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Transitmilch an Kälber füttern!
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Die schnelle und ausreichende Versorgung mit qualitativ hochwertigem Kolostrum der Mutter ist fundamental wichtig für einen gesunden Start ins Kälberleben. Neben der ersten Mahlzeit sind aber auch die weiteren Mahlzeiten innerhalb der ersten Lebenstage von Bedeutung. Welche Vorteile die Verfütterung der Transitmilch bietet, erfahren Sie nachfolgend von Dr. Christian Koch vom Hofgut Neumühle.

Eine sehr rasche und ausreichende Versorgung der Kälber mit ≥ 3 Liter muttergebundenen, qualitativ hochwertigem und hygienisch einwandfreiem Kolostrum innerhalb der ersten Lebensstunde ist die Basis für eine optimale Prägung und Entwicklung des Immunsystems. Neben der so wichtigen Erstversorgung mit Kolostrum sind die weiteren Mahlzeiten innerhalb der ersten Lebenstage äußerst wichtig, um eine optimale Entwicklung des Magen-Darm-Trakts des neugeborenen Kalbes zu gewährleisten und dadurch die Krankheitsanfälligkeit der Kälber zu reduzieren.

Nach der Geburt des Kalbes heißt es, so schnell und so viel wie möglich hochwertiges und hygienisch einwandfreies Kolostrum zu verabreichen.

Die Inhaltsstoffe von Kolostrum sind im Vergleich zur reifen Vollmilch deutlich anders und gleichen sich mit zunehmender Anzahl von Melkungen nach der Geburt innerhalb der ersten 3 – 5 Lebenstage der Vollmilch an. Diese Milch innerhalb der ersten 5 Laktationstage wird als „Transitmilch“ oder Übergangsmilch bezeichnet. So enthält die Milch des zweiten Gemelks nach der Kalbung ca. 9 % mehr Trockenmasse, 65 % mehr Protein, 52 % mehr Casein und höhere Mengen an Immunglobulinen (IgG) im Vergleich zur Vollmilch, die in der sechsten Melkung ermolken wurde (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Ausgewählte Inhaltsstoffe von Kolostrum, Transitmilch und reifer Vollmilch von Kühen der Rasse Holstein (Godden 2008)

Auch die Transitmilch enthält wichtige Nährstoffe, Antikörper und sogenannte bioaktive Stoffe, die wichtige Funktionen bei der Entwicklung des Kalbes besitzen. So ist aus einer Vielzahl von Studien bekannt, dass durch eine verlängerte Verfütterung von Kolostrum die Entwicklung des Magen-Darm-Trakts, die Entwicklung der Darmzellen und Darmzotten sowie die Entwicklung des Stoffwechsels von Geweben und Organen positiv beeinflusst werden kann. Dieselben Effekte einer verbesserten Entwicklung der Darmgesundheit sind aus Studien bekannt, wo Transitmilch innerhalb der ersten Lebenstage an Kälber verfüttert wurde. Da der Magen-Darm-Trakt das größte Immunorgan darstellt, beeinflusst die Fütterung von Transitmilch innerhalb der ersten Lebenstage nachhaltig die Prägung und Entwicklung des Immunsystems, wodurch die Krankheitsanfälligkeit der Kälber reduziert werden kann (Conneely et al. 2014; Van Soest et al. 2020).

Zwar können 12 bis 24 h nach der Geburt großmolekulare Antikörper nicht mehr über den Darm aufgenommen werden, sie können aber ihre Wirkung innerhalb des Darms entfalten und diesen somit gegen Pathogene schützen.

Neben den in Tabelle 1 dargestellten wichtigen Nährstoffen, Antikörpern und bioaktiven Stoffen enthalten Kolostrum und Transitmilch antimikrobiell und antiviral wirksame Substanzen (Laktoferrin, proinflammatorische Cytokine, etc.), um infektiösen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts entgegenzuwirken. So beschäftigen sich neuere Studien mit dem Einfluss von Oligosacchariden aus Kolostrum und der Transitmilch auf die Magen-Darm-Gesundheit von Kälbern (Fischer-Tlustos et al. 2019). Oligosaccharide sind Mehrfachzucker und damit Kohlenhydrate, die eine wichtige Nährstoffquelle für Mikroorganismen im Darm sind. Über die Etablierung eines optimalen Darm-Mikrobioms wird das Darm-Immunsystem nachhaltig und positiv beeinflusst. Aufgrund einer Anpassung der Inhaltsstoffe in Kolostrum und Transitmilch hin zu reifer Milch innerhalb der ersten 3 – 5 Lebenstage werden die Konzentrationen der Nährstoffe sowie der genannten bioaktiv wirksamen Bestandteile zwar reduziert, aber zeitgleich steigt durch die fortschreitende Laktation die täglich ermolkene Milchmenge deutlich an (Abbildung 1).

Abbildung 1: Veränderung der Immunglobulinkonzentration in Kolostrum und Transitmilch in Abhängigkeit der ermolkenen Milchmenge über die ersten 6 Melkungen (Schalich et al. 2021)

Durch den in Abbildung 1 gezeigten Anstieg der je Melkung ermolkenen Milchmengen steigt die Menge der über die Milch aus dem Euter ausgeschleusten Antikörper und bioaktiven Stoffe über die ersten 3 – 5 Laktationstage sehr stark an (Abbildung 2 und 3).

Abbildung 2: Veränderung der Gesamtmenge an IgG in Kolostrum und Transitmilch in Abhängigkeit der ermolkenen Milchmenge über die ersten 6 Melkungen (Schalich et al. 2021)

So konnte in einer kürzlich veröffentlichen Studie von Schalich et al. (2021) sehr anschaulich gezeigt werden, dass die Immunglobulinmengen, die über die ersten 5 Melkungen aus dem Euter ausgeschleust werden, mit 3,73 kg dreimal so hoch waren im Vergleich zu der Immunglobulinmenge (1,25 kg), die bei der ersten Melkung (Kolostrum) ausgeschleust wurde. Diese Antikörper können nach ca. 12 – 24 Stunden zwar nicht mehr über den Darm aufgenommen werden, sind aber immens wichtig, um ihre Wirkung innerhalb des Darms entfalten zu können und somit zu einem gesunden Darm und gegen Pathogene in den ersten Lebenstagen zu führen. Neben den Immunglobulinen gelten die lokalen Wirkungsmechanismen im Darm auch für alle weiteren bioaktiven Stoffe, die es im Rahmen der praktischen Fütterung zu nutzen gilt.

Eine weitere wichtige und sehr interessante Stoffgruppe sind die sogenannten Exosomen oder extrazellular Vesikel, die über das Kolostrum und die Transitmilch an die Kälber weitergegeben werden. Exosomen sind ca. 30 bis 200 nm große Vesikel, die von einer Zelle an die Umgebung abgegeben werden. Sie können von sehr verschiedenen Zelltypen, auch dem Eutergewebe, gebildet werden. Exosomen werden in einem mehrstufigen Prozess gebildet, der ein Einschnüren der Zellmembran, eine sogenannte Endozytose, und einen Ausschleusevorgang, eine sogenannte Exozytose, einschließt. Diese Vesikel beinhalten unter anderem Nukleinsäuren und Proteine in wechselnder Zusammensetzung und dienen als Transportvehikel und zur Ausschleusung von Zellbestandteilen. Darüber hinaus dienen sie der zellulären Kommunikation. So spielen Exosomen möglicherweise bei der erworbenen Immunität eine Rolle und dienen als Kommunikationsvehikel zwischen Mutter und Nachkomme. Exosomen enthalten Protein, Lipide, DNA, RNA und Metabolite, die dann in verschiedenen Geweben und Organen ihre Wirkungen auf Organe direkt oder auf die Entwicklung des Immunsystems entfalten können. So können Exosomen aus der Milch von Rindern direkt in Darmzellen eindringen, als Immunzellen zirkulieren oder auch in der Leber angereichert werden (Ferreira et al. 2021).

Die Verfütterung von Transitmilch an Kälber innerhalb der ersten 5 Lebenstage ist für nahezu jeden Betrieb zu empfehlen.

Praktische Fütterungshinweise

Die Sinnhaftigkeit und Vorteile der Verfütterung von Transitmilch an Kälber innerhalb der ersten 5 Lebenstage sind hinlänglich bekannt und wissenschaftlich belegt. Um die Verfütterung von Transitmilch auch praktisch umsetzen zu können, ist es lohnend, betriebsindividuelle Konzepte zu entwickeln. Das Hofgut Neumühle füttert bereits seit einigen Jahren Kolostrum der Mutter an die Kälber und innerhalb der ersten 5 Lebenstage die Transitmilch der Mütter tierindividuell an deren Kälber. Dies erfolgt dadurch, dass die Milch direkt nach dem Melken den Kälbern individuell über die ersten 5 Lebenstage ad libitum zur Verfügung gestellt wird. Um optimale Hygienebedingungen zu gewährleisten, hat jedes Kalb einen eigenen markierten Tränkeimer. Wenn aufgrund der Betriebsgröße oder anderer Widrigkeiten ein individuelles Vertränken der Transitmilch nicht möglich ist, kann die Transitmilch auch über die ersten 5 Laktationstage von allen frischen Kühen in einem Sammelbehälter gemischt und täglich an die Kälber verfüttert werden. Neben dem beschriebenen Tränkverfahren ist die Verfütterung der Transitmilch auch ein Konzept für die zukünftige Fütterung der Bullenkälber, wenn die Haltungsdauer auf 4 Wochen erhöht wird.

Fazit

Transitmilch enthält neben einer Vielzahl von wichtigen Nährstoffen sowie bioaktiven Stoffen weitere immunmodulatorische Substanzen, die die Prägung und Entwicklung des Immunsystems von Kälbern positiv beeinflussen und damit die Krankheitsanfälligkeit dieser verringern können. Durch die Verfütterung von Transitmilch über die ersten 5 Lebenstage können die positiven Effekte in die Praxis transferiert werden.  

DER DIREKTE DRAHT

Kontakt:
Dr. Christian Koch
Hofgut Neumühle
Neumühle 1
67728 Münchweiler an der Alsenz
E-Mail: c.koch(at)neumuehle.bv-pfalz.de

Fotos (Katrin Mahlkow-Nerge)