Insektenproduktion als nachhaltige Proteinalternative – Enorm geht ins Risiko
10.000 t Insektenproteinmehl, 2.500 t Insektenöl und 15.000 t Frass (tote Fliegen, Chitin aus der Häutung, Insektenkot und Futterreste) sollen in der Enormfabrik in Flemming im dänischen Ostjütland jährlich produziert werden. Dieses Ziel hat sich Carsten Lind Pedersen, der CEO der Enorm-Fabrik, mit seiner Mannschaft gesetzt.
Und dass er Ziele erreichen kann, hat der gelernte Landwirt schon in der Vergangenheit gezeigt. 2005 hat er für seine Schweineproduktion in Dänemark keine Zukunft mehr gesehen und mit seinen Kollegen diese nach Rumänien verlegt. Nach einem Ausflug ins Futtermittelgeschäft und dem Bereich der Güllebehandlung wurde im Jahr 2017 der landwirtschaftliche Betrieb in Flemming gekauft. Neben den ca. 120 ha gab es dort noch einen Kuhstall und zwei Hühnerställe. Und genau diesen hat er dann zur Pilotanlage umgebaut und 4 Jahre als solche für seine Insektenproduktion mit der Schwarzen Soldatenfliege genutzt. „Hier konnten wir in kleinem Maßstab ausprobieren und optimieren, was wir dann im letzten Jahr in der großen Anlage umgesetzt haben“ erklärt der CEO. Natürlich sind diese Optimierungsprozesse noch lange nicht zu Ende, denn 6 der 60 im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter kümmern sich auch heute noch um die Produktionsoptimierung.
2022 war es dann soweit, die Fabrik, wie sie Pedersen immer nennt, konnte nach zweieinhalb Jahren Genehmigungspoker gebaut werden. „Hier haben mir meine Erfahrungen mit der Schweineproduktion gute Dienste geleistet. Genau wie in der Ferkelproduktion kann die Insektenproduktion genau getaktet werden, ich weiß schon lange im Voraus, was an den einzelnen Tagen zu tun ist“ berichtet Carsten Lind Pedersen. Sinnvoll war für ihn nur eine volle Integration der Produktion, also die Madenerzeugung, die Larvenmast und die Verarbeitung in einem Werk zu vereinigen.
Die Madenproduktion ist die zentrale Einheit der Produktionsanlage, hier wird der Takt für die Erzeugung vorgegeben. Ziel ist eine Erzeugung von 24 kg (800 Mio. Stk.) Fliegeneier pro Tag, die sich dann zu 100 t geernteter Larven entwickeln. Nur etwa 0,5 bis 0,75% aller geernteten Eier werden bis zur Fliege aufgezogen, alle anderen zur Insektenmehlproduktion genutzt.
Die Eier, die zur Reproduktion genutzt werden, kommen in einen eigenen Raum. Dazu der Geschäftsführer: „Etwa eine Woche können die Eier dort aufbewahrt werden. Durch die Höhe der Temperatur steuern wir die Entwicklung der Eier, sodass immer ausreichend schlupffähige Eier just in time zur Verfügung stehen“.
Nach dem Verbringen der Eier, die sich immer noch in den Pappwaben befinden, in den Schlupfraum, fallen die geschlüpften Maden nach unten und werden abgesammelt.
Auch diese kommen in einen eigenen Raum, in dem durch die eingestellte Temperatur die Entwicklung gesteuert werden kann. Ähnlich zu der Mast werden diese dann automatisiert in eine Kiste mit Futter dosiert (ca. 10.000 Junglarven).
In diesen Räumlichkeiten, von denen ausreichend vorhanden sind, da man nicht immer genau weiß, wie lange die Entwicklung im Puppenstadium dauert, werden die Kisten, wenn die ersten Fliegen schlüpfen, zum Flugraum gebracht und unter die Flugkäfige gestellt.
Von diesen Flugräumen gibt es in Flemming 500 Stück. Etwas futuristisch muten die in grün-blaues Licht getauchten Innenräume an, in denen die adulten Fliegen mehr an den Seitenwänden sitzen, als fliegen. Die Lebensdauer der Fliegen ist kurz. Die männlichen Fliegen sterben gleich nach dem Kopulationsakt, die weiblichen Fliegen leben etwa 6-9 Tage. In dieser Zeit legt jede Fliege etwa 1.000 Eier. Dazu wird im Flugraum eine Wabenpappe eingelegt, die täglich kontrolliert und gewechselt wird.
Über die gesamte Lebenszeit nehmen die Fliegen keine Nahrung auf. Nur etwas Wasser wird ihnen über poröse Steine, an denen sie nuckeln können, zur Verfügung gestellt. Wichtig aber sind Temperatur (27-30° C), Luftfeuchtigkeit (ca 60%) und das Licht mit einem hohen Anteil an UV-A Licht, das zur Kopulationsbereitschaft und Eireifung beiträgt. Wenn der Großteil der Fliegen geschlüpft ist, werden die Kisten, die dann auch einen größeren Anteil an toter Fliegen beinhalten, ausgetauscht, so dass die Flugräume immer mit ausreichend Fliegen zur Eiablage besetzt sind. Die mit Eiern besetzten Pappwaben gehen dann in den Aufbewahrungsraum.
99,5 % aller Eier/Larven gehen dann in die Larvenmast. Diese ist zweigeteilt. Zunächst die Vormast, die 7 Tage dauert. Hier kommt eine Dosis Larven in eine kleinere Kiste mit etwas 3,5-4 kg flüssigem Futter. Wobei die Larven noch ein kleines „Leckerli“ in Form eines Rübenproduktes zur schnelleren Entwicklung erhalten. Auch das Plastikbehältnis, in denen sie angeliefert werden, bleibt als Schutz vor Austrocknen und zur Wärmeisolation über den Larven.
Die Kisten, von denen es in Flemming etwa 120.000 gibt, werden dann automatisch über Roboter in die Wärmekammern verbracht. In diesen Kammern spielt die Temperatur, aber ganz besonders die Luftgeschwindigkeit eine entscheidende Rolle. Hier kommt sie nicht wie beim Schwein von oben, sondern von der Seite. Damit soll gewährleistet werden, dass auch die unteren Kisten mit Frischluft versorgt, bzw. gekühlt werden können. Dazu der CEO: „Wir haben zur Zeit noch Probleme mit der Lüftung, die unteren Kisten bekommen nicht ausreichend Frischluft ab, so dass die Maden anfangen auszuwandern. Daher bauen wir jetzt weitere Ventilatoren ein“.
Nach 7 Tagen lagern die gleichen Roboterfahrzeuge die Kisten wieder aus, bringen sie dann zur automatischen Umladung des Inhaltes in die großen Mastkisten. Auch hier wird vorher entsprechendes Futter mit eindosiert. Nach der Einlagerung in die Endmastkabinen verbleiben sie dort 5 Tage, bevor sie dann ausgelagert, abgesiebt und zur Verarbeitung gebracht werden. Die komplette Mast läuft automatisch gesteuert ab.
Die Frage, ob eine solche Produktion noch übersichtlich ist, beantwortet Pedersen: „Das ist BigData oder smart farming, alle Produktionsprozesse liefern laufend Daten. So stehen dem Management laufend aktuelle Zahlen zum Energieverbrauch, dem Stromverbrauch, dem Futterverbrauch und andere zur Verfügung. Die Daten sind so exakt, dass wir jeden Futterwechsel dort erkennen können.“
Denn gerade das Futter ist entscheidend für den Produktionserfolg. Hier bauen die Dänen auf Beiprodukte aus der Ernährungsindustrie und der Landwirtschaft, die für die menschliche Ernährung nicht mehr nutzbar sind. Eingesetzt werden unter anderem Produkte aus der Bierbrauerei, der Milchverarbeitung, der Saftproduktion und der Pommes frites-Produktion.
Die Vorteile erklärt der Geschäftsführer: „Mit dieser Strategie machen wir aus, für den menschlichen oder tierischen Bereich nicht mehr nutzbaren Quellen hochwertiges Protein und Fett. Damit erzeugen wir ein nachhaltiges und mit geringem CO2-Fußabdruck versehenes Proteinfutter.“ Dass dieses Konzept funktioniert zeigt die Reaktion der Ernährungsindustrie. Als man vor 4 Jahren dort anfragte, ob eine Zusammenarbeit mit der Nutzung der Nebenprodukte möglich sei, gab es eine klare ablehnende Haltung. Heute kommen die großen Konzerne von sich aus und bieten Nebenprodukte an. Damit können sie ihre Nachhaltigkeit deutlich verbessern.
Allerdings sind neben den Nebenprodukten auch noch einige traditionelle Futtermittel für eine ausgeglichene Ration notwendig. Daher bestehen 20% der Ration auch aus Getreide und Rapsextraktionsschrot. „Denn“, so der CEO, „nur mit ausgewogenen Rationen lassen sich große fette Larven, große fette Fliegen und große fette Eier erzeugen“.
Wichtig beim Futter ist auch die Struktur. Die festen Futterkomponenten müssen auf unter 1mm Korngröße vermahlen werden, damit eine optimale Futterverwertung herauskommt. Zudem darf die Trockensubstanz des Futters nicht über 30% betragen. Zum einen kommen dann die Larven besser ans Futter, zum anderen kann die Verdunstungskühle zur Kühlung der wachsenden Larven beitragen, die bei dem enormen Wachstum große Mengen an Wärme produzieren. Stimmt die Fütterung, lassen sich bezogen auf die Trockensubstanz Futterverwertungen von 1: 1,2-1,5 erzielen.
Carsten Lind Pedersen wünscht sich für die Zukunft auch eine Zulassung von weiteren Futtermitteln für seine Larven wie Küchen- oder Restaurantabfälle, aber auch perspektivisch Gülle oder Mist aus der Tierproduktion. Das wird aber wohl eher ein Traum bleiben.
Momentan werden immer wieder Versuche mit unterschiedlichen Futtermitteln, aber auch Futterzusatzstoffen wie Aminosäuren, gefahren. In der Verbesserung der Futterversorgung sieht man in Flemming noch größere Reserven. Das ist in Anbetracht der enormen Mengen an Futter, täglich werden ca. 400 t Flüssigfutter erzeugt, verständlich.
Nach dem Absieben der erntereifen Larven, etwa 6-8 Tage vor der Verpuppung, werden diese einer Temperatur von ca. 90°C für ca. 50 Sekunden ausgesetzt und so getötet. Die Trennung von Fett und Protein geschieht im flüssigen Verfahren, analog zur üblichen Produktion von Fischmehl. Das Proteinmehl (> 55 % Rohprotein), das noch geringe Anteile an Chitin (3-4 %) und Fett (< 12%) enthält, wird dann bei 60°C weiter getrocknet. Das Fett ist reich an Laurinsäure und hat einen Schmelzpunkt um die 40°C. Das Ziel in Kürze heißt: Standardisiertes Produkt, mit dem die Abnehmer über längere Zeit planen können.
Als weiteres Produkt fällt der Frass an. Die Inhaltsstoffe würden ihn als sehr guten Dünger qualifizieren. Allerdings ist er dazu laut Verordnung zu hygienisieren (60 min bei 70°C). Der erforderliche Energieaufwand dafür nimmt dem Produkt dann aber die wirtschaftliche Verwertbarkeit. Daher wird es zurzeit an eine Biogasanlage abgegeben.
Um die über 100 Mio. € teure Gesamtinvestition auch rentabel betreiben zu können, sind dafür aktuell Preise von 3-3,5 € pro kg bei größeren Abnahmemengen Insektenmehl notwendig. Zumal sich die Futterkosten für die Insekten von ehemals eher 15 € mittlerweile auf 20-23 € je dt erhöht haben.
Um die Energiekosten so gering wie möglich zu halten, aber auch um die Energieversorgung krisenfest zu machen, wurde kräftig in eine Energierückgewinnung investiert. Etwa 30% des Energiebedarfs wird durch Wärmetauscher zurückgewonnen. Der Rest wird über eine Hackschnitzelheizung, die alleine 10 Mio. € gekostet hat, erzeugt. Die Hackschnitzel werden aus der Umgebung zugekauft. Geplant war ursprünglich eine Gasheizung, die auch gebaut wurde aber heute als „Putins Denkmal“ nur als Reserve genutzt wird. Insgesamt beträgt die Heizleistung 6 Megawatt.
Um auch die Umweltziele einzuhalten, wird die gesamte Abluft über eine Abluftreinigungsanlage geführt, die sowohl das Ammoniak, als auch den Geruch abscheidet.
„Unsere momentanen Absatzmöglichkeiten beschränken sich auf Huhn und Schwein, die Aquakultur und das Heimtierfutter, wobei die letzten beiden den Großteil ausmachen. In Zukunft wünsche ich mir aber auch den Einsatz in der menschlichen Nahrung, der Biotechnologie oder der Kosmetik. Hierzu müssen aber noch gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.“ kommentiert der CEO seine Absatzchancen. Aktuelle Statistiken zum Absatz bestätigen die Zahlen.
Im Rahmen einer internen Umfrage, die 2023 durchgeführt wurde, wurden die IPIFF-Mitglieder gebeten, in der Reihenfolge ihrer Marktsegmente für Insektenfuttermittel sowohl im Jahr 2025 als auch im Jahr 2030 zu benennen. Die Tabelle 1 spiegelt die Antworten von 25 Befragten wider, die die führenden Insektenfuttermittel produzierenden Unternehmen in Europa repräsentieren.
Tabelle 1: Erwartete Anteile der Marktsegmente für Insektenproteine für 2025 und 2030 (%) (Quelle: ww.IPIFF.org; Nov.2023)
Betrachtet man weitere Marktanalysen zum Insektenprotein werden den momentan 10.000 t Insektenprotein, das in der EU erzeugt wird, 660.000 t, die in 2030 erwartet werden, gegenübergestellt. Dies bestätigt die guten Erwartungen die in Flemming auch weitere Partner, wie Big Dutchman und die dänische DLG dazu veranlasst haben, sich 2022 an der Enormfabrik zu beteiligen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Carsten Lind Pedersen gemeinsam mit seinen Mitstreitern ein Produktionsgebiet betreten haben, das noch in den Kinderschuhen steckt, bei dem noch viele Fragen offen sind, das aber auch gewaltige Marktchancen bietet.
Man muss aber auch beachten, dass Hoffnungen, insbesondere in der Schweineproduktion, auf ein Ersatzfutter für bisher genutztes Sojaschrot in Form von Insektenproteinmehl wohl in absehbarer Zukunft nicht erfüllt werden.a