Lean-Management im Milchviehbetrieb – weniger von allem
Lean-Management ist eine Unternehmensphilosophie mit dem Ziel, die Effizienz und die Nachhaltigkeit in der Produktion zu verbessern. Wörtlich übersetzt bedeutet Lean Management „schlankes Management“.
Die Unternehmensphilosophie wurde vor ca. 60 Jahren vom Automobilhersteller Toyota entwickelt, um Produktionsprozesse zu vereinfachen und Verluste zu minimieren. Lean beschreibt dabei eine ganze Unternehmenskultur und es fokussiert auf das Erkennen und Vermeiden von Verlusten im Produktionsprozess. Die japanische Herkunft lässt sich noch an zahlreichen Begriffen im Lean Management erkennen.
Die Grafik verdeutlicht den Aufbau des „Lean Management Hauses“ in Anlehnung an die Produktionsprozesse bei Toyota.
Kann nun ein Managementstil, der in der Automobilindustrie Anwendung findet, auch in der Landwirtschaft funktionieren? Viele argumentieren, dass sich die Landwirtschaft grundlegend von anderen Unternehmen unterscheidet, weil die landwirtschaftlichen Produktionssysteme komplex sind und von Variablen abhängen, die sich unserer Kontrolle entziehen, z. B. Wetter und Biologie.
Worum geht es beim Lean-Ansatz?
Der Lean-Ansatz verfolgt 2 Grundsätze:
- zu verstehen und zu ermitteln, was einem Produktionsprozess einen Mehrwert verleiht
- anschließend durch einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung alles das zu beseitigen, was keinen Mehrwert schafft
Daher kann und wird Lean-Management universell in jeder Branche und in jedem Unternehmen eingesetzt. In der Landwirtschaft wird Lean in den USA, in Neuseeland und in Skandinavien bereits länger genutzt, in Deutschland ist diese besondere Managementmethode noch weitgehend unbekannt.
In der Industrie liegt der Fokus auf dem Kunden, doch wer ist der Kunde im Milchviehbetrieb? Die Kuh, das Kalb oder auch der Kollege / Mitarbeiter ist der interne Kunde, der ein hochwertiges Produkt erwartet. Bei der Betrachtung unterschiedlicher Arbeitsabläufe kann der Kollege „betroffen“ sein, wenn die Arbeiten aufeinander aufbauen. Einfaches Beispiel: die Melkschicht vom morgen hat den Melkstand für die nächste Schicht nicht ordnungsgemäß übergeben.
Der Fokus von Lean im Milchviehbetrieb liegt vor allem auf der Verbesserung von Produktionsschritten – und davon gibt es im Milchviehbetrieb, ganz unabhängig von der Herdengröße, viele. Wer Mitarbeiter, Prozesse oder Probleme in der Produktion hat, kann die Vorteile von Lean nutzen. Der mit Lean verfolgte Ansatz fordert nämlich Betriebsleiter/Manager und die Mitarbeiter auf, die tägliche Arbeit einfacher („schlanker“), besser, schneller und sicherer zu machen.
Lean zielt darauf ab, unnötige Tätigkeiten zu eliminieren, so dass weniger Arbeit, weniger Produktionsmittel, weniger Kapital und weniger Zeit erforderlich sind, um hervorragende Leistungen (Milch, Milchqualität, Futter, Gesundheit…) zu erzielen.
Durch fehlende Stabilität und Routine in der Arbeitsausführung sind Betriebsleiter oft im Mikromanagement der täglichen Aktivitäten abgelenkt und die echten Unternehmertätigkeiten bleiben unerledigt.

Was ist Lean nicht?
Wenn man versucht zu verstehen, was Lean ist, kann es hilfreich sein, darüber nachzudenken, was Lean nicht ist. Unorganisierte Abläufe, die Zeit und Material verschwenden, die Mitarbeiter frustrieren oder Störungen in der Produktion verursachen, sind definitiv nicht ‚lean‘ (schlank).
- Wie viel Zeit verbringen Betriebsleiter im Betrieb damit, auf Krisen zu reagieren und ‚Brände zu löschen‘, anstatt Systeme einzurichten, die die Ursachen für diese Probleme beseitigen?
- Wie oft dauert eine Aufgabe, die eigentlich zehn Minuten dauert, zwanzig Minuten oder länger, weil die richtigen Werkzeuge und Materialien nicht sofort verfügbar sind?
- Wie oft führt das Versäumnis, wichtige Informationen zu übermitteln, zu Qualitätsmängeln oder Produktionsverzögerungen?
Lean Management fordert alle im Betrieb auf, von einer reaktiven Problemlösungsmentalität zu einer proaktiven, auf kontinuierliche Verbesserung ausgerichteten Prozessgestaltung überzugehen.
In der Landwirtschaft ist Lean ein Mittel, in dem besonders die Mitarbeiter Schritt für Schritt im Prozess der kontinuierlichen Verbesserung (‚Kaizen‘) eingebunden und motiviert werden. Alle sind fokussiert auf Verlustvermeidung im Produktionsprozess und eine Mehrwertgenerierung für den Betrieb und seine Kunden, die Tiere.
Die Lean-Prinzipien
Es gibt 5 Prinzipien, die quasi das Rückgrat des Lean-Managements beschreiben, welche die Denkweise oder die Unternehmenskultur des Lean-Managements definieren.
1. WERT
Die erste Frage, die man sich bei der Anwendung der Lean- Denkweise stellen sollte, lautet: "Was bringt unserem Kunden einen Mehrwert?" Der Wert wird aus der Sicht des Endverbrauchers definiert, die Frage lautet also: Was erwartet der Kunde von mir und meinem Produkt? Der Milchviehhalter kann dieses Denken auf den ‚internen Kunden‘ anwenden.
Bsp.: Wer mit seinem Futtermittellieferanten ausmacht, dass jeden Dienstag 4 Big Bags eines Futters geliefert werden, wird nicht akzeptieren, dass die Lieferung mal donnerstags kommt, mal nur 2, dann wieder 6 Big Bags umfasst oder ein Sack kaputt geliefert wird. Übertragen auf den „internen Kunden“ im Betrieb könnte das Beispiel lauten:
Für den kontinuierlichen Herdenaufbau ist es erforderlich, dass jede Woche 4 Färsenkälber aufgestallt werden. Ist es hier sinnvoll, dass es mal nur 2 aber mal 8 Kälber pro Woche sind, die nicht alle das definierte Gewicht haben, wobei eins krank ist? Den Futtermittellieferanten kann man wechseln, wenn man mit der Qualität nicht zufrieden ist – aber wie reagiert man im eigenen Unternehmen?
2. WERTSTROM
Im nächsten Schritt muss der Wertstrom abgebildet werden. Das sind alle Arbeitsabläufe und Schritte, die durchgeführt werden, um das Produkt (Bsp. die Grassilage) für den Kunden zu produzieren. Indem jeder einzelne Teilschritt untersucht wird, kann nach Verschwendung gesucht werden, d.h. alle Aktivitäten, die keinen Mehrwert schaffen. Wird das Produkt auf effektive und effiziente Weise hergestellt? Wenn dieses nicht der Fall ist, was kann man tun, um die Verschwendung zu beseitigen? An dieser Stelle spielen die 8 Arten der Verschwendung eine große Rolle, die später näher erläutert werden.
Bsp: Es gibt zahlreiche „interne Kunden“ in der Wertschöpfungskette im Betrieb. Was schafft für meinen internen Kunden, die Milchkuh, einen Mehrwert? Das Management, die Fütterung, das Futter?
3. (ARBEITS) FLUSS
Wenn die Verschwendungen bzw. Verluste im Prozess eliminiert sind, kommt es darauf an, den Fluss, also die Kontinuität in der Arbeit zu fördern.
- Steht das gesamte Material zur Verfügung, wenn es gebraucht wird?
- Versteht jeder, was zu tun ist?
- Verfügen alle über alle relevanten Informationen?
Das Ziel ist, dass der verbleibende Arbeitsablauf reibungslos, gleichmäßig und kontinuierlich verläuft und Verzögerungen sowie Stillstand vermieden werden, weil alles sofort und immer richtig funktioniert.
Bsp.: Betriebe, die ein gutes Arbeitszeiterfassungssystem haben, können z.B. die wöchentlichen Arbeitszeiten aller Mitarbeiter erfassen. Wenn die Arbeitszeiten bei konstanten Tierzahlen stark schwanken (ohne Außenwirtschaft), fehlt offensichtlich Konstanz und Routine und der Arbeitsfluss ist nicht optimal. An dieser Stelle greift das Lean Managementprinzip stark auf die Arbeitsorganisation mit SOP (Arbeitsprotokollen) zurück.
4. PULL
In einem Lean-Umfeld folgt die Produktion der Nachfrage, um Verschwendung zu reduzieren. Anstatt das Produkt auf den Markt zu bringen, für das keine Nachfrage besteht (‚push‘) sollte mit einem Pull-System (‚ziehen‘) nur das produziert werden, was der nächste Schritt in der Kette braucht. Wenn man etwas produziert, nur weil man es kann, agiert man im Push-System. Wer im Internet nach „unverkaufte Autos“ sucht, sieht schnell Beispiele für klassische Push-Systeme (Überproduktion).
Ein bekanntes Beispiel für ein Pull- System ist eine Fastfoodkette, die nur diejenige Menge Burger produziert, die auch direkt verkauft wird (just in time Produktion).
Bsp.: Wer im Betrieb mehr Färsen aufzieht, als für die eigene Remontierung gebraucht werden, „pusht“. Wer nur die Menge aufzieht, die gebraucht wird, agiert im Pull-System und „verschwendet“ weniger (Zeit, Geld, Ressourcen).
5. kontinuierliche Verbesserung
Die Verwirklichung der ersten vier Grundsätze ist keine einmalige Aufgabe, sondern ein ständiger Prozess, der eine Denkweise und Systeme erfordert, die auf kontinuierliche Verbesserung ausgerichtet sind. Um das zu erreichen, müssen alle, die in einem Betrieb tätig sind, mit einbezogen werden, denn jeder kann Verbesserungsideen haben.
Bsp.: Ein wöchentliches kurzes Meeting der Mitarbeiter, bei dem ein konkretes Problem angesprochen wird und die Ideen der Mitarbeiter zur Lösung des Problems aufgegriffen werden.
- Was schafft für meinen Kunden einen Mehrwert?
- Analysiere den Wertstrom (die Abfolge der Arbeitsschritte) und entferne Unnötiges
- Kreiere „flow“ /Dynamik
- „ziehen statt schieben“ – das Produkt verkaufen, bevor es produziert wird
- Kontinuierliche Verbesserung
Warum Lean im Milchviehbetrieb?
Die Arbeitsbelastung und der Wunsch, die Arbeiten rasch zu erledigen, führen in der Milchviehhaltung oft dazu, dass die Arbeitsplanung und Kommunikation in den Hintergrund treten. Die Folgen sind: sinkende Arbeitseffizienz und steigende Kosten.
Durch fehlende Stabilität und Routine in der Arbeitsausführung sind Betriebsleiter immer wieder im Mikromanagement der täglichen Aktivitäten abgelenkt und die echten Unternehmertätigkeiten bleiben (leider oft) unerledigt.
Im Milchviehbetrieb kann das Lean-Management dabei helfen, Kosten und Arbeitszeit zu sparen und Arbeiten mit einer definierten Routine auszuführen. Wer Lean im Management nutzt, sucht ständig nach Verbesserungen für das Unternehmen. Im ‚Lean‘-Denken muss man nicht nach großen Verbesserungen suchen, keine großen Investitionen tätigen, denn auch kleine Veränderungen können einen großen Mehrwert bringen. Wer zum Beispiel nur 15 min Arbeitszeit pro Tag spart, weil „Verschwendung“ im Arbeitsablauf vermieden wurde, spart im Jahr über 90 Stunden. Das Ziel ist es, jegliche Art von Verschwendung zu beseitigen, um sicherzustellen, dass alles reibungsloser, einfacher und effizienter abläuft.
In der Lean-Philosophie ist es so, dass man als Führungskraft niemals allein handelt. Alle, die im Betrieb arbeiten, sollen einbezogen werden. Jeder kann Ideen haben, um Dinge im Betrieb anders und besser zu machen. Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass eine Person 5 Ideen zu einem Arbeitsschritt/Prozess hat, dann haben 5 Personen schon 15 Ideen für mögliche Veränderungen. In vielen Betrieben gibt es so ein unglaubliches Potential an Ideen für Verbesserungen/Veränderungen, welches nicht genutzt wird, wenn Mitarbeiter nicht aktiv in Arbeitsprozesse eingebunden werden.
In der Lean-Philosophie handelt die Führungskraft niemals alleine, sondern sollen alle Mitarbeitenden im Betrieb aktiv in Arbeitsprozesse eingebunden werden.

Was bleibt?
Das Wichtigste beim Lean Management ist zu erkennen, dass es um kontinuierliche Verbesserungen geht. Das gelingt nur mit dem richtigen „Mindset“, d.h. es braucht eine neue Denkweise von: „ich kann nichts tun“ zu „wie kann ich etwas tun, um etwas zu ändern“. Eine grundlegende Verbesserung in kürzester Zeit ist dabei weder umsetzbar noch das Ziel des Lean-Managements.
Nur eine langfristige Verbesserung führt zu zufriedenen Kunden und höchster Qualität der Produkte. Es lohnt sich, mit kleinen, leicht lösbaren Problemen zu beginnen, denn diese ersten Erfolge steigern die Motivation und die Bereitschaft der Mitarbeiter, weitere Verbesserungsideen zu entwickeln. So können auch schwierigere Probleme angegangen werden.
Wer versucht mit Lean-Management im Betrieb zu arbeiten, ohne die Mitarbeiter zu beteiligen, wird vermutlich scheitern. Wer Verbesserungen von „oben nach unten“ diktiert, hat das Lean-Gedankengut nicht verstanden. Gerade die Mitarbeitermotivation ist schwierig. Es gibt in den Betrieben viele Herausforderungen mit nicht motivierten Mitarbeitern, die kein Interesse an der Arbeit zeigen. Die Lösung kann hier nicht sein, dass sich die Mitarbeiter „einfach zusammenreißen müssen“, sondern dass das Management den Führungsstil ändern muss.
DER DIREKTE DRAHT
S. Möcklinghoff-Wicke
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