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Rinderkrankheiten vorbeugen mit maßgeschneiderten Impfstoffen
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Neben der großen Vielfalt an kommerziellen Impfstoffen für Rinder gibt es auch die Möglichkeit, im Bedarfsfall für den eigenen Bestand passgenaue Bestandsimpfstoffe herstellen zu lassen. Für welche Fälle es sich lohnen kann diesen Weg zu nutzen, welche Aspekte dabei zu beachten sind und wie man zum fertigen Impfstoff kommt soll der folgende Beitrag von Dr. Ole Lamp, Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, beleuchten.

Impfungen sind schon lange ein fester Bestandteil in der Krankheitsvorbeugung beim Rind. War bis vor wenigen Jahren die BHV-Impfung fast allgemeine Routine, so sind es mittlerweile mehr und mehr die Impfungen gegen Kälbererkrankungen, die in vielen Betrieben selbstverständlich geworden sind. Dies hat auch seine Berechtigung, da „Kinderkrankheiten“ beim Kalb auch immer Entwicklungsverzögerungen oder auch Organschäden bedeuten, die die Aufzucht und damit die unproduktive Zeit verlängern oder sogar die Leistungsfähigkeit als spätere Milchkuh mindern. Der Impfstoff kann dabei entweder den Kälbern selbst in den ersten Lebenswochen verabreicht werden (sogenannte Aktive Impfung) oder es werden die Kühe in der Spätträchtigkeit geimpft, um den Kälbern bereits mit der ersten Biestmilch einen hohen Schutz durch die mütterlichen Immunstoffe, die sogenannten Antikörper, mitzugeben (dies wird als Passive Impfung bezeichnet).

Der Schlüssel muss zum Schloss passen

Ziel einer aktiven Impfung ist immer die Auslösung einer schützenden Antwort des Immunsystems, bei der es meist zu einer Bildung von schützenden Antikörpern kommt, die sich gegen den Impfstoff mit den darin enthaltenen, speziell aufbereiteten Krankheitserregern richten. Damit diese Antikörper auch wirklich schützend wirken können, müssen sie im Falle einer Infektion mit einem echten Krankheitserreger so zu ihm passen, wie ein Schlüssel zu nur einem Schloss passt. Nur dann kann die Körperabwehr schnell mit einer effektiven Antwort reagieren und den Erreger abtöten.

Wenn die Impfstoffwirkung zu gering ausfällt

Passen Schlüssel und Schloss nicht optimal oder gar nicht zueinander, vergehen Tage bis die Abwehrantwort entsprechend nachgeschärft ist. Währenddessen kommt es ungehindert zum Ausbruch der Krankheit und die vorherige Impfung erscheint wirkungslos. In der Praxis kann es immer wieder vorkommen, dass genau dieser Fall eintritt. Zwar sind viele der zugelassenen „Fertig-Impfstoffe“ bereits so konzipiert, dass sie die gängigsten Typen eines Erregers in den Beständen abdecken. Jedoch kann es sein, dass sich in einzelnen Betrieben ein seltener Sondertypus eines Bakteriums oder Virus ausgebreitet hat. Wenn es also gegen einen bestimmten Erreger keinen Impfstoff gibt oder die Wirkung des zugelassenen Impfstoffs ungenügend ist, ist im Impfstoffrecht die Erstellung eines auf den vorliegenden Fall maßgeschneiderten Bestandsimpfstoffes erlaubt. Voraussetzung dafür ist aber immer, dass der Krankheitserreger, der für die Herstellung des Impfstoffes verwendet wird, auch aus dem Betrieb stammt, in dem der Impfstoff später verwendet wird.

Der Weg zum eigenen Impfstoff

Vor der Erstellung eines Impfstoffs steht also immer die Diagnostik mit dem Nachweis des verantwortlichen Erregers. Ist dieser erst einmal gefunden, zeigt sich in der Laboranalyse schnell, ob es sich um einen gängigen Stamm oder einen Sonderfall handelt, der durch die normalen Impfstoffe am Markt nicht abgedeckt wird. Dann kann das Labor in Absprache mit dem Hoftierarzt den gefundenen Erreger an einen Hersteller für bestandsspezifische Impfstoffe zur weiteren Anzüchtung übersenden. Einige dieser Firmen bieten auch eine kostenlose Archivierung von Keimen an, für den Fall, dass später ein Kombinationsimpfstoff mit mehreren Erregern hergestellt werden soll. Nach einigen Tagen der Anzüchtung kann bereits die eigentliche kontrollierte Herstellung des Impfstoffes beginnen.

In der Praxis kann man mit einer Zeitspanne von etwa sechs Wochen von den Probenentnahmen bis zur ersten Impfung rechnen. Manchmal kann es aber auch deutlich schneller gehen bis man die erste Flasche des neuen Impfstoffes erhält. Hierbei hat es sich bewährt, zunächst nur kleinere Mengen des Impfstoffs zu bestellen und sowohl die Verträglichkeit als auch die Wirkung an einer kleinen Tierzahl zu testen. Auch die Hersteller sind interessiert, über solche Rückmeldungen ihre neuen Impfstoffe gemeinsam mit dem Kunden weiter zu verbessern. Manchmal helfen kleine Anpassungen in der Herstellung, um die Wirkung oder die Verträglichkeit nachhaltig zu verbessern.

Grundsätzlich sind bestandsspezifische Impfstoffe im Gegensatz zu den zugelassenen Produkten eben nicht auf Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft. Dass die Erfahrungen mit diesen Impfstoffen trotzdem überwiegend gut sind, liegt zum einen an der langjährigen Erfahrung der Hersteller, welche Kombinationen von Hilfsstoffen sich bewährt haben. Zum anderen ist das Risiko für schlimme Nebenwirkungen gering, da im Gegensatz zu zugelassenen Impfstoffen ausschließlich abgetötete Erreger verwendet werden dürfen und somit praktisch kein Risiko für Impferkrankungen besteht. Unverträglichkeiten beim Einzeltier mit schweren Schockreaktionen sind aber nach wie vor möglich.

Überschaubare Kosten

Die Kosten eines bestandsspezifischen Impfstoffs setzen sich aus den Kosten für den Erregernachweis (inkl. der Leistungen des Hoftierarztes) und dem Kaufpreis des Impfstoffes zusammen. Meist ist der erste Kostenblock der deutlich teurere, da selten eine Probe für einen verlässlichen Nachweis ausreicht. Hat man den Erreger erst einmal isoliert, liegen die Kosten für den eigentlichen Impfstoff meist weit unter denen eines zugelassenen Impfstoffs, da außer den Qualitätskontrollen bei der Herstellung keine Kosten für Zulassungstests und Formalitäten anfallen. Je mehr Tiere also letztlich mit dem Impfstoff behandelt werden, umso deutlicher fällt der Kostenunterschied zugunsten der bestandsspezifischen Impfstoffe aus. Konkrete Angaben dazu kann aber nur der Hoftierarzt in Absprache mit dem Impfstoffhersteller seiner Wahl machen.

Mögliche Anwendungsgebiete

Der Schwerpunkt für bestandsspezifische Impfstoffe liegt klar im Bereich der bakteriellen Erkrankungen. Hier sind sowohl Impfungen gegen Durchfall- als auch Atemwegserreger möglich, wie zum Beispiel Clostridien, Coli-Bakterien oder Pasteurellen. Je nach Zeitpunkt des Auftretens im Kälberalter muss mit dem Hoftierarzt abgewogen werden, ob eine Impfung der Kälber noch erfolgreich sein kann oder nur durch die vorgelagerte Mutterschutzimpfung ein rechtzeitiger Schutz erreicht werden kann. Es ist aber auch möglich den auslaufenden passiven Biestmilchschutz durch eine aktive Impfung des Kalbes im zweiten Lebensmonat mit dem gleichen Impfstoff zu verlängern, wenn die Erkrankung in mehreren Altersstufen auftritt.

Beim älteren Rind sind neben Einzeltierimpfungen gegen Warzenviren vor allem Impfungen gegen Euterkeime (Staph. aureus, Streptokokken, Mycoplasmen) und vereinzelt gegen die Mortellaro-Erkrankung von Bedeutung. Besonders hervorzuheben ist der Einsatz dieser Impfstoffe gegen Mycoplasmen in den Atemwegen, die vor allem in der Jungrinderaufzucht und Rindermast erhebliche Schäden durch nicht mit Antibiotika behandelbare Lungenentzündungen verursachen können. Hier ist allerdings immer besonders abzuwägen, welche Maßnahmen noch im Betrieb ergriffen werden können, um die Probleme in den Griff zu bekommen, um ein nachhaltig effektives Konzept zu erstellen. Die Erfahrung zeigt, dass in vielen Betrieben hier noch ungenutzte Potentiale in der Produktionstechnik liegen, die meist sehr viel kostengünstiger zu aktivieren sind.

Rechtliche Besonderheiten

Bereits hingewiesen wurde auf den Grundsatz, dass der Impfstoff nur in dem Bestand, für den er auch hergestellt wurde, angewendet werden darf. Eine Weitergabe von Impfstoffen ist Tierhaltern ohnehin verboten. Ein Sonderfall sind vorgelagerte Betriebe, die bei ihren Kälbern Impfungen mit einem bestandsspezifischen Impfstoff durchführen, der auf die beim Aufzüchter auftretenden Keime abgestimmt ist. Hat ein Aufzuchtbetrieb beispielsweise immer wieder Probleme mit bestimmten Atemwegsinfekten, so ist es im Sinne der Antibiotikareduzierung zu begrüßen, wenn alle Zukaufkälber gegen diese bestandstypische Erkrankung geimpft werden. Im Idealfall geschieht dies bei festen Lieferbeziehungen bereits auf dem Herkunftsbetrieb und eben, falls nötig, auch mit dem für den Aufzüchter konzipierten Impfstoff. Diesen können die Hoftierärzte der Kälberverkäufer in Absprache mit dem Tierarzt des Aufzüchters direkt vom Impfstoffhersteller beziehen.

Wenn der Landwirt selbst impft

Soll auf einem Betrieb der Bestands-Impfstoff vom Tierhalter verabreicht werden, so ist dies wie bei allen Impfstoffen dem Kreisveterinäramt durch den Tierarzt anzuzeigen. Für den abgebenden Tierarzt und den anwendenden Tierhalter ergeben sich dann weitere Verpflichtungen zur Aufklärung und Dokumentation. Der Tierhalter hat, wie sonst auch, über alle Impfungen ein Impfbuch mit dem Datum und der Identität des geimpften Tieres zu führen. Bei der Lagerung sind wie gewohnt die Kühlketten einzuhalten. Angebrochener Impfstoff ist stets zügig zu verbrauchen, da nach erstmaliger Öffnung immer die Gefahr einer Verschmutzung besteht. Eine daraus entstandene Verkeimung des Impfstoffs kann diesen nicht nur zerstören, sondern beim geimpften Tier schwere Schäden bis hin zu Blutvergiftungen und Todesfällen verursachen.

Fazit

Die Impfung ist langfristig gesehen immer der reinen Behandlung erkrankter Tiere überlegen, da sie bereits verhindern kann, dass Schäden im Tier entstehen. Für die Fälle, in denen keine oder keine passenden kommerziellen, zugelassenen Impfstoffe verfügbar sind, bieten bestandsspezifische Impfstoffe eine praktische und kosteneffektive Alternative. Dreh- und Angelpunkt ist aber immer die gute Labordiagnostik, da die beteiligten Bakterien erst einmal nachgewiesen und angezüchtet werden müssen, bevor sie für die Herstellung eines Impfstoffes verwendet werden können. Zwar bestehen durch die fehlende Zulassung dieser Impfstoffe keine Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsbeweise, doch die zunehmende Verbreitung in der Praxis zeigt, dass die Risiken bei sachgerechter Handhabung überschaubar sind und die Vorteile eindeutig überwiegen.

DER DIREKTE DRAHT

Dr. Ole Lamp
Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein
Tel.: 04381-9009-16
E-Mail: olamp(at)lksh.de

Bilder: Dr. Ole Lamp