw. niedriger CH4-Emission. Mittels Computertomografie (CT) wurde anschließend die zugehörige Größe und Morphologie der Schafpansen bewertet.

Niedrige CH4-Emittenten haben ein kleineres Pansenvolumen und eine kürzere Retentionszeit als hohe CH4-Emittenten (Tab. 4).

Tab. 4: Beobachtete Unterschiede zwischen zwei Mutterschafgruppen (je 10 hohe bzw. 10 niedrige Methanemittenten bewertet)

Zusätzlich variierte die Passagerate der Digesta durch den Verdauungstrakt (Tab. 4). Dies bewirkt, dass das Futter in kleineren Pansen weniger intensiv fermentiert wird. Als Folge kann eine niedrigere Methanogenese beobachtet werden.

Die Etablierung einer direkten genetisch-züchterischen Selektion der Wiederkäuer auf den CH4-Output, wie sie häufig in populärwissenschaftlichen Beiträgen gefordert wird, ist äußerst schwierig.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass bei direkter Auswahl niedriger CH4-Emittenten in Zuchtprogrammen mit Rindern oder Schafen – nach dem aktuell vorliegenden Kenntnisstand – große Vorsicht geboten ist, da dies gleichzeitig zu einer verminderten Effizienz der Zellwandverwertung bei den Wiederkäuern führen kann.

Zukünftig dürften vor allem Fütterungszusätze zur Minderung des CH4-Ausstoßes eine größere Bedeutung auf Einzelbetriebsebene erlangen (Abb. 2).

Abb. 2: Bereits aktuell gut mögliche Methan-Minderungsstrategien in der Praxis (eigene Grafik)

Weitere Ansätze bieten sich in Form einer weiteren Verlängerung der Nutzungsdauer der Kühe, gezielte Verbesserungen bezüglich der Futterverwertung und/oder eine gezielte Reduzierung krankheitsbedingter Tierverluste bereits jetzt in besonderer Weise an (Abb. 2).

FAZIT

Holsteinkühe mit einer geringeren CH4-Emission wiesen insgesamt eine geringere Verdaulichkeit der organischen Nahrungssubstanz und der Faserfraktionen im Gesamtverdauungstrakt auf. Außerdem war deren Acetatkonzentration geringer und die Propionatkonzentration höher, woraus sich ein verändertes Acetat : Propionat-Verhältnis in der Pansenflüssigkeit ergab.

Darüber hinaus zeigte sich, dass Unterschiede in den CH4-Emissionen mit Unterschieden in den Genen einhergehen, die das MCR-Enzym kodieren.

Bei intensiv-einseitiger und direkter Auswahl niedriger CH4-Emittenten in Zuchtprogrammen mit Milchkühen ist – nach dem aktuell vorliegenden Kenntnisstand – große Vorsicht geboten, da dies gleichzeitig zu einer verminderten Effizienz der Zellwandverwertung führen kann. Stattdessen sollten vorerst gezielte fütterungs- und/oder managementbedingte Maßnahmen gezielt genutzt werden.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. habil. Wilfried Brade
Professor für Tierzucht (i.R.) an der TiHo Hannover
aktuell: Norddeutsches Tierzuchtberatungsbüro

Email: wilfried.brade[at]t-online.de