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Kolostrumversorgung – Kälber an der Kuh trinken lassen?
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Die schnelle und ausreichende Versorgung mit qualitativ hochwertigem Kolostrum der Mutter ist fundamental wichtig für einen gesunden Start ins Kälberleben. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass bis zu 40 % der Kälber eine unzureichende Immunglobulinversorgung aufweisen.

Die Gründe für eine unzureichende Aufnahme bzw. Absorption der so wichtigen Immunglobuline im Darm sind vielfältig, hängen aber hauptsächlich vom Zeitpunkt und der verabreichten Menge sowie der Qualität des Erstkolostrums ab.

Kolostrum – mehr als nur Nährstoffe

Eine sehr rasche und ausreichende Versorgung der Kälber mit möglichst 3 Litern und mehr muttergebundenem Kolostrum innerhalb der ersten Lebensstunde ist sehr wichtig für eine optimale Prägung und Entwicklung des Immunsystems. Neben den wichtigen Immunglobulinen (Antikörper) enthält mütterliches Kolostrum einen hohen Nährstoffgehalt, eine Vielzahl von bioaktiven Wirkstoffen sowie lebende maternale Immunzellen. Die Nährstoffe (Laktose, Fett und Eiweiß) sind wichtig für ein gesundes Wachstum und für die Anpassung des Magen-Darm-Trakts an die neue Fütterungssituation, da die Ernährung des Kalbes während der Trächtigkeit über Glukose der Mutter erfolgte. Nach der Geburt muss die Ernährung dann auf Laktose aus der Milch umgestellt werden. Hierbei helfen das Kolostrum und die Transitmilch in den ersten 5 Laktationstagen, weshalb es empfehlenswert ist, die Kälber über die ersten 5 Lebenstage mit dieser Transitmilch ihrer Mütter zu versorgen. 

Die bioaktiven Stoffe im Kolostrum führen zu einer raschen und stabilen Entwicklung der Darmzotten. Diese bilden die erste physikalische Barriere im Darm gegen Pathogene und besitzen somit eine sehr wichtige Funktion im Immunsystem und der Entwicklung des Mikrobioms im Darm.

Diese Ergebnisse belegen erneut, dass die alleinige Kolostrumversorgung der Kälber an Ihren Müttern oftmals nicht zur ausreichenden Immunglobulinversorgung führt.

Überprüfung der Immunglobulinversorgung

Um die Qualität der Immunglobulinversorgung zu überprüfen, hat es sich bei Versuchsanstellern bewährt, den Protein- und/oder Immunglobulingehalt der Kälber 24 bis 48 Stunden nach der Kolostrumaufnahme zu untersuchen. Hier sollten die Kälber möglichst mehr als 60 g Gesamtprotein/l bzw. mehr als 10 g Immunglobuline/l Blutserum aufweisen. In der Praxis ist diese Überprüfung der Kälber hinsichtlich ihrer Immunglobulinversorgung alleine schon daher nicht verbreitet, da die Blutprobennahme bei Kälbern bedeutend schwieriger ist als bei Kühen und hierfür zwangsläufig ein veterinärmedizinischer Sachverstand von­ Nö­ten ist. Gerade daher ist es umso wichtiger, zumindest die Qualität des verabreichten Kolostrums zu überprüfen.

Neben dem Zeitpunkt der Biestmilchgabe und der verfütterten Kolostrummenge spielen scheinbar weitere Faktoren, wie z.B. Stress, eine wichtige Rolle, gerade bezüglich der Resorption im Dünndarm. Nur wenn die Dünndarmschleimhaut die großmolekularen Immunglobuline auch aufnehmen, also absorbieren kann, helfen diese dem Kalb bei der Immunität.

Die beste „Lebensversicherung“ für die Kälber: > 3 Liter Erstkolostrum so schnell wie möglich nach der Geburt per Nuckelflasche bzw. –eimer getränkt.

Einfluss des Kolostrummanagements auf die Immunglobulinversorgung

In der Praxis wird aktuell immer häufiger, dem Wunsch der meisten Verbraucher folgend, über eine mutter- bzw. kuhgebundene Kälberaufzucht diskutiert. Zweifelsohne gibt es hierfür mindestens genauso viele Argumente, die für ein solches Vorgehen sprechen  wie Argumente dagegen. Einzelbetrieblich muss eine genaue Abwägung aller „Pro- und Kontra-Argumente“ erfolgen. Dafür aber sind auch wissenschaftliche Studien notwendig. Eine solche hat sich mit dem Einfluss der Erstkolostrumversorgung an der Mutter auf den Immunstatus der Kälber beschäftigt (Lora et al., 2019).

Im Rahmen dieser Studie wurden in zwei italienischen Milchkuhbetrieben insgesamt 107 Holsteinkälber in 3 verschiedene Gruppen eingeteilt. Die 3 Gruppen unterschieden sich jeweils in der Verabreichung des Erstkolostrums. Eine Gruppe (n=50) wurde mittels Nuckelflasche per Hand innerhalb der ersten beiden Lebensstunden getränkt und danach in Einzeliglus gehalten. Die Kälber der Gruppe 2 (n=27) wurden gemischt getränkt, d. h. sie erhielten innerhalb der ersten 6 Lebensstunden maximal 3 Liter Kolostrum ihrer Mütter über eine Nuckelflasche und durften danach 12 Stunden bei Ihren Müttern verbleiben. In der Gruppe 3 (n=30) erfolgte keine Kolostrumgabe durch den Menschen. Hier durften die Kälber an der Mutter trinken und blieben über die ersten 12 Lebensstunden bei diesen. 

Um den Immunstatus der Kälber zu überprüfen, wurde von allen Kälbern in der ersten Lebenswoche (Tag 1 – 5) eine Blutprobe entnommen und auf den Immunglobulingehalt untersucht. Nach 12 Stunden erfolgte die Aufstallung der Kälber der Gruppe 2 und 3 ebenfalls in Einzeliglus. Dort erhielten sie täglich 6 Liter Vollmilch und wurden von der 9. bis zur 11. Lebenswoche abgetränkt.     

Ergebnisse

Die Kälber, die das Kolostrum per Nuckelflasche erhielten, tranken durchschnittlich 1,9 Liter. Hingegen realisierten die Kälber der Gruppe 2, welche von Hand getränkt wurden und dann über 12 Stunden bei Ihren Müttern bleiben durften, eine Kolostrumaufnahme von 2 Litern. 

Der Anteil der mit Immunglobulinen unterversorgten Kälber (< 10 g IgG/l Blutserum) lag in der gemischt gefütterten Gruppe 2 mit 11,1 % am niedrigsten, gefolgt von denen der handgefütterten Gruppe 1 mit 22 %. In der Gruppe 3 jedoch war der prozentuale Anteil der unterversorgten Kälber mit 60 % drastisch erhöht. In dieser Gruppe durften die Kälber ohne menschliches Zutun an Ihren Müttern trinken. Diese Ergebnisse waren statistisch signifikant.

Der Anteil der Kälber, die mit ≥ 16 g IgG/l Blutserum die beste Versorgung aufwiesen, war in der gemischt gefütterten Gruppe 2 am höchsten (Abbildung 1).

Abbildung 1: Einfluss der Art der Kolostrumversorgung auf den Immunglobulingehalt (Lora et al., 2019)

Damit zeigen die Ergebnisse dieser Studie große Unterschiede in Hinblick auf den Immunglobulinstatus neugeborener Kälber in Abhängigkeit des Kolostrummanagements. Wurden die Kälber direkt nach der Geburt mit Kolostrum ihrer Mütter per Nuckelflasche mit durchschnittlich 1,9 l versorgt (Gruppe 1 „Handgefüttert“), zeigten 78 % der Kälber eine ausreichend hohe Immunglobulinversorgung (> 10 g IgG/l) im Blut. 

Erhielten die Kälber direkt nach der Geburt per Nuckelflasche durchschnittlich 2 l Kolostrum und verblieben dann noch bis zu 12 Stunden bei Ihren Müttern (Gruppe 2 „Gemischt“), wo sie mit Sicherheit ebenfalls noch Milch aufnahmen, stieg der Anteil der ausreichend mit Immunglobulinen versorgten Kälber um 11 % auf 89 %. In dieser gemischt gefütterten Gruppe 2 lag auch der Anteil der am besten versorgten Kälber (mit einem Immunglobulingehalt von > 16 g/ml Blutserum) mit 56 % auf dem höchsten Niveau. 

Dürfen die Kälber selbst an Ihren Müttern trinken, scheint es für viele Kälber sehr schwierig zu sein, eine ausreichend hohe Menge an Erstkolostrum aus dem Euter aufzunehmen. Des Weiteren ist der Zeitpunkt der Erstkolostrumaufnahme an der Kuh kaum zu kontrollieren, was der sehr hohe Anteil an mit Immunglobulinen unterversorgten Kälbern verdeutlicht. 

FAZIT

Die dargestellten Resultate bestätigen sehr eindrucksvoll Untersuchungsergebnisse früherer Arbeiten, wie z. B. die der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, wonach die unkontrollierte und alleinige Kolostrumversorgung der Kälber an Ihren Müttern den so wichtigen Immunstatus der Kälber direkt nach der Geburt in der Regel nicht sicherstellen kann. 

Wenn die Mutter- bzw. kuhgebundene Kälberaufzucht umgesetzt werden soll, darf der Zufall über die Erstkolostrumversorgung nicht entscheiden. Die beste Art Lebensversicherung erhalten die Kälber dann, wenn der Mensch sie mit > 3 Liter Erstkolostrum so schnell wie möglich nach der Geburt per Nuckelflasche bzw. -eimer versorgt.

DER DIREKTE DRAHT

Dr. Christian Koch
Hofgut Neumühle
Neumühle 1
67728 Münchweiler an der Alsenz

c.koch[at]neumuehle.bv-pfalz.de

und 

Prof. Katrin Mahlkow-Nerge
Fachhochschule Kiel
Fachbereich Agrarwirtschaft
Grüner Kamp 11
24783 Osterrönfeld

Tel.: 04331/845138
Fax.: 0431/21068138

katrin.mahlkow-nerge@fh-kiel.de 


Fotos (Katrin Mahlkow-Nerge)