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Ende der betäubungslosen Ferkelkastration: am 1.1.2021 wird es ernst! (Teil 2)
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Über 2 Millionen Ferkel werden jährlich in Thüringen erzeugt, davon ist naturgemäß die Hälfte männlich. Nur knapp jedes siebte männliche Ferkel kann unkastriert abgegeben bzw. auch hier im Land als Eber gemästet werden. Ein sehr kleiner Teil der Mäster hat bisher signalisiert, die Impfung gegen Ebergeruch anwenden zu wollen. Eigentlich galt der Verzicht auf die Kastration als das Ziel der Europäischen Erklärung von 2010, denn man hoffte, die chirurgische Kastration bei Schweinen bis zum 1. Januar 2018 einstellen zu können. Doch es zeigte sich, wie steinig der Weg ist. Im Moment sind rund 85 % der erzeugten männlichen Ferkel aus bekannten Gründen nur kastriert verkäuflich. Es drängt die Zeit, sich für ein Betäubungsverfahren zu entscheiden. Denn ab 1. Januar ist die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. 
Im zweiten Teil des Fachartikels werden die beiden Alternativen Isoflurannarkose und Injektionsnarkose in Praxisbeispielen vorgestellt.

 

Praktikerbericht zur Alternative „Isoflurannarkose“

Jan Dirk Oosterveld, Betriebsleiter der Van Asten Tierzucht Neumark GmbH machte sich die Entscheidung nicht leicht. „Ist das Kastrieren mit der Inhalationsnarkose auf einer größeren Sauenanlage überhaupt praxisreif?“ fragte er sich Anfang des Jahres. Denn es geht in seinem Betrieb darum, dass die Mitarbeiter täglich kastrieren und die Saugferkelversorgung auch über mehrere Stunden des Arbeitstages erfolgt. Da stehen Fragen des Arbeitsschutzes genauso hoch an wie das Handling zusätzlicher Narkosewagen in den Abferkelabteilen. Mit seinem Vermarktungsunternehmen verständigte er sich, über einen längeren Zeitraum unter Anwesenheit des Tierarztes eins der bereits zertifizierten Geräte, das PigNap 4.0 zu testen. Diese vierwöchige Probephase erlaubt ihm eine gute Beurteilung. „Die Inbetriebnahme dauert 5 bis 10 Minuten, dann kann es losgehen, allerdings eben als zusätzlicher Arbeitsgang nach der allgemeinen Saugferkelversorgung (Ohrmarke, Eisen, Schmerzmittel). Pro Ferkel (4 passen in einen Wagen nebeneinander) muss die Isoflurananströmungszeit von 70 Sekunden abgewartet werden, dann schaltet das Gerät automatisch auf „Grün“ und es kann kastriert werden. Das gezeigte Video unterstrich, wie routiniert die Mitarbeiter mit dem System umgehen konnten. Um Infektionen mit Streptokokken zwischen den Würfen zu vermeiden, werden die Kopfschalen mit Desinfektionstüchern nach jedem Wurf gereinigt. Nach 2 bis 5 Minuten wachen die Ferkel auf und gehen gleich wieder ans Gesäuge der Muttersau. 

„Das Gerät hat uns positiv überrascht, weil wir zu Beginn ziemlich skeptisch waren“, seine ehrliche Einschätzung. Erwartet hatten er und seine Mitarbeiter einen deutlich höheren Zeitaufwand. Positiv auch, dass die körperliche Belastung mit der Arbeit am Narkosewagen sinkt. Die Nachschlafphasen der Ferkel waren kürzer als angenommen. 
Der Mehraufwand je männliches Ferkel ist die Summe aus dem Geräteankauf, den Aktivkohle- und Zuluft-Vorfilter, dem Isofluraneinsatz (ca. 0,9 ml/Ferkel), der notwendigen Sachkundeausbildung für die Mitarbeiter usw. und lässt sich für den Betrieb mit 2,68 € bei Durchführung durch den Tierarzt bzw. 1,68 € je Ferkel (Tabelle) beziffern, wenn die Narkose durch sachkundige Mitarbeiter ausgeführt wird. 

Tabelle: Zusatzaufwand für die alternativen Verfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration
Zusammenstellung nach betrieblichen Angaben je Tier

 

Da der vierte Weg (Lokalanästhesie durch den Tierarzt) nicht rechtssicher ist, ist die Entscheidung für den Betrieb recht eindeutig: Da die Mäster kastrierte Ferkel fordern, wird die Isofluranmethode unsere Wahl sein“, so Jan Dirk Oosterveld. Jetzt hofft er darauf, dass seine Mitarbeiter so schnell wie möglich an dem notwendigen Sachkundelehrgang teilnehmen können. „Dann müssen wir nur noch das für uns passende Gerät finden!“

Ergänzt wurde dieser Praktikerbericht durch die Ausführungen von Susanne Gäckler vom Prüfzentrum der DLG e.V. Detailliert und von Videosequenzen begleitet, informierte sie über die Konstruktionsbesonderheiten der Narkosegeräte von fünf verschiedenen Herstellern. Drei Geräte sind bereits zertifiziert und die Prüfberichte veröffentlicht. Wesentliche Unterschiede bestehen bezüglich der Narkosemasken, die es in ein- bzw. zweiwandiger Form gibt. Das hat Konsequenzen auf das möglicherweise austretende Gas, das bei den zweiwandigen Masken nicht in die Umgebungsluft gelangt. Die Isoflurangaszuführung erfolgt in der Regel aktiv, lediglich bei einem Gerät geschieht dies passiv, d.h. die Ferkel „bedienen sich selbst“. Integrierte Aktivkohlefilter sorgen dafür, dass zusätzliches, nicht verbrauchtes Isofluran abgesaugt und gebunden wird. Entsprechend gehört der regelmäßige Filterwechsel zu den laufenden Maßnahmen, die durchzuführen sind. Der geforderte Manipulationsschutz gewährleistet, dass genau nachvollzogen werden kann, wieviele Ferkel narkotisiert wurden. Darüber hinaus darf bzw. kann die Isoflurankonzentration von 5 % nicht verändert werden. 

Die immer wieder hinterfragte Gewährung des Arbeitsschutzes für die Mitarbeiter wird durch die Restgasabsaugung gewährleistet und drückt sich auch in den angesetzten maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK) aus. Die geforderte Unterschreitung von 15 mg bzw. 2 ppm Isofluran entspricht den niedrigsten international angesetzten Grenzwert und liegt um das Fünffache niedriger als z.B. der in der Schweiz oder auch der Humanmedizin geforderte MAK-Wert von 77 mg bzw. 10 ppm Isofluran. Damit wird dem gesundheitsschädigenden Potential (krebserregend, leberschädigend) des Gefahrstoffes Isofluran Rechnung getragen. 

Dass für die Durchführung der Inhalationsnarkose mittels Isofluran durch den Tierhalter mit der Ferkelbetäubungssachkundeverordnung (FerkBetSachkV) die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, darauf verwies Dr. Simone Müller, TLLLR Jena. Die von Tierärzten berechtigt aufgeworfenen arzneimittelrechtlichen Fragen zur rechtssicheren Abgabe von Isofluran an Tierhalter, die u.a. die Behandlungsanweisung, Untersuchung der Tiere /Beurteilung der Narkosefähigkeit, Kontrolle der Isofluranwendung betreffen, wurden auf Nachfrage beim BMEL dahingehend entkräftet, dass keine Unvereinbarkeit mit dem Arzneimittelrecht besteht. Nach Rückfrage bei der Landestierärztekammer Thüringen e.V. wird die Abgabe als eigenverantwortliche Entscheidung des bestandsbetreuenden Tierarztes gesehen. Betrieben und Tierärzten, die sich dazu verständigen, wird empfohlen, sich vor der Durchführung des Verfahrens mit ihren Amtstierarzt im zuständigen Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt (VLÜA) in Verbindung zu setzen.

Die Sachkundeschulung wird in Thüringen durch die Landvolkbildung durchgeführt und besteht aus der zweitägigen Theorieschulung durch den Schweinegesundheitsdienst Thüringen und einer schriftlichen und mündlichen Prüfung. Eine rechtzeitige Anmeldung zum Lehrgang ist angeraten. Der Sachkundenachweis wird vom für den Wohnort zuständigen VLÜA erteilt, wenn nachweislich erfolgreich am o.g. Lehrgang teilgenommen wurde, die praktische Ausbildung bestanden ist, der Antragsteller das 18. Lebensjahr vollendet hat, über die notwendige Zuverlässigkeit verfügt und einen Ausbildungsberuf oder Studium, in dem Umgang mit Ferkeln gelehrt wird, abgeschlossen hat oder mindestens seit 2 Jahren in einem Sauen haltenden Betrieb arbeitet. Weitere Informationen sind auf der TLLLR-Homepage zusammengefasst hier.

Praktikerbericht zur Alternative „Injektionsnarkose“

Weil der Geräteaufwand relativ hoch ist und viele Betriebsleiter bisher noch nicht überzeugt sind , dass die Isoflurannarkose aus Gründen des Arbeitsschutzes (Gefährdungspotential und mögliche gesundheitliche Langzeitwirkungen) für sie und ihre Mitarbeiter in Frage kommt, favorisiert eine Reihe von Betrieben die Injektionsnarkose durch den bestandsbetreuenden Tierarzt. Bekannt aus der Kastation von Binnenebern erfolgt die Narkose mit Azaperon und Ketamin. Das Verfahren wird z.T. schon in der ökologischen Schweinehaltung eingesetzt.

Melanie Große Vorspohl (Foto links) von der Poels GmbH hat sich gemeinsam mit ihrer Tierärztin Amelia Manescu (Foto rechts) mit dem Verfahren sehr intensiv beschäftigt und es erprobt. In erster Linie ging es darum, wie sich die Injektionsnarkose in den Arbeitsablauf einer größeren Sauenanlage integrieren lässt, denn es ist notwendig, täglich 30 bis 60 Würfe zu kastrieren. Bereits am ersten Durchgang der Erprobungen zeigte sich, dass alle sonstigen routinemäßigen Maßnahmen beim Saugferkel (Eisengaben, Kupieren, Kennzeichnung) in einem separaten Arbeitsgang möglicherweise am Vortag erfolgen sollten. Am Tag der Kastration werden die männlichen Ferkel gewogen und erhalten dann neben dem Schmerzmittel Metacam vom Tierarzt je Kilogramm Lebendemasse eine Injektion von 0,05 ml Stressnil® und 0,25 ml Ursotamin®. Anschließend wurden die Ferkel in vorbereitete Wannen/Kisten gelegt. Für die Betäubung von 15 Würfen wurde eine Stunde benötigt. Die Narkose trat ca. 2 – 10 min nach der Injektion ein, rund 30 Minuten nach dem Eintritt der Vollnarkose und einer Lidreflexkontrolle erfolgte die Kastration durch die Mitarbeiter. 

Beobachtet wurde zum Teil stärkeres Nachbluten, vereinzelt erbrachen Ferkel. Großes Augenmerk wurde auf die Überwachung der Narkose gelegt, weil die Dauer des Nachschlafes als kritischer Moment des Verfahrens bekannt ist. In der Haupterprobung waren von den 102 narkotisierten Ferkeln aus 15 Würfen nach 2 Stunden gut 10 % der Ferkel wach und nach 4 Stunden knapp die Hälfte. Der überwiegende Teil dieser Ferkel schlief auch nach 5 Stunden noch fest. Die letzten 8 Ferkel wurden nach 10 Stunden erfolgreich geweckt, d.h. es muss eine recht lange Nachkontrolle der betäubten Würfe abgesichert werden, um die erwachten/erwachenden Ferkel zu kontrollieren und fitte, wache Ferkel aus den Kisten an das Gesäuge der Sau zu legen. Beobachtet wurde ein z.T. langer Aufwachprozess und selbst nach dem Erwachen z.T. längere Benommenheit und teilweise erhebliche Koordinationsstörungen. Einzelne Ferkel hatten Probleme mit der Wärmeregulation (durch eine Wärmebildkamera konnte sowohl Hypo- als auch Hyperthermie diagnostiziert werden). Als wichtiges Ergebnis zeigte sich, dass die Anforderungen an die Ferkelkisten (Unterlagen, Größe) nicht zu unterschätzen sind und auch der Standort wegen der Wärmeversorgung gut gewählt sein muss. Abhängig von der Anzahl der behandelten Würfe betrug der Mehraufwand 4,20 €/Ferkel bei 15 Würfen und würde sich bei 60 Würfe je Arbeitsgang auf 3,30 € reduzieren. Die Erprobung wird nochmals wiederholt. Da sich durch die Befragung der Webinarteilnehmer und einer Vorabfrage bei den Thüringer Sauenhalter abzeichnet, dass mehrere, in der Regel kleinere Betriebe das Verfahren gemeinsam mit ihren Tierärzten anwenden wollen, ein Hinweis für Interessierte: „Fangen sie schon bald an, das Verfahren zu erproben, um es gut vorbereitet dann auch gut beherrschbar durchführen zu können.“ 

Denn es gibt nur eine Alternative im Moment: Die Isoflurannarkose. Darauf ging Dr. Simone Müller (TLLLR) in der Abschlussrunde ein, denn gibt es im Moment wenig Hoffnung, die lokale Betäubung durch den Tierarzt als rechtssicheres Verfahren für den Tierhalter und den Tierarzt ab 2021 anwenden zu können. Die arzneimittelrechtlichen Vorschriften regeln, dass das anzuwendende Tierarzneimittel für die Schmerzausschaltung bei diesem Eingriff zugelassen sein muss. Leider ist Pronestesic (Fa. Veyx) mit dem Wirkstoff Procain das einzige Lokalanästhetikum im Nutztierbereich, das zur Lokalanästhesie mit lang anhaltender anästhetischer Wirkung für Schweine zur Infiltrations- und Perineuralanästhesie zugelassen ist, aber eben nicht für die Kastration von unter sieben Tage alten Ferkeln. Eine Umwidmung anderer Wirkstoffe ist nicht möglich. Das in Betäubungsgel Tri-Solfen® (Medical Ethics) ist bei europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Zulassung angemeldet, aber ob noch in 2020 eine Entscheidung vorliegen wird, ist offen. Damit ist der sogenannte vierte Weg nach dem 31.12.20 nicht rechtssicher.

FAZIT

Fakt ist, die chirurgische Kastration muss ab 1.1.21 unter Betäubung erfolgen und erfordert Entscheidungen im Betrieb. Die Entscheidungsfindung hängt auch davon ab, welche Faktoren (Praktikabilität, Durchführbarkeit durch Mitarbeiter oder Tierarzt, Kosten, Arbeitsschutz) bestimmend sind. 

Die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch sowie der Fachbeirat der Landwirtschaftskammern Niedersachsens u. Nordrhein-Westfalens haben eine Anpassung der Ferkelpreisnotierung für 200er Gruppen aus männlichen und weiblichen Ferkeln, die in Deutschland geboren und aufgezogen worden, ab 1.1.2021 beschlossen: Kastrierte Ferkelpartien im ausgeglichenen Geschlechterverhältnis erhalten einen Zuschlag von 2 €/Tier. Das ist ein Marktsignal für eine deutliche Marktdifferenzierung. 

Leider werden Eber aufgrund der eingeschränkten Marktsituation von den Schlachtunternehmen weiter z.T. recht empfindlich preislich abgestraft. Auch für geimpfte Eber gibt es im Moment sehr unterschiedliche Marktsignale, die sowohl die Preismasken als auch Abzüge vom Basispreis betreffen, die von 0 bis 6 Cent je kg Schlachtgewicht reichen. Verhandeln vor der Vermarktung ist also wichtiger denn je! 
Um neue Wege auch in Richtung Ausstieg aus der Kastration zu gehen, ist eine Verständigung von Ferkelerzeugern und Mästern, möglicherweise auch über die Berufsverbände, mit der Schlachtindustrie gefragt.
 

DER DIREKTE DRAHT

Dr. Simone Müller
TLLLR Thüringen

Tel: +49 (0) 361 574011-415 
Email: simone.mueller(at)tlllr.thueringen(dot)de