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Schwanzbeißverhalten bei Schweinen – Wie tief im Tier veranlagt? (Teil 1)
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M. Sc. Lea-Sophie Trost und Prof. Dr. U. Hellmuth der Fachhochschule Kiel, Fachbereich Agrarwirtschaft, befassen sich im aktuellen Beitrag mit den Ursachen von Schwanzbeißverhalten bei Schweinen. Die Untersuchung erfolgte anhand ethologischer, physiologischer und genetischer Grundlagen. Das Ziel war es, Gründe, Merkmale sowie Faktoren abzuleiten, die im Zusammenhang mit der Verhaltensausprägung des Schwanzbeißverhaltens stehen. Hierbei wurde insbesondere der Fokus auf den Einfluss der Genetik gelegt.

Im ersten Teil der Betrachtung der Ursachen für das Schwanzbeißen legt die Autorin Lea-Sophie Trost den Schwerpunkt auf die genetischen Dispositionen.

Der zunehmende Druck durch die Europäische Kommission, aber auch der politische Druck von deutscher Seite zeigen, dass die Kupierung des Ringelschwanzes bei Ferkeln in Zukunft die Ausnahme sein wird. Obwohl in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Studien bezüglich des Schwanzbeißverhaltens bei Schweinen durchgeführt worden sind, konnte bislang kein "Patentrezept" entwickelt werden, welches diese abnormale Verhaltensweise erfolgreich verhindern kann. Optimierte Haltungsbedingungen und ein verbessertes Management scheinen nicht auszureichen, um das Problem zu lösen. Einige Untersuchungen geben Hinweise darüber, dass das Schwanzbeißverhalten tiefer in den Tieren veranlagt sein muss.

Im Rahmen einer Master-Thesis am Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Kiel wurde eine Analyse aktueller Untersuchungen zum Schwanzbeißverhalten der Schweine durchgeführt. Die Analyse erfolgte anhand ethologischer, physiologischer und genetischer Grundlagen. Das Ziel war es, Gründe, Merkmale sowie Faktoren abzuleiten, die im Zusammenhang mit der Verhaltensausprägung des Schwanzbeißverhaltens stehen. Hierbei wurde insbesondere der Fokus auf den Einfluss der Genetik gelegt.

Das Schwanzbeißverhalten bei Schweinen ist ein sehr komplexes Thema. Ob ein Schwein im Laufe seines Lebens zum Täter/Opfer- oder neutralen Tier in Bezug auf das Schwanzbeißverhalten wird, ist von einer Vielzahl an Faktoren abhängig.

Die Analyse hat ergeben, dass der Geno- und Phänotyp des Schweines sowie die Interaktionen mit der Umwelt mitverantwortlich für das Auslösen des Schwanzbeißverhaltens gemacht werden können. In der Abbildung 1 werden diese sowie die Zusammenhänge dargestellt, die eine Auswirkung auf die Verhaltensausprägung des Schweines haben, welche im folgenden Text beschrieben werden.

Verschiedene Stressoren und eine Überforderung des Tieres in Situationen, denen es nicht angepasst ist bzw. nicht mit seinem normalen Verhaltensrepertoire bewältigen kann, können zur Entwicklung von abnormalen Verhaltensweisen wie dem Schwanzbeißen führen.

Anhand unterschiedlicher Studien konnte abgeleitet werden, dass der Zeitraum der Aufzuchtphase bis zum mittleren Mastabschnitt als Zeitraum für das Auftreten des Schwanzbeißens der Schweine angesehen werden kann. Inwieweit es zum Schwanzbeißen im weiteren Mastverlauf kommt, ist abhängig von der vorherigen Intensität des Schwanzbeißens.

Neben dem Zeitraum des tatsächlichen Auftretens des Schwanzbeißens sollte aber außerdem die prä- und postnatale Phase berücksichtigt werden, da beide einen entscheidenden Einfluss auf die Ontogenese des Tieres nehmen. Pränataler Stress im letzten Drittel der Trächtigkeit kann sich beispielsweise in einem geringeren Geburtsgewicht, einer erhöhten Mortalität oder einer verminderten Immunkompetenz äußern. Zudem kann sich dies negativ auf das Verhalten der Tiere auswirken. Insgesamt kann pränataler Stress zu einer transienten oder persistenten Störung des neuroendokrinen Systems der Föten im Prozess der beginnenden Ontogenese führen. Dadurch kann es zu einer negativen Beeinflussung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde (HPA-Achse) bei den Föten kommen. OTTEN et al. (2000) nehmen anhand ihrer durchgeführten Untersuchung an, dass die HPA-Achse eine grundlegende Bedeutung für die Regulation von chronischem Stress hat. Inwieweit dies mit dem Schwanzbeißverhalten bei Schweinen in Verbindung stehen könnte, wäre ein empfehlenswerter Ansatz, der in zukünftigen Studien näher untersucht werden sollte.

Des Weiteren können das Geschlecht, rasse- und linienbedingte Merkmale, die Haltungsumwelt, das Alter sowie die Physis des Schweines Hinweise darauf geben, ob das Tier eine stärkere Veranlagung bzw. Neigung aufweist, zum Tätertier zu werden oder nicht. Wie ein Tier letztendlich auf negative Einflussfaktoren reagiert und mit welcher Coping-Strategie es Stresssituationen bewältigt, ist von Genotyp-Umweltinteraktionen aber auch von der kognitiven Bewertung eines Individuums abhängig.

Die kognitive Bewertung hat einen Einfluss auf den Umgang bzw. die Verarbeitung von Stressoren. Externe Stressoren beeinflussen den Organismus eines Tieres auf physiologischer und psychologischer Ebene. In Abhängigkeit vom Selektionsdruck einer Population gibt es unterschiedliche Variationsgrade bezüglich des Verhaltens auf eine Stressreaktion. Affektiv-emotionale Bewertungsmechanismen haben einen Einfluss auf die neurophysiologischen Prozesse im Gehirn und dessen Einfluss auf die Aktivität des autonomen Nervensystems. Nach KORTE et al. (2009) wirkt sich eine Veränderung des steroidalen Gleichgewichts, beispielsweise bedingt durch die Erhöhung des Magerfleischanteil/Muskelfleischanteil (MFA) bei Schweinen, auf die Aktivität des Sympathikus und die Corticosteroidkonzentration aus. Das bedeutet, dass diese Tiere tendenziell anfälliger für Stressoren sind und außerdem eine ausgeprägte Neigung aufweisen, abnormale Verhaltensweisen zu entwickeln.

Bei der Einbeziehung von Emotionen in der Nutztierhaltung handelt es sich um einen verhältnismäßig neuen Ansatz in der Wissenschaft. Möglicherweise könnte dieser in Zukunft angewendet werden, um zu prüfen, welche Haltungssysteme beispielsweise mit einem höheren Wohlbefinden von den Tieren bewertet werden und ob positiv gestimmte Tiere weniger zum Schwanzbeißen tendieren als negativ gestimmte.

Bezüglich des Schwanzbeißverhaltens bei Schweinen lassen sich die Tiere in Täter-/Opfer- und neutrale Tiere unterteilen. In der Studie von BRUNBERG et al. (2013a, b) wurden Genexpressionsunterschiede zwischen diesen Gruppen analysiert, welche Hinweise über die Motive bzw. die Ursachen des Schwanzbeißens geben. Insbesondere die Bedeutung und die Funktion der unterschiedlich exprimierten Gene PDK4, GTF21 und EGF stehen hierbei im Fokus. PDK4 wurde insgesamt stärker bei den neutralen Schweinen exprimiert, welche in Verbindung mit den Produktionsleistungszielen wie z. B. dem MFA bei Schweinen steht. In einer Studie von LAN et al. (2009) konnte diesbezüglich festgestellt werden, dass PDK4 stärker bei Schweinerassen, die als besonders fettreich gelten, ausgeprägt ist. Da der Fettgehalt der Schweine in der Studie von BRUNBERG et al. (2013a) nicht erfasst wurde, konnte lediglich die Annahme abgeleitet werden, dass die neutralen Schweine vermutlich über einen höheren Fettgehalt verfügt haben als die Täter-/Opfertiere. Da in vereinzelnden Untersuchungen von anderen Wissenschaftlern ebenfalls ein Zusammenhang zwischen dem Fettgehalt und dem Verhalten der Schweine vermutet wurde, kann empfohlen werden, die Studie von BRUNBERG et al. (2013a, b) mit zusätzlicher Erfassung des Fettgehaltes erneut durchzuführen, um den Gehalt der Aussage zu prüfen. 

Des Weiteren wurde bei den Tätertieren eine stärkere Ausprägung von EGF, welches in Verbindung mit der Bildung von Dopamin steht, festgestellt. Dopamin steht im Zusammenhang mit der Entwicklung von abnormalen Verhaltensweisen. In diesem Fall könnte die stärkere Exprimierung von EGF eventuell dazu beigetragen haben, dass diese Tiere zum Tätertier des Schwanzbeißens werden. Im Geflügelbereich wird Dopamin in Verbindung mit dem Federpicken diskutiert. Ob dies auch auf das Schwein übertragen werden kann, wurde nach Angaben von BRUNBERG et al. (2013a) bislang nicht untersucht. Die Wissenschaftler weisen anhand der Grundlage ihrer Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass sie es für wichtig erachten, den Einfluss von Dopamin auf das Erkundungsverhalten sowie andere abnormale Verhaltensweisen wie z. B. dem Schwanzbeißen in Zukunft näher zu untersuchen.

Außerdem wurde eine stärkere Expression von GTF21 bei den neutralen Tieren nachgewiesen. Ein Versuch mit Mäusen hat gezeigt, dass eine stärkere Expression GTF21 zu einem geringeren Interesse an anderen Mäusen geführt hat (BRUNBERG et al., 2013b). Dies könnte die Hypothese bestätigen, dass die neutralen Tiere nicht zum Schwanzbeißen neigen, weil sie in dem Versuch von BRUNBERG et al. (2013b) einen höheren mRNA-Spiegel von GTF21 aufgewiesen haben.

Die unterschiedlich exprimierten Gene werden als Ursache dafür angesehen, dass die neutralen Schweine weder das Schwanzbeißverhalten ausführen noch von Schwanzbeißverletzungen betroffen sind. Aus diesem Grund vertreten BRUNBERG et al. (2013b) die Annahme, dass die neutralen Schweine ein genetisches Verhaltensprofil aufweisen, das dazu beiträgt, dass diese Tiere resistent gegen abnormales Verhalten wie z. B. das Schwanzbeißen sind, auch wenn sie in einer Umgebung untergebracht werden, die dieses Verhalten bei anderen Schweinen hervorruft. Die unterschiedliche Expression der identifizierten Gene bei den neutralen Schweinen könnten außerdem nach Angaben von BRUNBERG et al. (2013b) dazu beitragen, einen „schwanzbeißresistenten Phänotyp“ zu identifizieren.

Diese Ergebnisse geben wichtige Erkenntnisse und Hinweise darüber, inwieweit das Verhalten der Täter-/Opfertiere und der neutralen Tiere auch von genetischen Merkmalen beeinflusst werden kann. Dabei sollte nicht der Fokus ausschließlich auf die Identifikation der Tätertiere gelegt werden, sondern ebenso auf die Identifikation der neutralen Tiere, da diese Tiere wichtige Kenntnisse darüber liefern können, wieso sie nicht am Schwanzbeißgeschehen beteiligt sind. Das Ziel sollte es sein, die von BRUNBERG et al. (2013) ermittelten Hypothesen und Erkenntnisse in Zukunft zu überprüfen sowie weiterzuentwickeln, da die Untersuchung der Funktionen der Gene dazu genutzt werden könnte, die biologischen Mechanismen zu identifizieren, die für die Entwicklung des Schwanzbeißens von Bedeutung sind.

DER DIREKTE DRAHT

M. Sc. Lea-Sophie Trost
lea.trost(at)@t-online.de

Prof. Dr. Urban Hellmuth
urban.hellmuth(at)@fh-kiel.de

Fachhochschule Kiel, Fachbereich Agrarwirtschaft

Stand: August 2019