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Die Laktation verlängern durch eine bewusst spätere Besamung – Vorteile und Risiken
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Dr. Anke Römer und Dr. Bernd Losand vom Institut für Tierproduktion der Landesforschungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern befassen sich im aktuellen Beitrag mit der verlängerten Laktation durch einen späteren Besamungszeitpunkt im Gesamtverfahren Milchproduktion. Sie gehen unter anderem der Frage nach, ob es sinnvoll ist, die Zwischenkalbezeiten durch eine bewusst spätere Besamung zu verlängern oder ob die Kühe dann nicht mehr tragend werden. Zudem befassen sie sich mit dem Tierwohl der länger laktierenden Kühe sowie der betriebswirtschaftlichen Prüfung des Verfahrens einer späteren Besamung.

Unsere heutigen Milchkühe haben ein sehr hohes Leistungsvermögen, das sich in hohen täglichen Milchleistungen bis zum Trockenstellen umsetzt. Das Management ist in der Lage, den angespannten Stoffwechselstress der Kuh um die Abkalbung zu beherrschen.

  • Brauchen wir tatsächlich jedes Jahr ein Kalb von jeder Kuh oder drücken wir damit die Remontierung in die Höhe?
  • Können wir den Zeitpunkt der Besamung bewusst verzögern oder werden die Kühe dann nicht mehr tragend?
  • Verfetten solche Kühe zum Ende der Laktation?
  • Erhöhen wir nicht auch das Tierwohl, wenn wir der Kuh ermöglichen, mehr Milch im unkritischen Teil der Laktation zu ermelken?
  • Verbessern wir mit der verlängerten Laktation den produktiven Anteil an der Nutzungsdauer der Kuh?
  • Ist eine verlängerte Laktation für jede Kuh das Richtige und vor allem, ist ein solches Verfahren betriebswirtschaftlich sinnvoll?

Dr. Gerd Karch, praktizierender Milchviehhalter und passionierter Züchter mit 170 Kühen aus Rheinland-Pfalz, züchtet seit vielen Jahren auf Langlebigkeit. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf eine hohe Persistenz. Seine Kühe geben fast 11.000 kg Milch pro Jahr. 26 seiner Kühe erreichten in den letzten 15 Jahren die 100.000 kg Schallmauer. Die Merzungsrate liegt seit Jahren zwischen 18 bis 23 % und die Nutzungsdauer der Kühe beträgt mehr als 50 MonateEr stellte sein Konzept den äußerst aufmerksamen und hoch interessierten Landwirtskollegen auf dem DLG Forum Spitzenbetriebe Milchproduktion Anfang März in Hohenroda vor.

Für die Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei in MV gehört die verlängerte Laktation inzwischen zu den zentralen Forschungsschwerpunkten im Gesamtverfahren Milchproduktion. Datengrundlage bilden bisher die funktionalen Merkmale von Kühen der Testherden (M.-V.) aus dem Programm ProFit der RinderAllianz. Seit 2005 werden in diesen 30 Betrieben zusätzlich zu Brunst- und Besamungsdaten sämtliche Behandlungen im Herdenmanagement dokumentiert. Insgesamt wurden bis jetzt > 2 Mio. Behandlungs- und Befunddaten von über 120.000 Kühen der Rasse Deutsche Holstein (DH Sbt.) ausgewertet.

Beginn des Zyklusgeschehens

Spezielle Untersuchungen fanden in einem der Testherdenbetriebe statt. Hier wurden Milchproben von 678 DH-Kühen zur Progesteronanalyse entnommen. Die Analyse erfolgte mittels des „on-farm“-Gerätes eProCheck® der Firma Minitüb (Boldt et al., 2015). Die Messungen der Progesteronkonzentrationen in der Milch haben ergeben, dass mit steigender 100-Tage-Leistung der Beginn des Zyklusgeschehens nach einer Kalbung verzögert eintritt. Im Untersuchungsbetrieb mit einer durchschnittlichen Herdenleistung von über 10.000 kg Milch je Kuh und Jahr lag bei 34 % der Kühe dieser Beginn der Gelbkörper-(lutealen) Aktivität erst nach dem 42. Tag p.p (Abbildung 1).

Das bedeutet, dass diese Kühe gar nicht so früh tragend werden können, da ihr Zyklus noch inaktiv ist. Hier wäre eine so frühe Besamung wenig zielführend.

Beziehung zwischen Rastzeit und Besamungsaufwand

Untersuchungen zur Beziehung zwischen der Rastzeit und dem Besamungsaufwand sowie der Verzögerungszeit an 21.616 DH-Kühen zeigten, dass es gravierende Unterschiede in Abhängigkeit von der Milchleistung gibt.

Bei 305-Tage-Leistungen bis 7.000 kg sollten Kühe ab dem 40. Laktationstag schnellstmöglich wieder tragend werden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass bisher die These galt: je früher besamt, umso besser das Ergebnis.

Bei Kühen mit ≥ 12.000 kg Milch jedoch zeigten sich der geringste Besamungsaufwand und die kleinste Verzögerungszeit, wenn sie erst nach 120 Tagen p.p. besamt wurden (Abb. 2), also ein genau entgegengesetztes Bild.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie aus Sachsen, bei der Kühe gezielt, aber unabhängig von ihrer Milchleistung in Klassen von 40, 120 bzw. 180 Tagen Freiwilliger Wartezeit (FWZ) eingeteilt wurden (Niozas et al., 2019). Das Herdenniveau lag bei durchschnittlich 11.000 kg. Die Kühe mit einer FWZ von 180 Tagen hatten 1.000 kg mehr Milch in der 305-Tage-Leistung, eine deutlich bessere Brunsterkennung, einen Erstbesamungserfolg von 50 % (vs. 37 % bei 40 d FWZ) und nur 2 % Kühe mit inaktiven Eierstöcken (vs. 16 % bei 40 d FWZ).

Wenn die Kälber (z. B. aus Gebrauchskreuzung) einen höheren Gewinn als die höhere Milchleistung durch eine verlängerte Laktation bringen, wenn Jungrinder mit sehr gutem Gewinn verkauft werden können, dann rechnen sich ggf. kurze Zwischenkalbezeiten. Aus Sicht der eigenen Reproduktion, des Tierwohls und der Nutzungsdauer kann eine deutlich verlängerte Laktation auf das Leben der Kuh bzw. den Stallplatz bezogen jedoch auch ökonomisch Vorteile bieten.

Ökonomie einer verlängerten Laktation

Bisher wurden Fruchtbarkeitsparameter stets nur auf eine Laktation bezogen. In unseren Untersuchungen wollten wir der Frage der Nutzungsdauer nachgehen und das Leben einer Kuh ganzheitlich betrachten. Weniger Kalbungen bei gleicher Gesamtleistung könnten sowohl aus Sicht des Tierschutzes (Kühe bleiben gesünder) als auch aus Sicht der Ethik (Kühe leben länger) durchaus sinnvoll sein. All das sollte auch zu einem höheren ökonomischen Erfolg führen. Eine längere Nutzungsdauer bei höheren Zwischenkalbezeiten konnte bereits nachgewiesen werden (Abb. 3).

Auch die Lebenseffizienz war bei Kühen mit einer Zwischenkalbezeit von über 430 Tagen am höchsten. Hier betrug die Milchleistung je Lebenstag 16,7 kg, wohingegen Kühe, die jedes Jahr ein Kalb zur Welt brachten (ZKZ 341-370 Tage), lediglich 15,0 kg Milch je Lebenstag erreichten.

Für die betriebswirtschaftliche Bewertung wurden die Ergebnisse der Betriebszweigauswertungen von Referenzbetrieben der LFA aus den Jahren 2009 bis 2011 herangezogen (Harms et al., 2018). Hierbei sollte aber berücksichtigt werden, dass das Herdenmanagement bis dato generell auf möglichst kurze Zwischenkalbezeiten ausgerichtet war. Die ökonomischen Berechnungen ergaben: Mit höheren Lebenstagsleistungen ist eine Verbesserung des Deckungsbeitrages zu erkennen, selbst wenn die Kühe mehr Zeit benötigen, um wieder tragend zu werden. Je Tag verlängerter ZKZ ergaben sich eine um 87 kg ECM erhöhte Lebensleistung und eine um 2,9 Tage längere Nutzungsdauer.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Kühe in Verbindung mit der Nutzungsdauer die Wirtschaftlichkeit einer Herde viel stärker beeinflusst als die Zwischenkalbezeit oder eine geringere Anzahl zu vermarktender Kälber und ein höherer Besamungsaufwand. Die Frage ist, ob es ein ökonomisch begründetes Optimum für die Zwischenkalbezeit in Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Bestandes gibt. Die Klassifizierung des Bestandes nach dem Merkmal 305-Tageleistung bildete die Grundlage für die betriebswirtschaftlichen Berechnungen. Im Leistungsbereich bis 9.000 kg ist der wirtschaftliche Erfolg am höchsten, wenn die Kühe in einem Zeitraum von 340 bis 370 Tagen p.p. kalben. Kühe mit einer 305-Tageleistung bis 10.000 kg sind wirtschaftlicher, wenn sie in einem Zeitraum von 371 bis 400 Tagen p.p. erneut kalben. Einen deutlichen finanziellen Vorteil haben Kühe mit einem Leistungsniveau von 10.000 kg bis 11.000 kg Milch bei einer ZKZ zwischen 400 und 430 Tagen (Tab. 1).

FAZIT

An Hand eines umfangreichen Datenmaterials konnte nachgewiesen werden, dass längere Zwischenkalbezeiten nicht unrentabel sein müssen. Je nach Leistungsfähigkeit der Einzelkuh gibt es ein betriebswirtschaftliches Optimum für die Zwischenkalbezeit:

  • Kühe mit einer 305-Tageleistung unter 9.000 kg sind am rentabelsten, wenn sie jedes Jahr ein Kalb bekommen.
  • In dem Leistungsbereich bis 10.000 kg führt eine längere Pause von maximal zwei Zyklen zu einer längeren Nutzungsdauer und zu einem höheren Einkommen für den Landwirt.
  • Kühen mit noch höheren Laktationsleistungen sollten mehr als 100 Tage Ruhepause nach der Kalbung gegönnt werden, bevor sie  wieder besamt werden.

Hinweise zur Einordnung der Kühe in die jeweiligen Leistungsbereiche liefern die Ergebnisse zur ersten Milchleistungsprüfung.

Eine längere Freiwillige Wartezeit (FWZ) bedeutet jedoch nicht, die Hochleistungskuh unbeobachtet zu lassen. Eine lückenlose Dokumentation aller Brunsten, auch wenn sie nicht genutzt werden, ist besonders bei Hochleistungskühen wichtig, um optimale Besamungsergebnisse nach der längeren Freiwilligen Wartezeit (FWZ) zu erzielen. Die bewusste Verlängerung der Laktation erfordert eine bewusst verzögerte Besamung und muss einhergehen mit einer persistenten Milchleistung. Das geht nur mit Kühen, die gesund in die Laktation gestartet sind.

DER DIREKTE DRAHT

Dr. Anke Römer
E-Mail: a.roemer(at)lfa.mvnet.de

und

Dr. Bernd Losand
E-Mail: b.losand(at)lfa.mvnet.de

Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei M-V
Institut für Tierproduktion
Wilhelm-Stahl-Allee
218196 Dummerstorf

Stand: August 2019
Fotos (Mahlkow-Nerge)

Die Literatur kann beim Autor nachgefragt werden