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Antibiotika Ade? Trockenstellen nicht zwingend mit Antibiotika
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Die Trockenstehperiode hat es verdient, als einer der wichtigsten Zeiträume im Produktionszyklus einer Milchkuh betrachtet zu werden. Es ist die Zeit, in der die Voraussetzungen für die kommende Laktation geschaffen werden. In Hinblick auf die Eutergesundheit bedeutet dies: erstens sollen bestehende Infektionen ausheilen (Behandlung) und zweitens soll die Kuh vor Neuinfektionen geschützt werden (Prophylaxe). Mit diesen Themen befasst sich B. sc. Sandra Winther von der Fachhochschule Kiel im aktuellen Beitrag.

Zur erfolgreichen Behandlung einer bestehenden Infektion ist der Einsatz eines antibiotischen Trockenstellers notwendig. Die zuverlässige Wirkung der Antibiotika, besonders gegen kuhassoziierte Erreger, bringt für die Kuh auch einen gewissen Schutz vor Neuinfektionen mit sich. Die meisten Mastitiden werden heutzutage jedoch vermehrt durch Erreger aus der Umwelt hervorgerufen. Daher liegt während der Trockenstehzeit der Fokus auf einem gezielteren Schutz vor Neuinfektionen.

Der in der Praxis i.d.R. angewendete prophylaktische Einsatz von Antibiotika steht nicht nur wegen einer eventuellen Resistenzbildung in der Kritik, sondern ist auch gesetzlich nicht gestattet. Zudem bieten Antibiotika nur einen unzureichenden Schutz vor Neuinfektionen, da sie im Zeitverlauf an Wirkung verlieren. Vor dem Ende der Trockenstehperiode wird häufig die minimale Hemmstoffkonzentration erreicht. Dadurch können eindringende Krankheitserreger nicht mehr abgetötet werden. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass der Selbstschutz des Euters bei vielen Kühen nicht zufriedenstellend ausgebildet wird. Bedingt durch hohe Milchleistungen zum Trockenstellen findet eine verzögerte oder mitunter gar keine Bildung des Keratinpfropfes mehr statt. Keratin ist eine klebrige Flüssigkeit mit antibakterieller Wirkung. Diese wird dauerhaft im Strichkanal produziert und verklebt dort unter anderem die Schleimhautfalten. Durch das Fehlen dieser physiologischen Barriere bleibt der Strichkanal während der Trockenstehdauer unverschlossen. Es stehen den Mastitiserregern somit Tür und Tor offen.

Interne Zitzenversiegler als Keratinersatz

Um der Gefahr einer Neuinfektion neben vielen Haltungs- und Fütterungsmaßnahmen zu begegnen, wurden interne Zitzenversiegler entwickelt. Es handelt sich hierbei um ein Bismuth-Subnitrat, einem neutralen Salz, in Paraffinöl. Die natürliche Wirkung des Keratins soll damit nachempfunden werden und es den Erregern unmöglich machen, in den Strichkanal einzudringen. Die Kombination aus einem Antibiotikum und einem internen Zitzenversiegler bietet die Möglichkeit einer Ausheilung und einen zuverlässigen Schutz vor Neuinfektionen.

Erfahrungen mit dem selektiven Trockenstellen

Aber was ist, wenn die Kuh keine intramammäre Infektion hat und somit keine Behandlung benötigt? Hierzu bietet sich die Methode des selektiven Trockenstellens an. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, welches „euterkranke“ von „eutergesunden“ Tieren unterscheidet. Demnach kommen entweder ein Antibiotikum und/oder ein interner Zitzenversiegler zur Anwendung.

In einem Milchkuhbetrieb in Angeln, im Kreis Schleswig-Flensburg, wurde das selektive Trockenstellen im Rahmen einer Bachelorarbeit erprobt. Die rund 132 Milchkühe geben im gleitenden Herdenschnitt 9.600 kg Milch. Die Tankmilchzellzahl betrug im Durchschnitt der letzten 3 Versuchsmonate 130.000 Zellen/ml Milch. Viele Tiere zeigten eine sehr gute Eutergesundheit. Diejenigen Kühe aber, die eine hohe Zellzahl aufweisen, stellen permanent eine potenzielle Gefahr für die gesamte Herde dar. Die genauere Verteilung der Kühe auf die Zellzahlgruppen zeigt Übersicht 1.

Erreger im Bestand kennen

Zu den Voraussetzungen für das selektive Trockenstellen gehört es, vor allem den Leitkeim der Herde zu kennen. Ein Erregernachweis ist nicht nur für die richtige Mastitisbehandlung unerlässlich, sondern auch für die Behebung der Ursachen und die Prognose über einen zu erwartenden Heilungsverlauf von Bedeutung. Zur Leitkeimbestimmung sollten halbjährlich 10 % der Herde untersucht werden.

In diesem Praxisbetrieb wurden zumeist umweltassoziierte Erreger diagnostiziert. Kritisch zu beobachten ist dabei das Vorkommen von kuhassoziierten Erregern wie Staphylococcus aureus. Es sollte bei weniger als 3 % der Herde eine Infektion durch diesen Erreger vorliegen. Hier betrug der Wert 3,2 %. Durch eine strenge Hygiene beim Melken soll eine mögliche Verschleppung verhindert werden. Die Tiere, die nachweislich von einer Staphylococcus aureus Infektion betroffen sind sowie Tiere mit über 200.000 Zellen/ml Milch in der letzen Milchleistungsprüfung, tragen ein farbiges Fesselband. Die Hände des Melkers/ der Melkerin und die Melkzeuge dieser Tiere werden umgehend gewaschen und desinfiziert.

Selektionsschema – wie wird selektiert?

Das Herzstück des selektiven Trockenstellens ist das richtige Selektionsschema. Der Goldstandard wären Untersuchungen von Viertelgemelksproben auf Erreger im Labor. Dies ist aber sehr arbeits- und kostenintensiv. Daher zeigt Übersicht 2 eine praxistaugliche Variante der Selektion.

Ausgangspunkt für eine Bewertung des Einzeltieres ist die kuhindividuelle Zellzahl aus der letzten Milchleistungsprüfung. Liegt dieser Wert unter 100.000 Zellen/ml Milch, kann die Kuh als „eutergesund“ eingestuft werden. Ergibt sich eine Zellzahl von 100.000-200.000 Zellen/ml Milch, sollte ein Schalm-Mastitis-Test durchgeführt werden. Durch diesen lässt sich ermitteln, ob ein Euterviertel stärker durch Zellzahlen belastet ist als andere. Selbst geübte Benutzer eines Schalm-Mastitis-Tests können keine genauere Differenzierung der Zellzahlen anhand der Schleimbildung des Testreagenz vornehmen. Zellzahlerhöhungen werden meist erst ab einem Wert von 400.000 Zellen/ml Milch deutlich sichtbar. In der Praxis dient der Schalm-Mastitis-Test eher der Rückversicherung.

Sollte zwischen der letzen Milchleistungsprüfung  und dem Zeitpunkt des Trockenstellens eine intramamäre Infektion entstanden sein, könnte diese festgestellt werden. Ist das Ergebnis des Schalm-Mastitis-Tests aber zweifelsfrei in Ordnung, könnte eine Kuh mit einer Zellzahl bis zu 200.000 Zellen/ml Milch ohne ein Antibiotikum trockengestellt werden. Andernfalls sollte nach Absprache mit dem Tierarzt ein antibiotischer Trockensteller zum Einsatz kommen. Nur wenn sichere Laborergebnisse vorliegen und der Rat eines Tierarztes in Anspruch genommen wurde, kann bei Kühen mit einer Zellzahl über 200.000 Zellen/ml Milch auf eine antibiotische Substanz verzichtet werden.

Ein Selektionsschema ist sehr betriebsindividuell und muss stetig überwacht und verbessert werden. Auf dem hier beschriebenen Praxisbetrieb werden die Kühe mit einer Zellzahl von über 200.000 Zellen/ml Milch ebenfalls als „euterkrank“ eingestuft. Mit Hilfe der monatlich bei der Milchkontrolle erfassten Zellzahl und der Anwendung eines Schalm-Mastitis-Tests können „euterkranke“ Tiere vor dem Trockenstellen sicher erkannt werden. Auf regelmäßige Untersuchungen im Labor wurde bisher größtenteils verzichtet, die Auswertungen haben allerdings ergeben, dass zukünftig eine intensivere Untersuchung durchgeführt werden sollte.

Antibiotika-Einsparungen im Praxisbetrieb

Von Mai bis November 2018 wurden insgesamt 36 Kühe vorselektiert und mit einem entsprechenden Präparat trockengestellt. Übersicht 3 zeigt das Vorgehen hierbei. 24 Kühe wurden als „eutergesund“ eingestuft und erhielten lediglich einen interner Zitzenversiegler. Weitere 12 Kühe erfüllten die Kriterien nicht, sodass ein antibiotischer Euterinjektor (allerdings kein internen Zitzenversiegler) zum Einsatz kam. Dadurch wurden zwei Drittel der antibiotischen Trockensteller eingespart.

Die Haltung der Tiere erfolgt identisch. Die erste Phase der Trockenstehzeit verbringen sie im Sommer auf der Weide. 14 Tage vor dem errechneten Kalbetermin werden die Kühe aufgestallt. In einer Strohbox stehen sowohl die Transittiere als auch die Kühe unmittelbar vor der Geburt. Zur Anfütterung wird die Teilmischration der laktierenden Herde, welche weiter durch Kraftfutter und Mineralstoffe aufgewertet ist, gefüttert.

Unterscheidet sich die Milchleistung?

Die Übersicht 4 zeigt die Ergebnisse in Bezug auf die Milchleistung. Die Tiere der Zitzenversiegler-Gruppe befanden sich durchschnittlich in der 2,6ten Laktation und die Kühe der Antibiotika-Gruppe bereits in der 3,2ten Laktation. Während des Versuchszeitraumes starteten die Kühe mit einer durchschnittlichen täglichen Milchmenge von 37,5 kg. Die Zitzenversiegler-Gruppe hatte eine Milchleistung von 38,1 kg und die Antibiotika-Gruppe von 36,5 kg pro Kuh und Tag. Im weiteren Verlauf drehte sich diese Differenz um. Jedoch lassen sich diese Differenzen aufgrund des geringen Stichprobenumfanges statistisch nicht absichern.

Unterscheidet sich die Zellzahl nach der Kalbung?

Die Kühe, welche antibiotisch trockengestellt wurden, zeigten im Durchschnitt eine erhöhte Zellzahl direkt nach der Kalbung (Übersicht 5). Diese Werte nahmen bis zur dritten Milchleistungsprüfung ab, um dann wieder leicht anzusteigen. Der Einfluss von Einzeltieren ist dabei aufgrund der geringen Tierzahl sehr groß, dies erklärt die erhöhten Werte nach der Kalbung.

Die durchschnittliche Zellzahl der nicht mit Antibiotika behandelten Gruppe verringerte sich von der ersten auf die zweite Milchleistungsprüfung und stieg dann an. Letztlich waren die durchschnittlichen Zellzahlen beider Gruppen in der 3. und 4. Milchkontrolle vergleichbar.

Dies zeigt, dass es bei unterschiedlichen Ausgangssituationen nach der Kalbung kein statistischer Unterschied bezüglich der Zellzahl zwischen den Versuchsgruppen gab. Der interne Zitzenversiegler bewirkte bei den „eutergesunden“ Tieren ein vergleichbares Resultat wie ein Antibiotikum bei „eutererkrankten“ Kühen. Allgemein veränderte sich die Eutergesundheit der Versuchsherde nicht, obwohl Antibiotika eingespart werden konnten.

Die Neuinfektionsrate

Des Weiteren überzeugte die vorbeugende Wirkung des internen Zitzenversieglers. Die Neuinfektionsrate lag in der Zitzenversiegler-Gruppe bei 17,6 %. Die Antibiotika-Gruppe wies hingegen eine Neuinfektionsrate von 50 % auf. Dies kann zum einen an der Wahl des antibiotischen Trockenstellers liegen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sich die Tiere neuinfiziert hatten, da die vorhandenen Umwelterreger in das Euter eindringen konnten. Der Betrieb sollte zukünftig mit einer Kombination aus beiden Präparaten arbeiten.

Hygiene ist das A und O

Die Bereiche der Haltung und Fütterung, insbesondere der Umwelthygiene, beeinflussen maßgeblich die Eutergesundheit. Diese kann auch nicht durch einen Trockensteller ersetzt werden. Aber auch die Hygiene beim Trockenstellvorgang ist von sehr großer Bedeutung. Hier muss auf penible Sauberkeit, gerade auch bei dem Einsatz von internen Zitzenversieglern, geachtet werden.

Fazit

In dieser Praxisstudie zeigt sich einmal mehr, dass gesunde Kühe nicht von einem antibiotischen Trockensteller profitieren. Daher sollte der Einsatz dieser auf „euterkranke“ Tiere beschränkt werden. Ein überlegter Umgang mit Antibiotika ist für alle Seiten gut: für die Tiere selbst, für den Landwirt und nicht zuletzt für die Akzeptanz des Verbrauchers.

Der selektive Einsatz und damit auch ein teilweiser Verzicht auf antibiotischen Trockensteller kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn jedes einzelne Tier hinsichtlich seiner Eutergesundheit ganz genau charakterisiert wird. Dafür muss ein Selektionsschema gefunden werden, welches die Eutergesundheit der Tiere nicht gefährdet und zu den betrieblichen Gegebenheiten passt. So kann nicht nur der Antibiotikaverbrauch in der Rinderhaltung gesenkt und die Gefahr von Resistenzen für alle Lebewesen verringert, sondern auch ein verantwortungsbewusster Umgang gegenüber den Verbrauchern demonstriert werden.

Die Methode des selektiven Trockenstellens ist, wenn sie richtig praktiziert wird, ein sicherer, praxistauglicher Schritt auf dem Weg zu einem gezielteren, verringerten Einsatz von antibiotischen Arzneimitteln.

DER DIREKTE DRAHT

B. sc. Sandra Winther
FH Kiel/Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Fachbereich Agrarwirtschaft, Osterrönfeld
Trollhoe 1
24882 Moldenit
E-Mail: Sandra.Winther@student.fh-Kiel.de

Stand: April 2019
Fotos (S.Winther)