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Effekte des Angebotes von Heu auf Wachstum, Verhalten und kognitive Entwicklung von Kälbern
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Kälber werden als Monogastrier geboren und nehmen einen Großteil der benötigten Nährstoffe über die Milch auf. Festes Futter wird vor allem in den ersten Lebenswochen nur in geringen Mengen aufgenommen und scheint daher von geringerer Bedeutung. Zahlreiche aktuellen Studien zeigen jedoch, dass gerade das Angebot von Heu neben Kraftfutterkomponenten innerhalb der ersten Lebenswochen entscheidend für hohe Tageszunahmen, das Ausleben natürlicher Verhaltensmuster und die kognitive Entwicklung von Kälbern ist.

In diesem Artikel fasst Dr. Jason Hayer vom Hofgut Neumühle die Ergebnisse einiger aktuellen Studien zusammen.

Versorgung von Kälbern mit festen Futtermitteln in der Praxis

Obwohl Kälber mit nur einem voll ausgebildeten Magen geboren werden und Milch die Hauptnährstoffquelle darstellt, ist eine frühe Versorgung mit hochwertigen, festen Futtermitteln für die Entwicklung zum Wiederkäuer von hoher Bedeutung. Die Bedeutung des Raufutters für Kälber zeigt sich auch darin, dass der Versorgungszeitpunkt gesetzlich festgehalten ist. So müssen alle kälberhaltenden Betriebe nach der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ihren Kälbern spätestens ab dem achten Lebenstag „Raufutter oder sonstiges rohfaserreiches strukturiertes Futter zur freien Aufnahme“ anbieten.

In einer Erhebung auf westdeutschen Milchkuhbetrieben (n = 42) wurde unter anderem auch der Zeitpunkt abgefragt, ab dem Raufutter und Kraftfutter den Kälbern zur Verfügung gestellt wird (Abbildung 1).

Abbildung 1: Angegebenes Alter (Tage nach Geburt) von Kälbern in Milchkuhbetrieben bei Zugang zu Raufutter bzw. Kraftfutter (modifiziert nach Hayer et al., 2021)

Von den 42 befragten Tierhaltern und Tierhalterinnen gaben 15 an, Raufutter bereits innerhalb der ersten Lebenswoche zur Verfügung zu stellen. Der Großteil der Betriebe bietet hingegen Raufutter erst ab dem 14. bzw. 21. Lebenstag an, welches oft mit der Umstallung von der Einzelhaltung in die Gruppenhaltung einherging.

Die gesetzliche Verpflichtung, Raufutter bereits ab dem 8. Lebenstag anzubieten, setzten insgesamt 54,8 % der Betriebe nicht um.

In der gleichen Umfrage wurde zudem abgefragt, welche Komponenten die Befragten als wichtig für das Wohlergehen ihrer Kälber erachten. Auf diese Frage wurde am häufigsten der Zugang zu Futter und Wasser genannt, welches im Kontrast zur oft späten Versorgung mit Raufutter steht. Dies lässt vermuten, dass einigen kälberhaltenden Betrieben die Bedeutung der Raufutterversorgung für die Entwicklung und das Wohlergehen der Kälber nicht in Fülle bewusst ist und dies ein Beratungsansatz für eine bessere Versorgung von Kälbern darstellt.

Steigerung der Tageszunahmen und Förderung der Entwicklung durch gezielte Beifütterung

Innerhalb der ersten Lebenswochen nehmen Kälber, wenn sie mit ausreichenden Mengen an Vollmilch bzw. Milchaustauschertränke (mind. 15 % – 20 % des Körpergewichtes) versorgt werden, nur sehr geringe Mengen an festem Futter auf. Ältere Studien, die sich der Entwicklung des Vormagensystems von Kälbern gewidmet haben, deuteten darauf hin, dass sich eine schnellere Entwicklung insbesondere durch den Einsatz von hoch verdaulichem Kraftfutter erreichen lässt und weniger durch den physikalischen Effekt von Faserkomponenten des Raufutters.

Die Entwicklung des Rumenepithel ist in besonderem Maße von freiwerdenden flüchtigen Fettsäuren wie Butyrat und Propionat abhängig, wobei Butyrat als bevorzugte Energiequelle mit modulierender Wirkung auf die Genexpression des Pansenepithels oder der Pansenzotten identifiziert wurde. Daher wurde und wird teilweise immer noch eine alleinige Beifütterung mit leicht verdaulichen Kohlenhydraten und Proteinen in Form von Kraftfutter empfohlen und in der Praxis umgesetzt. Hohe Kraftfuttergaben mit schnell abbaubaren Kohlenhydraten führen zwar zu einer höheren Produktion von flüchtigen Fettsäuren im Pansen, aber auch zu niedrigen Pansen-pH-Werten.

Beispielweise untersuchten van Niekerk et al. (2021) den Pansen-pH-Wert von Kälbern zwischen der fünften und zwölften Lebenswoche bei einer Beifütterung mit Kraftfutter und gehäckseltem Stroh. Der Pansen pH-Wert lag in den ersten fünf Messwochen (Lebenswoche fünf bis neun) im Mittel zwischen 5,5 und 5,7, welches die Frage aufwirft, ob Kälber auch an subakuten Pansenazidosen leiden können?

In diesem Zusammenhang könnte die Ergänzung einer Kraftfutter-basierten Beifütterung mit Raufutter sehr sinnvoll sein, da diese die Kälber zum Wiederkauen anregt und der dabei produzierte Speichel puffernd wirken kann. In einer

Literaturübersicht zeigte eine andere Forschergruppe, dass von 21 Studien, die sich mit der puffernden Wirkung von Raufutter auseinandersetzten, 84 % einen positiven Einfluss nachwiesen und die anderen vier Studien keinen eindeutigen Effekt nachweisen konnten. Ferner zeigten einige aktuelle Studien, dass sich bei dem Angebot von zusätzlichem Raufutter oder der Mischung geringer Mengen an Raufutter mit Kraftfutter, z.B. in Form einer Kälber-Trocken-TMR, keine Verringerung der Kraftfutteraufnahmen einstellt, sondern die Trockenmasseaufnahme insgesamt zunimmt. Daher erscheint es empfehlenswert, Kraftfutter gemischt mit Heu oder Stroh in Form einer Trocken-TMR oder beide Komponenten separat schon möglichst früh anzubieten, um die Entwicklung und das Wachstum der Kälber zu fördern. Dabei sollte auf eine dauerhafte Versorgung mit sauberem Tränkwasser über einen offenen Eimer geachtet werden, da dieses für die mikrobielle Besiedlung und die Verdauung von essenzieller Bedeutung ist.

Neben einer ausreichenden Versorgung mit Milch und einem ständigen Angebot von sauberem Tränkwasser, empfiehlt es sich, z.B. eine hochwertige Kälber-Trocken-TMR und grob strukturiertes Heu zusätzlich ab Tag 1 anzubieten.

Minderung von abnormalen Verhaltensmustern durch gezielte Beifütterungen

Neben den positiven Effekten auf die Entwicklung und das Wachstum von Kälbern, haben Raufutter-Komponenten auch einen positiven Effekt auf das Verhalten und Wohlergehen von Kälbern. In den meisten Milchkuh-Betrieben werden Kälber restriktiv mit Milch versorgt. Dabei sind sehr geringe tägliche Milchmengen nicht unüblich. So fütterten z.B. in der Untersuchung westdeutscher Betriebe über 25 % der Betriebe weniger als 6 l Milch je Kalb und Tag.

Es ist bekannt, dass unter diesen Bedingungen Kälber Anzeichen von Hunger zeigen und auch abnormale Verhaltensmuster, wie das Saugen an Einrichtungsgegenständen oder anderen Kälbern. Horvath und Miller-Cushon et al. (2017) konnten in ihrer Untersuchung zeigen, dass bei Kälbern, die mit 6 l Milch/Tag über einen offenen Eimer getränkt wurden, die Dauer von abnormalen Saugverhaltensweisen durch ein Heu-Angebot fast um die Hälfte niedriger war, als bei Kälbern, denen kein Heu angeboten wurde.

Abnormales Saugverhalten, wie z.B. das gegenseitige Besaugen von Kälbern, wird auch als ein Risikofaktor für die Entwicklung von Nabelentzündungen beschrieben, welche in der PraeRi-Studie als Krankheit mit der höchsten Prävalenz unter Milchviehkälbern identifiziert wurde.

Das Angebot von Heu könnte somit, neben einer Erhöhung der Milchmenge und anderen Maßnahmen, auch zu einer besseren Kälbergesundheit beitragen.

Horvath und Miller-Cushon stellten in einer späteren Studie fest, dass neben dem Rückgang an unnatürlichen Saugmustern auch die Anzahl an Besuchen am Tränke-Automaten ohne Anrecht bei restriktiver Fütterung, welches als ein Anzeichen von Hunger identifiziert wurde, durch die Gabe von Heu deutlich reduziert werden konnte (ohne Heu: 21,1 Besuche in 12 h; mit Heu: 12,5 Besuche in 12 h). Außerdem zeigte sich in der Studie, dass Kälber, denen Heu zur Verfügung stand, häufiger und mehr Zeit mit Selbstpflege während des Absetzens verbrachten. Dieses deutet wiederum auf ein höheres Wohlergehen und weniger Stress hin.

Durch die Zugabe von Raufutter wird nicht nur die Entwicklung abnormaler Verhaltensmuster reduziert, sondern auch erwünschtes Verhalten, wie z.B. das Wiederkauen, gefördert. Downey und Tucker (2023) untersuchten das Verhalten und die Futteraufnahme von Kälbern, die entweder kein Heu, Heu über einen Eimer oder Heu über eine Röhre mit Löchern zur Verfügung gestellt bekamen. Beide Heu-Varianten wirkten sich positiv auf die Futteraufnahme der Kälber und reduzierend auf das Vorkommen von abnormalen Verhaltensmustern aus. Die Autoren schlussfolgerten, dass ein erschwertes Angebot, wie z.B. das über eine Röhre, keinen zusätzlichen positiven Effekt auf das Verhalten der Kälber hat und somit ein einfaches Angebot über einen Eimer ausreichend erscheint.

Interessanterweise wurde in dieser und anderen Studien festgestellt, dass Kälber, die Raufutter zur Verfügung hatten, mehr Kraftfutter in der gleichen Zeit aufnahmen als Kälber, die keinen Zugang zum Raufutter hatten. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass die Aufnahme und die Verdauung von Raufutter einen stärkeren Trainingseffekt hinsichtlich des Futteraufnahmeverhaltens hat und somit Kälber zu effizienteren Fressern machen könnte.

Das Angebot und die Aufnahme von Heu beeinflussen die kognitive Entwicklung von Kälbern

In den vergangenen Jahren fokussierten sich diverse Forschergruppen auch auf die kognitive Entwicklung von Kälbern und deren Umgang mit sich verändernden Situationen. In einer weiteren Studie von Horvath und Miller-Cushon (2020) wurde das Lernverhalten von Kälbern untersucht. In einem kleinen T-Labyrinth mit zwei Seiten wurde den Kälbern nur auf der einen Seite zusätzliche Milch (0,2 l) angeboten, während sich auf der anderen Seite nur eine Sackgasse befand (Abbildung 2).

Einzeln gehaltene Tränkekälber wurden in drei Fütterungs-Gruppen (pelletiertes Kraftfutter; Heu und separates Kraftfutter; Heu und Kraftfutter gemischt) eingeteilt und an das Labyrinth trainiert, wobei die Milch immer an der gleichen Seite angeboten wurde. Nach ca. 10 Tagen konnten sich fast alle Kälber, unabhängig von den Fütterungsvarianten, korrekt in dem Labyrinth orientieren. Anschließend wurde die Seite des Labyrinths, an der Milch angeboten wurde, getauscht.

In der Neuerlernungs-Phase hatten die Kälber, die nur Kraftfutter erhielten, eine geringere Erfolgsrate und benötigten auch mehr Runden (15,8), bis sie die neue Bedingung erlernten, als Kälber mit separatem Heu-Angebot (10,8) oder einer angebotenen Heu-Kraftfutter-Mischung (11,8).

Abbildung 2: T-Labyrinth zur Erfassung des Lernverhaltens, wobei nur auf einer Seite Milch angeboten wurde (links).

Erfolgsquote von Kälbern, die dreimal hintereinander die richtige Seite des Labyrinths in der ersten Trainingsphase gewählt hatten (oben rechts).

Erfolgsquote von Kälbern, die dreimal hintereinander die richtige Seite des Labyrinths nach der ersten Trainingsphase und einer Verdrehung der Seiten gewählt hatten.

(modifiziert nach Horvath und Miller-Cushon, 2020)

Die Autoren konnten somit zeigen, dass sich die unterschiedliche Fütterung auch auf die kognitive Entwicklung der Kälber auswirkte. Inwiefern diese Effekte eine langfristige Entwicklung und das spätere Verhalten der Jungrinder und Milchkühe beeinflussen, ist derzeit noch ungeklärt. Eine erste Folgestudie mit ähnlichem Aufbau und der Betrachtung des Verhaltens nach dem Absetzen konnte keine Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen.

Eine andere Studie von Downey und Tucker (2023) zeigte allerdings, dass das antrainierte Fressverhalten durch das Angebot von Heu, auch nach dem Absetzen bei der Umstellung auf eine Silage-TMR, erhalten blieb. Kälber, die vor dem Absetzen Heu zur Aufnahme angeboten bekamen, nahmen die gleiche Menge an TMR auf wie Kälber ohne ein Heu-Angebot, benötigten allerdings deutlich weniger Zeit für die Aufnahme und unterbrachen die TMR-Aufnahme seltener.

FAZIT

Die Raufutterversorgung ist für Kälber während der Tränkephase hinsichtlich der Deckung des Nährstoffbedarfes im Vergleich zur Milchfütterung von untergeordneter Rolle. Das Raufutter-Angebot in Form von hochqualitativem Heu und z.B. einer Kälber-Trocken-TMR ist jedoch für die Entwicklung des Vormagensystems, des Auslebens natürlicher Verhaltensmuster und die kognitive Entwicklung von Kälbern von wesentlicher Bedeutung. Eine Versorgung der Kälber ab dem ersten Lebenstag mit einer Kälber-Trocken-TMR und zusätzlichem, grob strukturiertem Heu erscheint sinnvoll.

DER DIREKTE DRAHT

Dr. Jason Hayer
Lehr- und Versuchsanstalt für Viehhaltung
Hofgut Neumühle
j.hayer(at)neumuehle.bv-pfalz.de
www.hofgut-neumuehle.de

Foto: Dr. Jason Hayer