Zur Navigation springen Zum Inhalt springen
proteinmarkt.de - Infoportal für Fütterungsberater und Landwirte
N-Versorgung von Milchrindern – Selbstregulation als neuer Sicherheitszuschlag?
-

Die Optimierung der Stickstoffversorgung in der Milchkuhfütterung dient in erster Linie einer bedarfsgerechten Proteinversorgung. Bedarfsgerecht heißt dabei, dass ausgewogen sowohl der erwarteten Leistungsfähigkeit als auch der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Tiere Rechnung zu tragen ist. Gleichzeitig soll teures Futterprotein sparsam verwendet und die Umwelt vor überschüssigen N-Ausscheidungen geschützt werden.

Die aktuelle Fütterungspraxis

Eine Durchschnittskuh verbraucht bei bedarfsgerechter Versorgung inkl. Sicherheitszuschlag (GfE 2001) aktuell täglich ca. ½ kg Stickstoff. Dies sind im Jahr immerhin 1,1 t Rohprotein bzw. 180 kg Stickstoff. Unter Berücksichtigung der mittleren TMR-Ration, welche im Freistaat Sachsen an hochleistende Milchkühe gefüttert werden, ergeben sich folgende Quellen für das Futterprotein:

  • 12 % stammen aus Gras und kleinkörnigen Leguminosen (insb. Grünland-, Feldgras-, Luzerne- bzw. Kleesilagen oder Gemengen)
  • 14 % kommen aus der Maissilage
  • energiereiche Konzentrate (insb. Getreide, Körnermais, Hackfrüchte und deren Nebenprodukte) liefern immerhin 19 % des Proteins
  • die restlichen 55 % werden über proteinreiche Konzentrate (v.a.  Extraktionsschrote und Körnerleguminosen) in die Milchkuhrationen eingebracht

Fokussiert man sich vorrangig auf das bewusst zugegebene Protein, d.h. die Proteinkonzentrate, sind dies immerhin rund 650 kg Rohprotein bzw. äquivalent rund 1,8 t Rapsextraktionsschrot. Bei einem Preis von 300 € je Tonne und 10.000 kg Milch werden somit ca. 5,5 Cent je Liter Milch über Proteinergänzungen verwendet. Rechnet man weiter, werden aktuell vom aufgenommenen Stickstoff ca. 50 kg über die Milch bzw. den Ansatz in Wachstum von Kuh und Kalb veredelt. Das bedeutet, dass der überwiegende Teil, rund 130 kg N je Kuh und Jahr, über Kot und Harn wieder ausgeschieden werden. Das ist dann auch die zu erwartende Standardausscheidung an Stickstoff, bei bedarfsgerechter Proteinversorgung und einer ruminalen Stickstoffbilanz um Null. Eine derart gefütterte Kuh realisiert einen Milchharnstoffgehalt von etwa 200 mg / Liter Milch.

Jegliche Überversorgung, somit auch Harnstoffwerte über 200 mg je kg Milch, ist sowohl im Interesse der Ökonomie und Tiergesundheit als auch mit Blick auf die Ausscheidungen und Belastung der Stoffstrombilanzen kontraproduktiv. Erfreulich ist zunächst der beobachtete Trend, dass sich der Anteil sächsischer Betriebe mit einer Stickstoffversorgung über 110 % in den letzten 20 Jahren halbiert hat (Abbildung 1).

Abbildung 1: Entwicklung der N-Versorgung von Milchrindern im Freistaat Sachsen von 2000 bis 2019 (Daten: Messnetz „Futtermittel“, N-Überschuss = Standardausscheidung bei bedarfsgerechter Versorgung minus ermittelte Ausscheidung aus Datenbasis, Versorgung

Mit der zugebilligten 10 % Toleranz soll nicht eine weitere Sicherheit eingebaut, sondern der Unsicherheit von Kalkulation und Datenbasis der vorgenommenen Rechnung getragen werden. Im Jahr 2000 und 2001 waren es noch ¾ der untersuchten Betriebe, die Stickstoff vorhielten. In den jüngeren Messungen sind es nur noch gut ein Viertel bis ein Drittel. Eine Unterversorgung mit Stickstoff, d.h. unter 90 % der Versorgungsempfehlung, wurde nur in wenigen Fällen errechnet. Die Betriebe mit über 110 % Versorgungsniveau legten im Schnitt 80 g N pro Kuh und Tag mehr vor als nach aktueller Bedarfsempfehlung notwendig gewesen wäre. Der Überschuss entspräche 1,5 kg Rapsextraktionsschrot pro Kuh und Tag bzw. 0,5 t pro Kuh und Jahr. Dies sind immerhin auch bereits fast 2 Cent je kg erzeugter Milch. Der Milchharnstoffgehalt liegt dabei im Mittel deutlich über 250 mg / l. Insbesondere bei Milchkühen mit Milchleistungen unter 40 kg je Kuh und Tag wird ein verstärktes Vorhalten an Rohprotein praktiziert.

Es gibt durchaus Gründe, die das Vorhalten von Stickstoff in der praktischen Fütterung von Milchkühen erklären. Folgende stichpunktartig formulierten Aspekte offenbaren sich hierbei vorrangig:

  • Über- bzw. Unterbewertung der Futteraufnahme und deren individueller Schwankung (ca. 1,5 kg mehr oder weniger TM-Aufnahme entsprechen ca. -/+ 1 % Rohproteinversorgung je kg TM der TMR-Mischung) sowie mehr oder weniger starkes selektives Fressen,
  • lückenhafte Rationsoptimierung bzw. z.T. empirische Rationskonzeption sowie starke Fremdbestimmung der Rationsoptimierung durch Futtermittelfirmenvertreter,
  • Über- bzw. Unterbewertung und Kontrolle der Nährstoffgehalte der eingesetzten Futtermittel in der Rationsoptimierung durch fehlende oder zu gering frequentierte Analytik der Einzel- insbesondere Grobfuttermittel und TMR-Mischungen,
  • unterschätzter Einfluss der Grobfutterqualität auf Futteraufnahme, Fütterungserfolg und Rationsoptimierung,
  • bewusstes Vorhalten in Erwartung einer höheren Leistung der Milchkühe bei Nährstoffüberversorgung bzw. als Reaktion auf die sich ergebene Diskrepanz zwischen erwarteter und realisierter Leistung, 
  • Über- bzw. Unterversorgung durch Gruppenfütterung per se,
  • Fehler bei der technischen Umsetzung der Entnahme, der Einwaage ins System, der Aufbereitung, des Mischens und des Ausbringens von Futtermitteln bzw. Mischrationen,
  • Vernachlässigung von dynamischen Aspekten und Grenzen beim Nährstoffabbau in den Vormägen und der mikrobiellen Syntheseprozesse sowie einer damit verbundenen Unter- bzw. Überbewertung von Bypass-Nährstoffen und Zusatzstoffen,
  • fehlendes Controlling oder zu geringe Reaktion bei der Rationskorrektur auf Indikatoren des Fütterungserfolges,
  • verlorenes Vertrauen in deutsche Futterbewertungssysteme und infolge dessen Verdrängung durch Parameter internationaler Systeme sowie durch empirische Erfahrungen.   

In Anbetracht der umfangreichen Gründe und Fehler muss hinterfragt werden, ob es überhaupt praktikabel ist, Milchkühe auf den Punkt zu versorgen. Das Handwerkzeug der Tierernährung gibt in jedem Fall her, sich sehr nah an den Bedarf heranzufüttern. Wer Hochleistungen ausgewogen ernähren will, übernimmt eine hohe Verantwortung gegenüber dem Tier und der Umwelt. Hier reicht es nicht aus, nur tabellenkalkulatorisch Stickstoff zu bilanzieren, sondern hier gehört die hohe Schule der dynamischen Betrachtung von mikrobieller Proteinsynthese in den Vormägen und Durchflussprotein am Darm dazu. Sparen, d.h optimieren, können nur Experten. Eine Überversorgung ist, wie erwähnt, in allen Fällen kontraproduktiv.

Aber brauchen wir Sicherheitszuschläge oder können wir auch die Evolution der Rinder und ihre Selbstregulation als Sicherheit akzeptieren?

N-optimierte Milchkuhfütterung

Viele Milchkuhherden in Versuchsbetrieben und in der Praxis praktizieren bereits eine „N-reduzierte Fütterung“. Die Ergebnisse und Meinungen darüber gehen jedoch noch immer auseinander. Es gibt zu viele Stellgrößen im System, welche Berücksichtigung zu finden haben. Dies ist auch der Hauptgrund dafür, dass nicht in jedem Betrieb das Gleiche passiert, wenn einfach nur etwas weggelassen wird. Es ist per se schon problematisch, wenn in dem beschriebenen Zusammenhang von „Reduzierung“ anstelle von „Optimierung“ gesprochen wird. Für das Drittel der Betriebe, welche noch deutlich Protein vorhalten, gilt sicher zunächst eine Reduzierung. Alle anderen könnten sich mit Optimierung weiter herunterwagen. Grundsätzlich, und dies sei hier ausdrücklich betont, geht es nicht darum, die Nutztiere unter dem Bedarf versorgen zu wollen. Es geht eher darum, Angebot und Bedarf so nah wie möglich zusammenzubringen.

Die Fütterung in den Grenzbereich der Bedarfsdeckung, d. h. der bewusste Verzicht auf einen Sicherheitszuschlag und das Vertrauen auf die Selbstregulation der Kuh, verlangt aber Fingerspitzengefühl. Neben der partiellen Betrachtung und Optimierung von mikrobieller Proteinsynthese in den Vormägen und Durchflussprotein am Darm und ggf. der Betrachtung von essentiellen Aminosäuren, spielt auch der Zeitpunkt der Reduzierung im Laktationsverlauf eine große Rolle für die Erfolgsbewertung. Viele brechen ab, wenn die Milchleistung in der Hochleistungsphase zurückgeht. Die Ergebnisse aus Betrieben, die durchhalten und nun schon mehrere Jahre N-optimiert füttern, belegen, dass die Laktationskurven zwar flacher werden können, aber die Persistenz sich signifikant verbessert. Es gibt sicher weniger tägliche Milchleistungen jenseits der 40 kg. Aber ist das problematisch oder mit Blick auf die oft negative Energiebilanz nicht auch gewollt? In der Laktationsleistung ist über die Jahre kein wirklicher Knick erkennbar. Die Laktationsleistung stieg über die Jahre eher an, was aber nicht alleine als Effekt der veränderten N-Versorgung gewertet werden kann.  

Vertraut man auf die Selbstregulation der Milchkuh, d. h. unterstellt, dass 10 % des aufgenommenen Stickstoffs nicht ausgeschieden, sondern in die endogene Rezyklierung kommen, können Rationen mit – 50 g RNB pro Kuh und Tag oft noch immer funktionieren. Und das tun sie auch, wie mittlerweile die Betriebe mit langjähriger N-optimierter Milchkuhfütterung beweisen. Rechnet man den Einspareffekt in Rapsschrotäquivalent um, dann sind dies immerhin weitere ca. 1 kg Rapsextraktionsschrot je Tag weniger, die gefüttert werden müssten.

Praxisbetrieb AG Memmendorf

In dem sächsischen Milchkuhbetrieb der AG Memmendorf mit durchschnittlich 850 Holstein-Friesian-Kühen wurde nunmehr über 10 Jahre eindrucksvoll bewiesen, wie sich eine langjährige Rohproteinoptimierung auf Leistung, Tiergesundheit und Fruchtbarkeit von Milchkühen auswirkt. Der Betrieb hat Anfang 2011 die Rohproteinkonzentration in den Milchkuhrationen von etwa 17,5 % auf 14,5 % in der Trockenmasse abgesenkt und füttert seit nunmehr 9 Jahren auf diesem Niveau. Die Milchharnstoffkonzentration sank dadurch von anfangs nahezu 300 mg je Liter Milch auf nunmehr langjährig im Mittel 130 mg je Liter. Die umfangreiche statistische Aufbereitung der Daten über 10 Jahre in der Masterarbeit von Frau Hentzschel (2018) zeigte, dass diese Stickstoffreduktion keine negativen Auswirkungen hatte, sondern im Trend durch positive Effekte auf Milchleistung, Persistenz, Fruchtbarkeit und Lebensleistung begleitet wurde.

LVG Köllitsch seit 5 Jahren umgestellt

Auch im sächsischen Lehr- und Versuchsgut Köllitsch wurde durch konsequente Umstellung des Fütterungssystems ab 2015 die Versorgung mit Stickstoff auf das bedarfsdeckende Niveau abgesenkt. Die Ergebnisse bestätigen die These, dass mit Rohproteinkonzentration von unter 15 – 16 % i.d.TM und RNB von -20 bis -10 g/Kuh und Tag hohe Milchleistungen erfüttert werden können.  Während bis 2014 der Rohproteingehalt in der Ration zwischen 17 und 18 % in der TMR-Trockenmasse schwankte, wurde ab 2015 der Gehalt um 2 %-Punkte abgesenkt. Dabei wurde bewusst nicht der rechnerische Gehalt an nutzbarem Rohprotein, sondern ausschließlich die Ruminale Stickstoffbilanz (RNB) in den leicht negativen Bereich (bis max. -2 g / kg TM) reduziert. Die Milchharnstoffgehalte reagierten auf diese Umstellung sofort. Seit 2015 wird konsequent auf Harnstoffkonzentrationen von ca. 150 mg je Liter orientiert (Abbildung 2).

Abbildung 2: Entwicklung der mittleren täglichen Milchleistung (kg ECM / Tier und Tag) und des Milchharnstoffgehaltes (mg/l) für die Hochleistungsgruppe der Milchkühe des LVG Köllitsch von 2008 – 2019 und der errechnete N-Überschuss (kg N/ Kuh und Jahr),

Dies gelingt sicher nicht immer und ist durchaus auch mit den Schwankungen infolge praktischer Unzulänglichkeiten verbunden. Leistungsdepressionen wurden in der Köllitscher Milchviehherde jedoch nicht registriert. Die erkennbare tendenzielle Steigerung des Stalldurchschnittes soll dabei jedoch nicht überbewertet werden, da auch andere Faktoren der Fütterung, Haltung und Züchtung in dieser Phase optimiert wurden. Aufgrund der Tatsache, dass viele Fütterungstests in der Zeit ab 2015 durchgeführt wurden, welche die Optimierung der Rationen zum Ziel hatten, kann und soll hier auch nicht auf Details der Rationsgestaltung eingegangen werden. Seit 3 Jahren wird zudem verstärkt auf importiertes Proteinfuttermittel verzichtet und hofeigene und z. T. thermisch aufbereitete N-Träger, wie Sojabohnen, Erbsen, Ackerbohnen, Luzerne-Trockengrün oder Getreideschlempe, eingesetzt.

Infolge der beschriebenen Futterumstellung konnte der errechnete N-Überschuss (Differenz zwischen bedarfsgerechter N-Versorgung nach GfE 2001 und realisierter N-Versorgung) um 20 – 40 kg pro Kuh und Jahr gesenkt werden. Dies entspricht einem Reduzierungspotentials von immerhin 15 – 30 % zur erwarteten Standardausscheidung. Das Potential der Fütterungsoptimierung ist somit ausreichend hoch, um in die Palette der anerkannten N-Reduzierungsmaßnahmen aufgenommen und anerkannt zu werden.

Fazit

In der Fütterungspraxis der Milchkuhbetriebe wird noch zu stark Stickstoff vorgehalten. Eine sinnvolle Reduzierung bzw. Optimierung ist sowohl unter dem zunehmenden Druck der Umweltgesetzgebung als auch aus der Sicht von Tiergesundheit, Fruchtbarkeit und Leistung der Milchrinder und letztlich Wirtschaftlichkeit mehr als sinnvoll. Letzteres wird durch den mehrjährigen Fütterungserfolg von Betrieben, welche über Jahre N-optimiert füttern, eindrucksvoll bewiesen.

Auch im LVG Köllitsch wird seit 5 Jahren konsequent an einer N-Optimierung in der Milchkuhfütterung gefeilt. Auch hier bestätigen die Ergebnisse die Richtigkeit des Weges. Mit einer an die Grenzen der Bedarfsdeckung optimierten Milchkuhfütterung können hohe Milch- und Fruchtbarkeitsleistungen, eine stabile Gesundheit und steigende Lebensleistungen kurz-, mittel- und langfristig realisiert werden. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die N-Ausscheidung somit um 15 – 30 % gesenkt werden kann. Wir brauchen keinen rechnerischen Sicherheitszuschlag bei der Proteinbedarfsdeckung, sondern sollten zunehmend die Selbstregulation des Rindes als neuen Sicherheitszuschlag akzeptieren.

Der Milchharnstoffgehalt ist und bleibt ein hervorragender Indikator für die Kontrolle der N-Versorgung unserer Milchkühe und kann auch zur Kontrolle des Fütterungsmanagements der Betriebe durch Umweltbehörden dienlich sein. Milchharnstoffgehalte über 200 mg je Liter sind nicht nötig.

DER DIREKTE DRAHT

Prof. Dr. Olaf Steinhöfel
SÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR UMWELT
LANDWIRTSCHAFT UND GEOLOGIE
04886 Köllitsch
Am Park 3
Tel.: +49 34222 46 2200
Fax: +49 34222 46 2099

Foto (Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge)