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Süß- oder Sauertränke in der Kälberaufzucht?
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1. Einleitung

Die Sauertränke stellt ein gängiges Verfahren in der Kälberaufzucht dar. Zwischen dem pH-Wert der Sauertränke und der täglichen Tränkeaufnahme besteht nach Kunz (2013) eine negative Beziehung. In jüngeren Versuchen mit Sauertränke wurde festgestellt, dass bei einer Ansäuerung auf einen pH-Wert von unter 5,5 die vom Kalb aufgenommene Tränkemenge zurückgeht (Becker et al., 2022; Petelin, 2015). Becker et al. (2022) beobachteten im Zeitraum 5. bis 16. Lebenstag einen Rückgang von 9 auf ca. 7 l Tränke pro Kalb und Tag. Bei diesem Versuch wurde die Milch ab dem 4. Lebenstag mit 10 ml einer Säurevormischung angesäuert, die Säuremenge wurde ab dem 6. Lebenstag verdoppelt. Mit der Säurezulage ging die Milchaufnahme der Kälber zurück und erreichte erst ab dem 16. Lebenstag wieder das Niveau von 9 l pro Kalb und Tag. In dieser Zeitspanne sollte aber eine möglichst hohe Tränkemenge des Kalbes erreicht werden, um einen positiven Impuls für die weitere Entwicklung zu setzen und das Immunsystem zu stabilisieren. 

In der vorliegenden Studie sollten folgende Fragestellungen überprüft werden:

  1. Angesäuerte Milchtränke führt in der Angewöhnungsphase (2. Lebenswoche) zu einem verminderten Tränkeverzehr und damit zu einer verringerten Gewichtsentwicklung bei den Kälbern.
  2. Kann durch eine sofortige, milde Ansäuerung der Kolostralmilch die Akzeptanz für die spätere Sauertränke (Vollmilch) verbessert werden?
  3. Welche Unterschiede hinsichtlich Tränkeverzehr, Wachstum, Gesundheit und Verhalten zeigen mit ungesäuerter Milchtränke versorgte Kälber im Vergleich zu Kälbern, die mit Sauertränke ("milde" oder "praxisübliche" Ansäuerung der Vollmilch) aufgezogen wurden?

2. Vorgehensweise

Im Zeitraum August bis Oktober 2019 wurde in den Landwirtschaftlichen Lehranstalten (LLA) in Triesdorf ein Kälberaufzuchtversuch mit insgesamt 30 männlichen und weiblichen Kälbern des Milchkuhbestandes (Rasse Fleckvieh) durchgeführt. Sie wurden nach der Geburt von der Abkalbebox in ein Einzeliglu (Firma Urban, Abmessung 200 x 120 x 140 cm, Auslauf von 1,8 m²) gebracht. Die Iglus waren unter Dach aufgestellt und mit Stroh eingestreut. Je nach Bedarf, aber mindestens zweimal wöchentlich, wurde jedes Iglu nachgestreut. Die Kälber wurden direkt nach der Geburt so früh wie möglich mit Kolostrum versorgt. Die Kolostrumqualität wurde mit einem Brix-Refraktrometer gemessen und in drei verschiedene Qualitätsstufen eingeteilt (< 20 Brix – Qualität gering; 20 bis 22 Brix – Qualität gut, > 22 Brix – Qualität–sehr gut). Eine Kolostrumaufnahme innerhalb kurzer Zeit wurde sichergestellt, entweder durch eine vier Liter fassende Nuckelflasche oder durch einen Kälberdrencher. Zwölf von 30 Kälbern wurden gedrencht, um die Biestmilchversorgung sicherzustellen. 

Ab der zweiten Mahlzeit wurden die Kälber an den Eimer gewöhnt. Der Eimer blieb den ganzen Tag über am Iglu, sodass jederzeit eine Milchaufnahme möglich war. Die Eimer wurden sowohl morgens als auch abends maschinell durchgespült. Bis zum dritten Tag wurde jedes Kalb mit der Biestmilch der eigenen Mutter (Transitmilch) versorgt. Dabei wurde zu jeder Mahlzeit eine Menge von 6 Litern angeboten. Ab dem 4. Lebenstag erhielten die Kälber bereits die Milch aus der Rohmilchvormischung und je nach Gruppenzuteilung eine unterschiedliche Menge der Säurevormischung. Die Rohmilchmischung wurde vor jedem Tränken hergestellt, um eine homogene Grundlage hinsichtlich der Milchinhaltsstoffe zu schaffen. Dadurch erhielten alle Kälber Milch mit identischen Inhaltsstoffen. Die tägliche Milchmenge wurde für jedes Kalb auf 12 l täglich, verteilt auf zwei Mahlzeiten, begrenzt.

Der Aufzuchtversuch wurde von der 1. bis 4. Lebenswoche absolviert. Die Kälber wurden gleichmäßig auf drei Gruppen aufgeteilt (Gruppe 1: ungesäuerte Milchtränke; Gruppe 2: „praxisübliche“ Ansäuerung der Tränke; Gruppe 3: „milde“ Ansäuerung der Tränke). Die unterschiedlichen Tränkebehandlungen sind der Tabelle 1 zu entnehmen.

Tabelle 1: Versuchsaufbau für den Tränkeversuch mit Aufzuchtkälbern

Für die Herstellung der Säurevormischung wurde auf ein Ergänzungsfuttermittel „VitalAcid“ der Firma Josera zurückgegriffen. Dieses besteht aus den technologischen Zusatzstoffen wie Ligninsulfonate (E565), Ameisensäure (1k236) und Propionsäure (1k280). Im Milchtaxi (Fa. Holm und Laue) wurden vier Teile Wasser mit einem Teil VitalAcid gemischt. Diese Mischung bildete die sogenannte Säurevormischung (SVM). Während des Versuchs wurde die Milch entweder mit 5 ml, 10 ml oder 20 ml Säurevormischung pro Liter Transitmilch bzw. Rohmilch angesäuert (Tabelle 1).

Festfutter wurde den Kälbern in Form einer speziell angemischten Kälber-TMR (6 % Gerstenstroh, 9 % Luzerneheu, 13 % Gerste, 26 % Mais, 20 % Sojaschrot, 10 % Mineralfutter und 16 % Melasse) in einer Futterschale angeboten. Jedem Kalb wurde eine Futterschale fest zugeordnet. Das Festfutter wurde während des Versuchs zweimal wöchentlich rückgewogen und wieder frisch befüllt. Ab dem ersten Tag wurde den Kälbern täglich frisches Wasser in Schalen angeboten. Milch-, Festfutter- und Wasseraufnahme wurden täglich tierindividuell erfasst. Für jedes Kalb erfolgte zudem wöchentlich zur gleichen Tageszeit eine Wiegung und die Erhebung der Gesundheitsdaten. Die oben dargestellten Milchtränken wurden periodisch auf Inhaltsstoffe und pH-Wert untersucht.

Die statistische Auswertung der einzeltierbezogenen Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm SAS® (General Linear Model (GLM). Die Varianzanalyse mit dem Geburtsgewicht als Ko-Variable wurde mit den drei Faktoren „Gruppe“, „Laktationsnummer der Mutter“ und „Geschlecht“ durchgeführt. Die Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen wurden mit dem Tukey-Test geprüft. Das Signifikanzniveau wurde auf eine Irrtumswahrscheinlichkeit von p<0,05 festgelegt.

3. Ergebnisse und Diskussion

Die pH-Werte der verabreichten Tränken schwankten zwischen 5,1 und 6,8. Der Säuregrad der nicht angesäuerten Rohmilchtränke lag im Mittel mit pH 6,6 am höchsten. 50 % der pH-Werte der Rohmilch lagen in einem Bereich von 6,5 und 6,7. Die pH-Werte der angesäuerten Rohmilchtränken sanken je nach Menge der zugesetzten Säurevormischung (SVM) ab. Bei einer Ansäuerung mit 5 ml SVM fiel der pH-Wert auf einen Mittelwert von 6,1 ab, bei einer Ansäuerung mit 10 ml SVM auf 5,8 und bei einer Ansäuerung mit 20 ml SVM auf pH 5,3.

Damit wird die von Kunz (2013) genannte Untergrenze von pH 5,5 unterschritten. Die pH-Werte der Transitmilch liegen niedriger als die der Rohmilch. Die Transitmilch ist von Natur aus bereits schwach sauer. Der pH-Wert der Transitmilch kann durch die Zugabe von 5 ml SVM von 6,4 auf unter 6,0 gesenkt werden. Bei den Ergebnissen der pH-Wert-Messung fällt auf, dass die Schwankungen der einzelnen Tränkevarianten trotz Messfehlertoleranz relativ hoch sind und das Einstellen eines gleichmäßigen pH-Wertes mit einer bestimmten Säurevormischungsmenge schwieriger ist als angenommen. 

Der Versuch verlief störungsfrei. Der Gesundheitsstatus der Tiere kann als gut beschrieben werden. Es traten keine Verluste auf, sodass alle Tiere in die Auswertung einbezogen werden konnten. In der Tabelle 2 sind die durchschnittlichen täglichen Tränkemengen dargestellt. Von keinem Kalb wurde die Obergrenze von 12 l pro Tier und Tag innerhalb des Versuchszeitraumes von 28 Tagen erreicht. Es zeigt sich für alle betrachteten Zeiträume ein charakteristisches Bild. Die Tiere der Gruppen 1 und 3 nahmen tendenziell höhere Tränkemengen auf als die der Gruppe 2. Über den gesamten Versuchszeitraum nahmen die Kälber der Gruppe 3 mit durchschnittlich 9,5 l pro Tag bzw. 267 l insgesamt die höchste Tränkemenge auf. Die aufgezeigten numerischen Unterschiede zwischen den Gruppen lassen sich allerdings nicht statistisch absichern.

Die Tiere nahmen im Versuchszeitraum vergleichsweise geringe Festfuttermengen auf (Gruppe 1: 571 g; Gruppe 2: 705 g; Gruppe 3: 298 g pro Tier). Es zeigt sich eine negative Beziehung zur Tränkemenge. Der tägliche Verzehr an Kälber-TMR überschritt in den Gruppen 1 und 2 erst ab dem 15. Lebenstag die Marke von 20 g pro Tier. Die Tiere der Gruppe 3 passierten diese Marke sogar erst am 23. Lebenstag. Somit trug das Festfutter nur wenig zur Nährstoffversorgung der Kälber bei.

Das Tränkeaufnahmeverhalten wurde über die Tränkemenge, die während des ersten Saugvorgangs aufgenommen wird, abgebildet. Die Tränkemenge des ersten Saugvorgangs war in der vorliegenden Studie unerwartet hoch. Bei einer quasi ad libitum-Tränke wird davon ausgegangen, dass die tägliche Gesamtmenge von 12 Litern über den Tag verteilt aufgenommen wird. Tatsächlich wurde während des Versuchs jedoch festgestellt, dass die Kälber unabhängig von der Versuchsgruppe, schon direkt nachdem der Eimer mit der Milch zur Aufnahme bereitstand, eine große Menge aufnahmen. Der erste Saugvorgang stellte somit die wichtigste Teil-Mahlzeit dar. Die Vermutung vor Beginn des Versuchs lautete, dass Kälber mit einer stärkeren Milchansäuerung die Milch weniger gerne aufnehmen, und deshalb die Aufnahme am Anfang begrenzen und mehrere kleine Tränkemengen über den Tag verteilt trinken. Die Ergebnisse in der vorliegenden Studie zeigen allerdings, dass diese Annahme nur bedingt bestätigt wird. Die Gruppen 1 und 3 nahmen – über den gesamten Versuchszeitraum – während des ersten Saugvorgangs 84 % bzw. 81 % der Tränkemengen auf, wie sie in der Tabelle 2 ausgewiesen sind. Die Gruppe 2 blieb dagegen mit 77 % etwas zurück.

Tabelle 2: Durchschnittliche tägliche Tränkemengen in verschiedenen Zeiträumen (LS-Mittelwerte und Standardfehler (SE))

Die Geburtsgewichte und die Gewichtsentwicklung der Kälber sind in der Tabelle 3 dokumentiert. Während die Geschlechtsverteilung der Kälber in den Gruppen sehr ausgeglichen gestaltet werden konnte, unterschieden sich die Geburtsgewichte zwischen den Gruppen nennenswert. Daher wurde in dem statistischen Auswertungsmodell das Geburtsgewicht als Ko-Variable einbezogen.

Der gute Gesundheitszustand, verbunden mit der hohen Tränkeaufnahme, spiegelt sich in der Lebendmasseentwicklung und den Tageszunahmen wider. Über alle Gruppen hinweg betrachtet, wurden im Versuchszeitraum 1.243 g pro Tier und Tag erreicht. Die Gruppe 2 (praxisübliche Ansäuerung) wies mit 1.200 g pro Tier und Tag die niedrigsten Tagezunahmen auf. Die im vorangegangenen Versuch unter vergleichbaren Bedingungen mit Sauertränke erzielten Tageszunahmen von 1.212 g pro Tier Tag (1.–28. Lebenstag) konnten bestätigt werden (Becker et al., 2022).

Tabelle 3: Gewichtsentwicklung und Tageszunahmen im Versuchszeitraum (LS-Mittelwerte und Standardfehler (SE))

4. Schlussfolgerungen

Kälber bevorzugen offenbar nicht angesäuerte Milchtränke. Sauertränke weist aber arbeitswirtschaftliche und gesundheitliche Vorteile auf. Bei der Ansäuerung sollte möglichst frühzeitig und gleitend der pH-Wert abgesenkt werden. Die Grenze von pH 5,5 sollte nach Kunz (2013) nicht unterschritten werden.

In der vorliegenden Studie deutet sich an, dass die praxisübliche Vorgehensweise – Säurezugabe ab dem 4./5. Lebenstag in zwei Stufen – zu einer verringerten Tränkemenge und – daraus folgend – geringeren Tageszunahmen führt. Die so getränkten Tiere nehmen zwar mehr Festfutter auf, können damit aber ihren Rückstand in der Gewichtsentwicklung nicht kompensieren. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie kann eine dreistufige Säuregabe, beginnend ab dem 1. Lebenstag (leichte Ansäuerung der Transitmilch), empfohlen werden.

In der Kälberaufzucht können innerhalb der ersten 4 Lebenswochen durchschnittliche Tageszunahmen von mehr als 1.200 g erzielt werden. Mit einem optimalen Tränkeregime werden hierfür die Weichen gestellt.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. Gerhard Bellof,
Hochschule Weihenstephan-Triesdorf

Kontakt: gerhard.bellof(at)hswt.de

 

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